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So hing Georgette den Bischof der vorletzten Christen eben auf, zwar nur über die Türe, wo er stumm und zufrieden hing, ein Ehrenmann, nur manchmal von Auguste verleugnet, der jenen wenigen, die sich erkundigten, kurz und bündig antwortete:

«Ein Radsportfreund.»

Drei Wochen später kam Archilochos mit einem zweiten Bild. Eine Photographie. Eigenhändige Unterschrift. Sie stellte Petit-Paysan dar, den Besitzer der Maschinenfabrik Petit-Paysan. Es würde ihn freuen, sagte Archilochos, wenn ebenfalls Petit-Paysan hängen würde. Vielleicht an Stelle Fahrcksens. Es zeigte sich, dass im sittlichen Weltgebäude der Besitzer der Maschinenfabrik den dritten Platz einnahm.

Frau Georgette war dagegen.

«Petit-Paysan fabriziert Maschinengewehre«, sagte sie.

«Na und?»

«Tanks.»

«Na und?»

«Atomkanonen».

«Sie vergessen den Petit-Paysan-Rasierapparat und die Petit-Paysan-Geburtszange, Madame Bieler, lauter menschenfreundliche Gegenstände.»

«Monsieur Archilochos«, sagte Georgette feierlich,»ich warne Sie, sich weiter mit Petit-Paysan zu befassen.»

«Ich bin bei ihm angestellt«, antwortete Arnolph.

Georgette lachte.»Dann nützt es gar nichts«, sagte sie,»wenn Sie Milch und Mineralwasser trinken, kein Fleisch essen (Archilochos war Vegetarier) und mit keiner Frau schlafen. Petit-Paysan beliefert die Armee, und wenn die Armee beliefert ist, gibt es Krieg. Das ist immer so.»

Archilochos war damit nicht einverstanden.

«Nicht bei uns«, rief er aus.»Bei unserem Staatspräsidenten!»

«Ach der!»

Sie kenne eben das Erholungsheim für werdende Arbeitermütter nicht, fuhr Archilochos unbeirrt fort, und die Heimstätte für invalide Arbeiterväter, die Petit-Paysan errichtet habe. Petit-Paysan sei überhaupt ein sittlicher, ja geradezu ein christlicher Mensch.

Doch war Madame Bieler nicht zu bewegen, und so kam es, dass außer den zwei ersten Vorbildern des Herrn Archilochos (bleich, schüchtern und etwas dicklich saß er in seiner Ecke zwischen den Radsportfreunden) nur noch der letzte in seiner Weltordnung an der Wand hing, das negative Prinzip, Fahrcks eben, der Kommunist, der den Staatsstreich in San Salvador und die Revolution in Borneo angezettelt hatte. Denn auch mit Nummer Vier vermochte Arnolph bei Georgette nichts zu erreichen.

Sie könnte das Bild vielleicht unter Fahrcks hängen, meinte er und überreichte Madame Bieler eine Reproduktion, eine billige übrigens.

Wer denn dies gemalt habe, fragte Georgette und starrte verwundert auf die dreieckigen Vierecke und die verbogenen Kreise, die darauf zu sehen waren.

«Passap.»

Es stellte sich heraus, daß Monsieur Arnolph den weltberühmten Maler verehrte, doch war es Georgette immer noch ein Rätsel, was denn das Bild darstellen sollte.

«Das richtige Leben«, behauptete Archilochos.

«Da unten steht aber >Chaos<«, rief Georgette und wies in die rechte untere Ecke des Bildes.

Archilochos schüttelte den Kopf.»Große Künstler schaffen unbewußt«, meinte er.»Ich weiß einfach, daß dieses Bild das richtige Leben darstellt.»

Doch nützte es nichts, was Archilochos dermaßen kränkte, daß er drei Tage nicht mehr erschien. Dann kam er wieder, und Madame Bieler lernte mit der Zeit das Leben des Monsieur Arnolph kennen, soweit man überhaupt von einem Leben reden konnte, so pünktlich, wohlgeordnet und schief war alles. So gab es beispielsweise in der Weltordnung des Archilochos noch die Nummern fünf bis acht.

Nummer fünf war Bob Forster-Monroe, der Ambassador der Vereinigten Staaten, zwar nicht ein Altneupresbyteraner der vorletzten Christen, sondern ein Altpresbyteraner der vorletzten Christen, ein schmerzlicher, doch nicht hoffnungsloser Unterschied, über den der in religiösen Dingen gar nicht untolerante Archilochos stundenlang reden konnte. (Er lehnte außer den anderen Kirchen nur noch die Neupresbyteraner der vorletzten Christen entschieden ab.)

