Выбрать главу

«Gerne.«

Sei ein Mann, hatte Konstanze gesagt, oder nicht? Solange er sich der Gelegenheit nicht sicher war, seine Freundin zu betrügen, wollte er die Tat wenigstens in Gedanken ausmessen. Als Vorbereitung oder notfalls als Ersatz. Zu viel in den letzten Tagen hatte er schweigend geschluckt, von Schlegelbergers verschlossener Tür bis zum doppelten Hinweis auf sein Staatsexamen. Sein Sinn für Anstand war darüber taub geworden, und es war diese Taubheit, die er jetzt am meisten genoss. Eine lokale Anästhesie, die genau jene Fragen ausblendete, die sich sonst an das Vergnügen kleben wie Fliegen an ein Limonadenglas. Er hatte geduscht und frische Kleider angezogen, spürte eine schützende Hülle aus Duft und Baumwolle um sein geschundenes Ego und war bereit zur Großzügigkeit gegenüber sich selbst.

Kerstin Bambergers wippender, mußevoller Gang gefiel ihm. Trotz der leichten Sommerkleidung verriet keine Linie im Stoff Art und Form ihrer Unterwäsche. Weidmann musste sich zwingen, die Augen abzuwenden, und sah ihren Sohn, bevor sie ihn sah. Statt aufzuschließen, schlenderte er wie zufällig hinter ihr her. Um das blitzbeleuchtete Viereck des Autoskooters herum standen Halbwüchsige und wippten im Takt der Musik. Hier und da mussten Mädchen in eines der kleinen Fahrzeuge gezerrt werden. Jungs fuhren einhändig, lässige Cruiser, den freien Arm um die Schultern der Beifahrerin gelegt.»Nächste Runde, nächster Versuch, Spaß für alle«, rief eine Lautsprecherstimme. Daniel und sein Freund standen im Rücken der Älteren, zählten Bons und sahen nicht erfreut aus, als Kerstin Bamberger sich zu ihnen gesellte.

«So!«hörte er sie sagen.»Alle Autos in die Garage jetzt.«

Ein plötzlicher Anfall von Müdigkeit brach in das filigrane Geflecht seiner Phantasie ein und drängte ihn, nach Hause zu gehen. Lass es, sagte die erschöpfte Stimme, und der Vorgeschmack des schlechten Nachgeschmacks, den alles andere in ihm hinterlassen würde, war einen Moment lang so deutlich, als hätte er es längst getan. Aber er wollte nicht. Genau genommen wollte er auch das Gegenteil nicht — er wusste ja nicht einmal, worin es bestehen sollte —, und es schien ihm letztlich dieselbe Müdigkeit zu sein, die ihn gehen oder bleiben hieß. So oder so, es war alles ein Nullsummenspiel. Oder wie Kamphaus am Vortag gesagt hatte: Scheißspiel, was.

«Also gut: Noch zwei Fahrten.«

«Drei!«

«Daniel.«

«Drei, bitte, es dauert doch überhaupt nicht lange!«

Obwohl sie ihm den Rücken zuwandte, glaubte er das Verdrehen ihrer Augen sehen zu können, dabei war es Daniel, der ihn einen kurzen Moment lang ansah. Eine seltsam kalte Härte vermochte dieser Junge in seine Kinderaugen zu legen, wie eine Warnung vor leichtfertiger Gegnerschaft.

«Drei. Aber dann verschwinden wir sofort von hier, ist das klar?«

«Und du wartest hier«, sagte ihr Sohn.

«Ich warte da vorne bei der Brücke. Mir ist das hier zu laut.«

Der Rest der Unterredung ging unter in der nächsten Ansage aus dem Kassenhäuschen. Weidmann machte ein paar Schritte in Richtung der THW-Brücke über die Lahn und überließ es Kerstin Bamberger, ob sie ihm folgen wollte oder nicht. Für einen Moment war es ihm gleichgültig, was sie tun würde, dann machte ihm das Geräusch ihrer Schritte klar, dass er gehofft hatte, sie werde kommen.

«Sie haben keine Kinder, hatten Sie gesagt.«

«Nein.«

«Dann wissen Sie auch nicht, wie anstrengend das manchmal sein kann. Kinder wollen das, was sie wollen, immer ein bisschen mehr, als ihre Eltern es nicht wollen, verstehen Sie?«Sie hatte zu ihm aufgeschlossen, als sie sich dem Rand des Festplatzes näherten, den Fluss hörten und die flache Brücke schemenhaft ausmachen konnten unter dem Blätterdach der Bäume.

«Ja«, sagte er.

Im Zelt erklang wieder ein Tusch, und kurz darauf mischte sich die Musik der Kapelle unter den Dampfmaschinenrhythmus des Rummels. Es waren nur wenige Schritte, dann wehte ihnen vom Fluss her ein kühler Hauch entgegen. Stille nistete in den Sträuchern entlang des Ufers, in den kleinen schilfbewachsenen Buchten. Schwarz und gleichmäßig schob sich die Lahn durch ihr Bett. Es war, als fiele hinter ihnen ein unsichtbarer Vorhang und hüllte alle Geräusche in Seide.

