»Und ich wünschte wirklich, man hätte mir nicht einen Partner aufgezwungen. Aber so ist es nun mal. Constance, ich verspreche, dass du mein ›Sparringspartner‹ wie auch mein Orakel sein wirst, wenn auch à la distance.«
Schmunzelnd schenkte Mrs Trask zwei Tassen Tee ein. »Man stelle sich das einmal vor, unser Mr Pendergast mit einem Partner, der ihm auf Schritt und Tritt folgt. Das klappt doch nie. Was die Zusammenarbeit mit anderen betrifft, ist unser Hausherr ein hoffnungsloser Fall – wenn Sie entschuldigen, dass ich das so sage.«
»Ich entschuldige, dass Sie das so sagen«, erwiderte Pendergast. »Wenn Sie bitte so gut wären, ein paar von diesen Madeleines zu meinem Fluggepäck zu legen. Wie ich höre, können gewisse Speisen an Bord gesundheitsgefährdend sein – wenn nicht Schlimmeres.«
»Ist er tatsächlich ein hoffnungsloser Fall?«, sagte Constance und drehte sich zu Mrs Trask. »Aber es besteht doch immer Hoffnung.«
Doch Mrs Trask hatte sich bereits zum Gehen gewandt, und so entging ihr der ganz flüchtige Blick, den Pendergast und die Frau, die ihm gegenübersaß, tauschten.
4
Um exakt zwanzig vor sieben am selben Abend schlenderte Special Agent Pendergast – nachdem er im Hotel Fontainebleau eingecheckt und sich vergewissert hatte, dass die Präsidentensuite La Mer zu seiner Zufriedenheit ausfiel – durch die hallende Lobby Richtung Atlantik. Mit seinen Wänden und Böden aus Marmor und der »Treppe ins Nichts«, den Grüppchen plaudernder Hotelgäste und den labyrinthischen Ein- und Ausgängen kam ihm der riesige Raum eher vor wie die Erste-Klasse-Lounge in einer Abflughalle. Als er sich einer Glastür näherte, öffnete sich diese flüsterleise, und er trat hinaus in die weitläufigen Grünanlagen. Nachdem er sich einen Weg zwischen mehreren glitzernden Swimmingpools gebahnt hatte, vorbei an Bars, Wellness-Oasen und üppigen Pflanzen, gelangte er schließlich zu der Liegefläche South Tropez. Die Sonnenanbeter, die durch ihre Oakley- oder Tom-Ford-Brillen zu ihm hochschauten, wunderten sich nicht über seinen schwarzen Anzug. Vermutlich hielten sie ihn für einen Hoteldiener auf dem Weg zu einer der privaten Cabanas neben den Pools. Andere Butler in Schwarz waren zu sehen, wie sie zwischen den Hütten umhergingen und den Gästen alles Gewünschte brachten – von Obst-Smoothies bis zu eintausendfünfhundert Dollar teuren Flaschen Dom Pérignon.
Nachdem er den Rasen überquert hatte, schlenderte Pendergast weiter auf einem Weg, der durch gepflegte Grünanlagen mäanderte, bis er schließlich zu einer kleinen Treppe gelangte, die zu einem aus Holzplanken bestehenden Fußweg führte, der von Königspalmen gesäumt war. Dies war der Miami Beach Boardwalk, eine Uferpromenade, die vom Indian Beach Park fast bis hinunter zum Hafen von Miami führte.
Pendergast wandte sich nach Süden, dann hielt er inne. Links verlief ein schmaler Grünstreifen mit Büschen und Ufergras, hinter dem der Strand lag. Rechts erstreckte sich eine durchgehende Reihe von Hotels, Hochhäusern mit Eigentumswohnungen sowie Vergnügungsbauten unterschiedlichen Typs; strahlend weiß reckten sie sich in den kobaltblauen Himmel. Es ging ein ganz leichter Wind, die Temperatur betrug um die 27 Grad, und die Luft war auf angenehme Weise feucht. Eine Siebzigjährige ging an ihm vorbei, sie trug eine riesengroße Sonnenbrille und einen pinkfarbenen Thong-Badeanzug, stöckelte unsicher auf ihren hochhackigen italienischen Sandaletten weiter.
Nachdenklich sah sich Pendergast noch einige Augenblicke länger um. Dann rückte er seinen Krawattenknoten zurecht, zog die Manschetten herunter und schloss sich dem Gedränge spärlich bekleideter Fußgänger auf der Promenade an. Nach einem in langsamem Tempo zurückgelegten halbstündigen Spaziergang nach Süden gelangte er bis zur 23. Straße, von dort an war die Promenade gepflastert. Noch ein paar Häuserblocks weiter, und die Menschenmenge staute sich. Der Grund war offensichtlich: Hundert Meter weiter vorn war die Promenade mit gelbem Tatortband abgesperrt.
