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Pendergast streckte den Arm aus, um Coldmoon erneut zu packen, aber der, in den Rücken geschossen, war schon außer Reichweite. Sich an einer Wurzel in der Nähe des oberen Bereichs des Kraters festhaltend, sah er, dass Coldmoon unten auf die Wasseroberfläche traf und sofort in dem strudelnden, trüben Wasser verschwand.

Ein zweiter Schuss fiel. Pendergast spürte, wie neben seinem Kopf lose Erde aufspritzte. Mit aller Kraft wuchtete er sich hoch und hinaus und rollte sich in die Deckung, die die Farnpflanzen boten. Währenddessen erklang ein dritter Schuss, die Kugel zerfetzte das Grün über seinem Kopf, während er sich mit einem Hechtsprung hinter eine Steineiche rettete. Es war ganz klar, dass die Schüsse von woanders, von innerhalb der Lodge kamen, höchstwahrscheinlich aus dem ersten Stock. Und während er noch die Fassade absuchte und versuchte, den Schützen ausfindig zu machen, ertönte ein weiterer Schuss – und der Kopf des Mannes, der auf der Veranda herumkroch, explodierte in einer Fontäne aus Rot und Grau.

Pendergast zog die Les Baer – dabei merkte er, dass er die Reserve-Glock beim Sturz in das Senkloch verloren hatte – und wartete hinter dem Baum. Er zählte bis acht, dann spähte er kurz dahinter hervor, bevor er sich wieder zurückzog. Jetzt war alles still. Sehen konnte er den Schützen nicht. Coldmoon lag immer noch unten im Krater, angeschossen. Nachdem er nochmals kurz hinter dem Baum hervorgeschaut hatte, gab Pendergast zwei Schüsse auf das Haus ab, dann schlich er durch den Farnbewuchs, der ihm Deckung bot, um einen Blick in das Senkloch zu werfen. Er sah da nichts als Streifen von Sand und loser Erde, die nach unten glitten, und die Ränder des Kraters bröckelten weiterhin ab. Kein Laut von Coldmoon.

Weil er mit einem weiteren Schuss rechnete, hechtete er zurück in Richtung der alten Eiche, die ihm Deckung bot und deren Äste zu knorrigen, arthritischen Formen verdreht waren. Währenddessen hörte er noch einen Schuss, diesmal so nahe, dass er das Schulterpolster seines Jacketts wegfetzte. Aber immerhin gelang es ihm, den Mündungsblitz zu erkennen, der aus einem der oberen Dachfenster des Hauses kam. Nachdem er den Mann auf der Veranda getötet hatte, hatte sich der Schütze anscheinend an einen höheren Ort begeben, damit er einen besseren Schusswinkel hatte. Der Mann musste ein Gewehr mit Zielfernrohr haben und wusste offenkundig, wie man damit umging.

An den Baum gelehnt, schwer atmend, überdachte Pendergast die Lage, in der er sich befand. Währenddessen hörte er zwei weitere Schüsse und fragte sich kurz, worauf der Mann schoss – bis er den dumpfen Knall einer Explosion hörte und eine Feuersäule sah, die aus Richtung des Anlegestegs kam. Der Schütze hatte soeben ihr Propellerboot zerstört.

Es war offensichtlich, dass sie in eine Falle getappt waren. Aber wie war das möglich? Wer hatte gewusst, dass sie herkommen würden? Sie hatten doch erst am Morgen erfahren, dass es diesen Ort überhaupt gab. Pendergasts Gedanken rasten. Der Schütze hatte den Hinterhalt im Voraus geplant. Das bedeutete, dass sie gar nicht verfolgt worden waren. Es konnte sich nur um eine Person handeln, die wusste, dass sie die Akte über den Vance-Selbstmord/Mord durchforsteten. Diese Person musste wissen, dass sie dabei auf die Adresse von Vance stoßen würden. Von da an war es ein Leichtes, zu vermuten, dass sie den Mann vernehmen wollten.

Natürlich gab es auch eine andere Möglichkeit, nämlich dass John Vance in Wirklichkeit Mister Brokenhearts war und sie ihn in seiner Höhle überrascht hatten. Aber in diesem Fall – wer war der ältere Mann, der da tot auf der Veranda lag?

Pendergast wurde klar, dass ihm nur Sekunden blieben, um sich für eine Vorgehensweise zu entscheiden. Jede Bewegung in irgendeine Richtung würde ihn Schüssen aussetzen. Der Schütze befand sich rund hundert Meter entfernt, was bedeutete, dass er außerhalb der Reichweite von Pendergasts Les Baer war – außer Pendergast landete einen absoluten Glückstreffer. Und bei einem Schusswechsel wäre er tot, bevor er so viel Glück hatte.

