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Der Polizist hatte die Arme gesenkt und war einige Schritte zurückgetreten, dann sah er Pendergast an, als wäre der von irgendeiner ansteckenden Krankheit befallen. »Woher zum Teufel wissen Sie das alles?«, fragte er mit lauter Stimme.

»Elementar, mein lieber Kleinwessel.«

»Ich habe seit zehn Jahren kein Glas mehr angerührt«, sagte Kleinwessel in weinerlichem Tonfall. »Sie können mir nicht das Gegenteil beweisen. Und was soll dieser Quatsch, was den Rum der Marke Cuban Hound angeht?«

»Es hat keinen Sinn, mich anzulügen, Officer. Wie gesagt, ich versuche zu helfen. Der vorstehende Unterleib, sichtbar wegen der straffen Hemdknöpfe, verweist, zusammen mit Ihrem hageren Körperbau, auf eine Aszites in fortgeschrittenem Stadium. Auch das deutlich sichtbare Rhinophym in Ihrem Gesicht ist verräterisch. Was den Alkohol betrifft, so ist Cuban Hound in dieser Gegend nicht nur die billigste, stärkste und am leichtesten erhältliche Spirituose, die charakteristische Flasche eignet sich auch ausgezeichnet zum diskreten Am-Körper-Tragen … und abgesehen davon, wie Sie aus dem Mund riechen, sehe ich, dass Ihre rechte Gesäßtasche in genau dieser Form ziemlich blank gewetzt ist. Also, Officer, darf ich mit meiner Arbeit fortfahren? Oder …?« Er hob sein Mobiltelefon an und lächelte.

Einen Moment lang arbeitete die Kinnpartie des Polizisten, die Gesichtsmuskeln spannten und entspannten sich. Dann aber trat er wortlos beiseite.

»Verbindlichsten Dank.« Als er sich an Kleinwessel vorbeidrängte, legte Pendergast ihm leicht eine Hand auf die Schulter. »Ich spreche mit Ihrem Sergeant und sage ihm, wie außerordentlich nützlich Sie gewesen sind. Vielleicht können wir Ihnen doch noch ein Winkelabzeichen besorgen.« Dann beugte er sich vor, als wollte er dem Polizisten ein Geheimnis verraten. »Im Übrigen«, sagte er leise, »hat der bedauernswerte Conan Doyle das falsch verstanden. Sherlock Holmes hat die Methode der Induktion angewandt – soll heißen, er hat vom besonderen Einzelfall auf das Allgemeine geschlossen – und nicht die der Deduktion, soll heißen, das Schlussfolgern vom Allgemeinen auf den Einzelfall.«

Und so schlenderte Pendergast ungehindert durch den Irrgarten aus Hecken, wobei er hin und wieder stehen blieb und in die Hocke ging, eine Lupe hervorholte und irgendetwas in der lockeren Erde am Wegesrand untersuchte. An einem Punkt holte er eine Pinzette aus der Anzugjacke, pflückte einen winzigen Gegenstand aus dem Unterholz und legte ihn in ein kleines Teströhrchen.

Es dämmerte, als Pendergast schließlich die gegenüberliegende Seite des Irrgartens erreichte, wo der einsame Mitarbeiter der Kriminaltechnik eben seine Sachen packte und den Tatort verlassen wollte. Pendergast zeigte ihm den FBI-Ausweis, worauf sich der Mann als hilfreicher erwies, als der Polizist es gewesen war. Er deutete zu einem Bereich hinter der Hecken-Wand, in dem zahlreiche kleine Markierungsfähnchen zu erkennen waren. Dort war der Mulch fast schwarz und sehr feucht – durchtränkt von einer großen Menge Blut. Wieder ging Pendergast in die Hocke und drückte die Fingerspitzen leicht in den Boden, wobei ihm auffiel, wie schwammig dieser war.

Er zog eine kleine Stift-Taschenlampe hervor und leuchtete damit umher. »Was können Sie mir über die Morde sagen?«

»Wie’s aussieht, hat der Täter dem Opfer als Erstes mit einem Messer eine Verletzung am Hals zugefügt«, sagte der Kriminaltechniker und zog seinen Mundschutz herunter. »Die Frau wurde von dem Weg zu dieser entlegenen Stelle gezerrt, dann wurde ihr mit einem sehr scharfen Messer von hinten die Kehle durchtrennt und anschließend mit irgendeinem großen Instrument – vermutlich einem Hackbeil – der Brustkorb geöffnet und das Herz entfernt. Der Rechtsmediziner glaubt, dass die Frau zur Zeit der Entnahme bereits bewusstlos war – dass sie am Blutverlust gestorben ist. Am Ende wurde sie unter die Hecke hier gerollt und der lockere Mulch mit den Füßen über die Leiche verstreut.«

»Blutspritzer?«

»Was man so erwarten kann. Hauptsächlich Spritzflecken auf der Unterseite der Hecke und auf dem Mulch in der Nähe.«

»Der ungefähre Todeszeitpunkt?«

»Um vier Uhr heute Morgen, plus/minus.«

»Und sie wurde gefunden von –?«

»Einem frisch verheirateten Paar aus Seattle. Sie hatten sich die Stelle ausgesucht, um herumzumachen.« Der Mann deutete mit einem Nicken zu einer Sitzbank in der Nähe.

