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Okay. Das war zwar ziemlich unwahrscheinlich, aber es lohnte einen Versuch – nachzuschauen, ob der Wagen mit dem Kennzeichen, der vor dem Motel in Bethesda stand, in den Wochen nach dem Mord in Ithaca in einen Unfall verwickelt war.

Sie loggte sich in das Computersystem der rechtsmedizinischen Abteilung ein und klickte sich durch die labyrinthischen Menüs, bis sie beim Kraftfahrzeugamt landete. Nachdem sie eine Minute lang herumgeklickt hatte, gelangte sie auf eine Suchseite der Datenbank. Dort tippte sie die Nummer des Kfz-Kennzeichens sowie die Datumsparameter ihrer Suche ein.

Treffer.

Ein 1997 Mercury Tracer-Kombi, Florida-Kfz-Kennzeichen JW24-99X, war im März 2007 auf der Interstate 81 südlich von Scranton, Pennsylvania, in einen Verkehrsunfall mit einem Toten verwickelt … nur eine Woche nach dem Ithaca-Mord.

Rasch durchsuchte Fauchet das Internet und fand in einer Lokalzeitung einen Artikel über den Unfall. Der Artikel fasste sich kurz: Das Fahrzeug war vom Highway abgekommen, gegen eine Leitplanke geprallt und hatte sich überschlagen. Der Fahrer des Wagens, ein Mann namens John Bluth Vance, war in dem Wrack umgekommen. Sein vierzehnjähriger Sohn Ronald war mit schweren Verletzungen ins Krankenhaus eingeliefert worden. Die Ursache des Unfalls wurde »derzeit noch untersucht«.

Und das war’s. Es gab weder Folgeartikel über den Tod von Vance noch über den Unfall oder das weitere Schicksal seines Sohnes. Es schien, als sei Ronald Vance einfach verschwunden – das heißt, wenn er bei dem Unfall nicht doch ums Leben gekommen war.

Fauchet spürte ihr Herz laut schlagen. Das konnte es sein. Zugegeben, die Beweislage war dünn – sie hatte ja lediglich den Wagen mit dem Tatort eines Mordes abgeglichen –, aber das Datum und der Ort des Unfalls passten zum plötzlichen Ende der Mordserie … so wie Pendergast es skizziert hatte.

Die Morde hörten nach Ithaca auf, und zwar wegen des Unfalls mit Todesfolge – der den grausamen Roadtrip beendete. Und das war noch nicht alles. Die Täter, ein Vater-und-Sohn-Team, waren unter falschen Namen gereist. Sie waren in einem Wagen mit Florida-Kennzeichen unterwegs. Und sie waren im selben Motel abgestiegen wie Laurie Winters in der Nacht, als sie ermordet wurde.

Der Sohn, Ronald Vance – alias Travis Lehigh –, musste heute vierundzwanzig, vielleicht fünfundzwanzig sein. Wenn sie recht hatte, war dieser vierzehn Jahre alte Jugendliche gezwungen worden, an einer Reihe von grauenhaften Morden teilzunehmen, die – so die Hypothese Pendergasts – darin kulminierten, dass er den letzten Mord in Ithaca selbst beging, kurz bevor sein Vater bei einem Autounfall tödlich verunglückte.

Einer Eingebung folgend, nahm sie in den medizinischen Datenbanken, die ihr zur Verfügung standen, eine Meta-Suche vor. Bei einer raschen Recherche des Großraums Miami und auch des Bundesstaats Florida wurde sie nicht fündig. Doch als sie eine landesweite Suche startete, erfuhr sie, dass ein gewisser Ronald Vance, Alter vierundzwanzig, im September des vergangenen Jahres aus dem King of Prussia Subacute Care Center entlassen worden war. Als sie weitersuchte, fand sie heraus, dass Vance neun Monate zuvor vom Powder Valley State Hospital vor den Toren von Allentown hierher verlegt worden war.

Das Powder-Valley-Krankenhaus war, wie Fauchet schnell feststellte, auf die Langzeit-Rehabilitation neurologischer Traumata spezialisiert. Und so wie das Pflegeheim lag auch das Krankenhaus nicht weit entfernt von Scranton, dem Ort des Unfalls. Wenn Ronald Vance als Minderjähriger ins Powder Valley eingewiesen worden war, dann wären die Krankenakten verschlossen. Das war auch der Grund, weswegen sie lediglich die kürzlich erfolgte Verlegung und das Entlassungsdatum einsehen konnte.

Kein Wunder, dass der Typ so dermaßen verkorkst war: Er war von seinem Vater zu einem monströsen Roadtrip gezwungen und dann bei einem Autounfall schwer verletzt worden. Und dieser Unfall führte dann zu irgendeiner Kopfverletzung, von der er erst nach einem Jahrzehnt genas. Vorausgesetzt, er war genesen … aber was, wenn er nun eine Psychose entwickelt hatte, die denjenigen, die ihn pflegten, stattdessen als ein Schädel-Hirn-Trauma erschien.