Inzwischen hatte sich der Grünstreifen mit Sträuchern links von Pendergast zu einer Reihe von Hecken und gestutzten Formschnitt-Büschen verbreitert – jeder Abschnitt wurde von einem der schicken Hotels auf der anderen Seite der Promenade gepflegt. Jenseits dieser geschmackvollen Anpflanzungen verlief eine lange Böschung. Pendergast bog in eine schmale Gasse und stieg die Betontreppe hinauf, bis er ganz oben auf der Böschung angekommen war, von wo sich ihm ein freier Blick bot. Hier sah man einen weiteren schmalen Fußweg, schmal und sandig. Davor und unterhalb davon erstreckte sich der Strand; zwischen den Reihen der Sonnenschirme und Liegen standen in Abständen die Stationen der Rettungsschwimmer. Jenseits davon erstreckte sich der Atlantik, dessen strahlendes Himmelblau in Küstennähe in ein blasses Aquamarin überging.
Pendergast sah eine Zeit lang aufs Meer, dann wandte er sich nach Westen. Dabei verharrte sein Blick auf dem unfassbaren Reichtum, der sich in diesem Teil von Miami Beach zeigte. Dahinter waren die Biscayne Bay zu sehen und – noch weiter westlich – die Wolkenkratzer der Innenstadt von Miami. Mittlerweile war es halb acht, bald würde die Sonne hinter dem Horizont versinken, etwas, das zu Hause in New York bereits eineinhalb Stunden zuvor geschehen war. In der Ferne schimmerten pinkfarbene Wolken.
Eine Weile blieb Pendergast so stehen, während die sanfte Brise ihm das Haar zerzauste. Schließlich blickte er wieder hinunter zu dem Abschnitt mit den Sträuchern und der Uferpromenade, der mit gelbem Band abgesperrt war. Etliche Schaulustige in den Hotels gegenüber taten das Gleiche. Der Mord war bereits in den Nachrichten gemeldet worden, wobei es der Polizei aber gelungen war, das gestohlene Herz aus der Berichterstattung herauszuhalten.
Jetzt ging er im gleichen Schlendergang die Treppe wieder hinunter und näherte sich dem abgesperrten Bereich. Dieser bestand zum großen Teil aus einem brusthohen Irrgarten aus Hecken, die penibel gestutzt waren und zwischen der Uferpromenade und der Böschung lagen. Pendergast ging weiter, bis der untere Knopf seiner Anzugjacke so eben das Absperrband berührte. Es war unübersehbar, dass das Hauptereignis bereits stattgefunden hatte. Die einzigen Personen, die er innerhalb des abgesperrten Bereichs sah, waren ein Mitarbeiter der Kriminaltechnik – er trug noch Mundschutz und Überschuhe – sowie ein Polizeibeamter, die auf einer Bank in der Nähe saßen und offenbar den Tatort bewachten.
Pendergast hatte sich so leise genähert, dass der Beamte seine Anwesenheit gar nicht bemerkte. Erst als Pendergast sich unter das Absperrband duckte, blickte er herüber. Der leere Gesichtsausdruck des Mannes verwandelte sich in eine Miene der Verärgerung. Er erhob sich von der Bank und eilte herbei, wobei er die Hose ein wenig hochzog und den Dienstgürtel zurechtrückte. Er war Ende vierzig, hatte dünnes kastanienbraunes Haar, weit auseinanderstehende Augen und eine rötliche Gesichtsfarbe. Trotz der relativ dünnen Gliedmaßen spannte sich das Hemd über dem deutlich sich abzeichnenden Bauch.
»Ey!«, rief er in grobem Tonfall. »Sie da! Bleiben Sie stehen!«
Pendergast tat, wie ihm geheißen – doch erst nachdem er unter dem Absperrband hindurchgeschlüpft war und sich wieder aufgerichtet hatte.
Mit wutverzerrter Miene stapfte der Polizist heran. Auf den Wangen zeichneten sich winzige rote Äderchen ab. Unter der Schulterpartie war der blau-gelbe Schriftzug der Polizei Miami Beach aufgestickt. »Was zum Teufel glauben Sie, was Sie hier machen? Hier ist jeder Zutritt verboten. Treten Sie hinter das Absperrband zurück!«
»Entschuldigen Sie, Officer«, erwiderte Pendergast in seinem freundlichsten Ton, »aber ich glaube, ich kann eine Genehmigung für meine Anwesenheit vorweisen.«
Der Polizist musterte ihn abfällig. »Was sind Sie – ein Bestattungsunternehmer? Die Leiche ist schon vor Stunden abtransportiert worden.«