Bei der Brücke, hatte sie gesagt, trotz Daniels Protest, und insofern war wohl etwas nicht richtig an dem Satz, dass Kinder immer den stärkeren Willen besitzen. Bloß konnte sie in diesem Moment überhaupt keinen Willen in sich entdecken, nur das Verlangen nach Stille und einem Ende der Verstellung.

Den Kopf verdreht, den Schnabel im Nackengefieder vergraben, trieb eine Ente unter der Brücke entlang, und es war weniger die verquere Haltung des Vogels als die Sanftheit der Strömung, in der Kerstin sich selbst wiedererkannte.

«Hören Sie«, setzte sie an.

«Nein«, sagte er leise.

Sie spürte seine Hand nach ihrer greifen und suchte mit der anderen nach Halt am Brückengeländer. Der Ärger, den sie den ganzen Tag mit sich herumgeschleppt hatte, wallte wieder in ihr auf. Thomas Weidmann war so abrupt stehen geblieben, wie er die Nonchalance seines Tonfalls abgeschüttelt hatte, und ließ sie einfach auflaufen. Bier und Rasierwasser, zwei schale Duftnoten seiner Männlichkeit, füllten den sehr engen Raum zwischen ihnen. Ich bin selbst nicht mehr ganz nüchtern, sagte sie sich. Seine Hand lag jetzt auf ihrer Taille. Für einen Moment konnte sie sich nicht entscheiden, mit welchen Worten sie ihrem Ärger Luft machen sollte und worüber genau sie sich eigentlich ärgerte. Diffus und geradezu aufreizend passiv entwand sich das Gefühl der Verstimmung ihrem Griff. Was sie stattdessen zu fassen bekam, war Weidmanns Hintern. Ein eher flacher Akademikerhintern.

Sie waren alleine. Blickten einander an. Nur mit den Augenbrauen kommentierte sie das Tun seiner Hand, das Tasten nach Haut über dem Bund ihrer Hose. Eine absurde Art von Folgerichtigkeit schien ihr in alldem zu liegen.

«Sie wollen das nicht wirklich«, flüsterte sie.

Der Kuss glich einem Wühlen nach dem Grund ihres Tuns. Beharrlich, aber ohne Hast. Ihre Hände suchten an seinem Rücken, am Nacken, wieder am Hintern — sie fand nichts. Sie hatte auch nicht erwartet, etwas zu finden. Weder auf seinen Lippen noch auf seiner Zungenspitze lag eine Antwort, und am stärksten empfand sie das Ausbleiben jeder Überraschung, ihre kühle Kenntnisnahme dieser Sinnlosigkeit. Warum küsse ich ihn, fragte sie sich und ließ seine Zunge ein Stück weiter vor. Die Erektion, die sich gegen ihren Schoß drückte, überging sie wie einen wenig sachdienlichen Hinweis, maß mit den Händen die Breite seiner Schultern und spürte seinen Atem auf ihrem Gesicht. Die Bohlen der Brücke knarrten unter ihren Füßen.

Gegen seinen Griff nach ihrer Brust verstärkte sie die Umarmung. Nichts, was er tat, war ihr unangenehm, sie glaubte bloß zum ersten Mal in ihrem Leben zu wissen, wie Frigidität sich anfühlt. Seine Lippen waren nur Lippen, seine Hände nur Hände, seine Zunge nur feucht. Sie hörte die Musik aus dem Zelt und das Fließen der Lahn und warf einen Blick auf ihre innere Uhr: Die erste Runde Autoskooter ging gerade zu Ende.

Ihre Gedanken trieben stromabwärts. Zum ersten Mal seit dreizehn oder vierzehn Jahren küsste sie einen anderen Mann als den eigenen, und es fühlte sich ungefähr so an wie die Betrachtung der Kopie eines bekannten Gemäldes: Man schaut darauf, findet keinen Unterschied, und dennoch fehlt was. Zu glatt alles, die Linien zu schnell gezogen und statt Phantasie nur Fingerfertigkeit. Weidmann küsste nicht schlecht, aber auf der Oberlippe vermisste sie die sanfte Reibung eines Bartes. Wie Betrug allerdings fühlte es sich nicht an, Betrug konnte niemals so vergeblich sein. Wahrscheinlich hatte Jürgen mit zitternden Fingern nach diesem jungen Ding gegriffen, besoffen vom Duft jugendlicher Haut, von der Straffheit blühender Formen. Männer wurden nie erwachsen, das galt für den, den sie gerade küsste, mindestens so sehr wie für den, den zu küssen sie seit gestern Abend kein Verlangen mehr hatte. Oder schon Verlangen, aber keine Bereitschaft, ihm nachzugeben.