Das Ganze ergab Sinn. Ronald Vance war Brokenhearts. Er war vor weniger als sieben Monaten aus dem Subacute Care Center entlassen worden – ein halbes Jahr, bevor die neuen Morde begannen. Jetzt wollte er wegen der vorherigen Morde Abbitte leisten – indem er noch mehr Menschen tötete! Das war ein Motiv, selbst wenn es verrückt war.

Sie atmete tief durch. Zugegeben, sie musste noch sorgfältiger suchen. Aber die Sache fühlte sich richtig an.

Sie fühlte sich riesig an.

Fauchet öffnete auf dem Smartphone eine App zur Personensuche und tippte »Ronald Vance, Miami« ein. Bereits nach zehn Sekunden hatte sie einen Treffer.

Name:

Ronald C. Vance

Alter:

24

Adresse:

203 Tarpon Court

Golden Glades, FL 33169

Heiliger Bimbam: Da war’s. Er war also tatsächlich nach Hause gekommen!

Golden Glades – wo lag das noch mal? Sie zog die Tastatur zu sich heran und tippte die Adresse ein, worauf eine Karte des schier endlosen Ballungsraums Miami auf dem Bildschirm erschien. Dort, an North Miami Beach angrenzend, nur ein paar Kilometer von Pendergasts Safe House entfernt. Und nicht allzu weit von dem Ort, an dem das erste Herz zurückgelassen worden war.

Eine halbstündige Autofahrt, vielleicht weniger, wenn der Verkehr mitspielte.

Erneut versuchte sie, Pendergast und Coldmoon telefonisch zu erreichen, aber ihre Anrufe gingen sofort an die Mailbox.

Noch einmal überprüfte sie in aller Ruhe, ob das, was sie dachte, logisch war. Konnte es tatsächlich sein, dass sie recht hatte? Konnte Ronald Vance Mister Brokenhearts sein – und konnte es sein, dass er nur eine kurze Autofahrt entfernt lebte?

Sie starrte auf den Bildschirm und die Karte, die darauf abgebildet war, mit dem kleinen roten Pfeil, der kurz oberhalb der Straße namens Tarpon Court blinkte.

42

Aus der Nähe betrachtet war das Propellerboot noch kleiner, als es aus der Ferne ausgesehen hatte. Der Bug wies nach oben, wie bei einem Landungsboot aus dem Zweiten Weltkrieg. Es gab zwei Sitze, einer hinter dem anderen, beide auf Stelzen. Der große Propeller am Heck war mit einem 90-PS-Lycoming-Motor verbunden und von einem Drahtkäfig umschlossen. Coldmoon klopfte gegen den Tank: voll.

Pendergast drehte sich zu ihm. »Haben Sie so eins schon mal gefahren?«

»Nein«, sagte Coldmoon.

»In dem Fall gilt: Was du heute kannst besorgen … Möchten Sie das Steuer übernehmen?«

»Lieber nicht. Ich, ähm, mag kein Wasser.«

Er spürte, dass Pendergast ihn belustigt ansah. »Ich bin dem kühlen Nass auch nicht übermäßig zugeneigt, zumal in Gestalt großer, stehender, trüber Gewässer. Aber wenn Sie nichts dagegen haben, würde ich es vorziehen, als Reiseführer und Ausguck zu fungieren.«

»Lassen Sie mich raten. Wenn ich noch mal protestiere, erinnern Sie mich daran, wessen Idee es war, John B. Vance zu vernehmen.« Coldmoon stieg ins Boot, murmelte dabei irgendwas auf Lakotisch und trat ans Steuer, dann warf er einen Blick auf die Instrumententafel. Die sah recht simpel aus: ein Zündschlüssel, ein Choke und ein Gashebel, mit dem man auch die Stufen Leerlauf, Vorwärts und Rückwärts einlegte. Außerdem gab es da noch einen kleinen Absperrhahn an etwas, das wohl die Benzinleitung war. Er nahm auf dem Vordersitz Platz, öffnete den Absperrhahn, stellte den Gashebel auf Leerlauf, zog den Choke heraus und drehte den Schlüssel. Der Motor sprang fast sofort an.

»Bereit zum Ablegen?«, fragte Pendergast.

»Habe ich eine Wahl?«

Pendergast machte die Leinen los, kletterte an Bord und stieß das Boot mit einem seiner Budapester-Schuhe ab.

Als Coldmoon den Gashebel nach vorn schob, begann der Propeller, sich brausend zu drehen, und das Flachbodenboot sauste los. Vorsichtig steuerte Coldmoon es in den Hauptkanal. Pendergast griff derweil in die Innentasche seiner Anzugjacke und holte eine auf bemerkenswert kleine Größe gefaltete Landkarte hervor. Kein Wunder, dass er den Reiseführer spielen will, dachte Coldmoon. Hatte Pendergast seine scheinbar unergründliche Anzugjacke wohl in einem Geschäft für Zauberartikel gekauft?