Um in dieser Situation auf Augenhöhe zu agieren, musste er näher herankommen, den Schützen in die Reichweite der eigenen Schusswaffe locken. Und das musste ihm schnell gelingen.

Er stürmte hinter der Deckung, welche die Eiche bot, hervor und rannte auf das Haus zu. Wieder ertönte ein Schuss, und Pendergast warf sich hinter einem anderen Baum auf den Boden. Zwischen ihm und dem Haus befand sich jetzt nur noch offenes Gelände. Er musste um die Lodge herumgehen und sich ihr von der Rückseite nähern, dort bot sich ihm mehr Deckung.

Aber genau damit rechnete der Schütze.

Pendergast griff auf seine früheren Erfahrungen als Großwildjäger zurück und entschloss sich, dem Beispiel der Kap-Büffel zu folgen: die Flucht ergreifen, den Schützen aus dem Haus locken, dann einen großen Bogen schlagen und von hinten angreifen.

Die Insel war recht schmal. Damit er den großen Bogen schlagen konnte, musste er sich ins Wasser begeben.

Schnell rollte er sich aus der Deckung, gab einen abwehrenden Schuss auf das Dachfenster ab und rannte im Zickzack den Pfad hinunter, geduckt von Baum zu Baum. Schüsse ertönten. Er erwiderte das Feuer, dabei spürte er am Oberschenkel bereits einen heftigen Schmerz, dann lief er die letzte Strecke Richtung Anlegesteg. Das Propellerboot brannte, eine schwarze Rauchwolke stieg daraus empor, was den Vorteil hatte, dass er dadurch in Deckung blieb. Er nahm sich eine Sekunde Zeit, um sich die Verletzung anzusehen – nur eine Fleischwunde, keine Knochen oder Arterien betroffen. Dann ließ er sich ins Wasser gleiten und spürte das Brennen, dort, wo die Kugel den Oberschenkel gestreift hatte, und hielt sich geduckt. Das Wasser war flach, der Schlamm am Boden zu dick, als dass er sich schnell fortbewegen konnte. Wieder erklang zwischen den Bäumen ein Schuss. Pendergast arbeitete sich bis zum Ende des Anlegestegs vor, wobei der Modder an seinen Füßen zerrte, was sein Vorankommen auf fast verhängnisvolle Weise erschwerte.

Am hinteren Ende des Anlegestegs ging er hinter dem lichterloh brennenden Boot in Deckung. Dabei achtete er darauf, dass es zwischen ihm und dem Haus blieb, und watete weiter hinaus in den Sumpf, dorthin, wo das Wasser tief genug war, dass er untertauchen konnte. Dabei bewegte er sich, tiefer in den Schlamm einsinkend, schräg zum Haus, und nutzte die Wurzeln der Sumpfzypressen als Deckung, den Kopf knapp über dem Wasser haltend.

Eine Bewegung, ein Strudel, und dann, als er kurz nach rechts schaute, erhaschte Pendergast einen Blick auf die Nasenlöcher und die Augen eines Alligators, der untertauchte und aus dem Blickfeld verschwand. Aber die Wasseroberfläche kräuselte sich immer noch wegen der Unterwasserbewegung, und die kleinen Wellen kamen geradewegs auf ihn zu.

Pendergast riss ein Bein aus dem schlammigen Grund und trat so zu, dass der Fuß mit dem Alligator in Kontakt kam. Dieser durchbrach die Wasseroberfläche mit beängstigender Geschwindigkeit, musterte ihn aus seinen Reptilienaugen, die langen, ungleichmäßigen Zahnreihen glänzten, das Maul war weit aufgerissen, und da feuerte Pendergast direkt in den Schlund des Alligators, dass es ihm den Hinterkopf wegriss. Das Reptil fiel zurück ins Wasser, in Todeszuckungen wild um sich schlagend.

Wieder wurde aus dem Haus ein Schuss abgefeuert, worauf links von Pendergast eine kleine Wasserfontäne aufspritzte.

Er ließ sich zurück ins Wasser gleiten. Sich so schnell fortbewegend, wie es ging, hielt er die Luft an und kroch mit offenen Augen auf allen vieren am Grund entlang, als erneut eine Kugel an ihm vorbeizischte, eine Spur von Luftbläschen hinter sich herziehend. Hinter einer Sumpfzypresse fand er Deckung. Von der Lodge, die zweihundert Meter entfernt lag, bot sich kein direkter Blick auf den Anlegesteg, aber Pendergasts Gezappel war zweifellos gehört worden, deshalb war es reines Glück, dass er nicht getroffen worden war. Ihm blieb nur eines übrig – er musste in gerader Linie vorrücken, dabei die Bäume als Sichtschutz zwischen sich und dem Haus nutzen und seine Entfernung zum Schützen erhöhen.