»Das war so gegen halb elf, richtig?«

»Um Viertel nach zehn, ja.«

Pendergast blieb weiter in der Hocke sitzen und sah sich um. Die Hecke war dicht. Um vier Uhr morgens, in einer mondlosen Nacht, wäre dieser Ort in der Tat sehr dunkel gewesen. Die Uferpromenade und der Strand wären menschenleer gewesen, zumindest fast. Er schaute hoch; die Palmen und die Ziersträucher verdeckten die Sicht auf die nächstgelegenen Hotels. Angesichts der Bevölkerungsdichte auf der Düneninsel eignete sich die Stelle gut, um einen Mord zu begehen.

»Darf ich noch eine Zeit lang bleiben?«, fragte er. »Auch wenn ich keine Schutzkleidung trage?«

»Kein Problem, wir sind hier fertig«, antwortete der Kriminaltechniker.

Sorgfältig durchsuchte Pendergast eine Viertelstunde lang den Bereich. Gelegentlich brachte er dabei seine Lupe, die Pinzette, die Taschenlampe und das Smartphone zum Einsatz. Doch es war so, wie Kleinwessel gesagt hatte – es gab hier wenig zu sehen.

Schließlich stand er auf. »Haben Sie vielen Dank für Ihre Geduld.«

»Keine Ursache.« Der Mann griff nach seinem Koffer und begab sich zum Ausgang des Hecken-Irrgartens.

Pendergast lief ihm hinterher. »Gibt es sonst noch etwas Beachtenswertes an dem Mord?«

»Nichts – außer dass wir ein paar Schuhabdrücke mit Blut gefunden haben, die vom Tatort wegführen.«

»Schuhabdrücke?« Pendergast hob die Brauen. »Das ist doch wohl beachtenswert.«

»Die Abdrücke stammen von einem Paar billiger Männersandalen, große Schuhgröße. Die bekommt man in jedem Geschäft und werden schnell wieder weggeworfen. Ich kann da leider nicht genauer sein. Viel Glück, wenn Sie die ausfindig machen wollen – die trägt hier jeder, Tag und Nacht.«

»Jeder?«

»Alle Touristen und wahrscheinlich die Hälfte der Einheimischen.« Sie näherten sich dem Tatort-Absperrband. »Wir sind hier an der Küste Floridas, richtig? Haben Sie etwa vor, sich mit denen in die Sonne zu legen?« Mit einem Nicken zeigte er auf Pendergasts Budapester-Schuhe, deren Leder selbst im abendlichen Dämmerlicht matt glänzte.

»Ich verstehe, was Sie meinen.« Pendergast hielt inne. »Bei Tag und Nacht, sagten Sie?«

»Ganz recht.« Einen Moment lang blieb Pendergast stehen und schaute in die Ferne. »Was für merkwürdige Bräuche Sie hier doch haben, mein Freund.«

5

Am darauffolgenden Morgen fuhr ein weißer Nissan-Altima vor einem Haus an der Tigertail Avenue im nordöstlichen Abschnitt des Coconut Grove vor. Der Wagen stand eine Minute lang im Leerlauf am Bordstein, während der Fahrer an diversen Tasten, Knöpfen und Touchscreens fummelte. Schließlich schaltete sich der Motor aus, die Fahrertür ging auf, und Special Agent Pendergast stieg aus. Er staubte seine Kleidung ab und warf dem Fahrzeug einen bösen Blick zu, dann betrat er den Bürgersteig und näherte sich dem Haus.

Es handelte sich um ein gepflegtes Gebäude im Kolonialstil mit weißen Stuckverzierungen. Es war etwa fünfzig Jahre alt und umgeben von einem dichten Bestand sogenannter »Inseln« von Bäumen, für die die Stadt berühmt war. Das Haus lag in einem belebten Wohnviertel – Pendergast hörte das Dröhnen von Rasenmähern und das Geplapper von Kindern auf dem Weg zur Schule –, doch es wirkte unbewohnt. Er stieg die Vorderstufen hinauf und blieb kurz stehen, dann drückte er die Türklingel.