Nummer sechs der Weltordnung war Maître Dutour.

Nummer sieben Hercule Wagner, der Rector magnificus der Universität.

Dutour hatte einen längst geköpften Lustmörder verteidigt, einen Hilfsprediger der Altneupresbyteraner (nur das Fleisch vergewaltigte den Geist des Hilfspredigers, die Seele blieb außerhalb, unbesudelt, gerettet); der Rector magnificus dagegen hatte das Studentenheim der vorletzten Christen besucht und sich fünf Minuten mit Nummer zwei der Weltordnung (Bischof) unterhalten.

Nummer acht war Bibi Archilochos, sein Bruder, ein guter Mensch, wie Arnolph betonte, arbeitslos, was Georgette verwunderte, war doch dank Petit-Paysan das Land beschäftigt.

Archilochos wohnte in einer Mansarde nicht weit von >Chez Auguste<, wie die kleine Wirtschaft des Champions hieß, und brauchte über eine Stunde, bis er seinen Arbeitsplatz im weißen, zwanzigstöckigen, von Corbusier konstruierten Verwaltungsbau der Petit-Paysan Maschinenfabrik AG erreichte. Was die Mansarde betrifft: Fünf Stockwerke hoch, übelriechender Korridor, klein, schräg, unbestimmte Tapete, ein Stuhl, ein Tisch, ein Bett, eine Bibel, hinter einem Vorhang sein Sonntagskleid. An der Wand: erstens Staatspräsident, zweitens Bischof, drittens Petit-Paysan, viertens Reproduktion eines Bildes von Passap (viereckige Dreiecke) und so weiter bis zu Bibi hinunter (Familienbild mit Kinderchen). Aussicht: Blick auf eine schmutzige Fassade, zwei Meter vom Fenster entfernt, Abortwand, abenteuerliche Flecke, weiß, gelb und grün, in regelmäßigen Reihen offene stinkende Fensterchen, die Wand nur manchmal im Hochsommer gegen Mittag von oben verklärt, dazu der Lärm der Wasserspülungen. Was den Arbeitsplatz betrifft: mit fünfzig anderen Buchhaltern in einem großen, mit Glas unterteilten Raum, labyrinthartig, nur Zickzackgänge ermöglichend, im siebenten Stock, Abteilung Geburtszangen, Ärmelschoner, Bleistift hinter dem Ohr, grauer Arbeitskittel; Mittagessen in der Kantine, wo er unglücklich war, weil weder der Staatspräsident noch der Bischof dort hingen, nur Petit-Paysan (Nummer drei). Archilochos war nicht ein eigentlicher Buchhalter, nur ein Unterbuchhalter. Vielleicht noch genauer: Der Unterbuchhalter eines Unterbuchhalters. Kurz, einer der untersten Unterbuchhalter, soweit man von einem untersten sprechen konnte: die Zahl der Buch- und Unterbuchhalter in der Petit-Paysan AG war praktisch unendlich; doch wurde er auch in dieser bescheidenen, beinahe letzten Stellung weit besser bezahlt, als dies wiederum die Mansarde zu verkünden schien. Der Grund, der ihn in die dunkle, von Aborten umstellte Höhle bannte, war Bibi.

Nummer acht (Bruder) lernte Madame Bieler ebenfalls kennen.

An einem Sonntag. Arnolph hatte Bibi Archilochos zum Mittagessen eingeladen. >Chez Auguste<.

Bibi kam mit Weib, zwei Mätressen und den sieben Kinderchen, von denen die ältesten, Theophil und Gottlieb, beinahe erwachsen waren. Magda-Maria, dreizehn Jahre, brachte einen Verehrer mit. Bibi erwies sich als ein gottvergessener Säufer, die Frau war vom >Onkel< begleitet, wie man ihn nannte, einem ausgedienten Kapitän, nicht umzubringen. Es war ein Mordsspektakel, der selbst den Radsportfreunden zuviel wurde. Theophil prahlte von seinem Zuchthausaufenthalt, Gottlieb von einem Bankeinbruch, Matthäus und Sebastian, zwölf und neun Jahre, stachen mit Messern, und die beiden Jüngsten, Zwillinge, sechsjährig, Jean-Christoph und Jean-Daniel, rauften sich um eine Absinthflasche.

«Welche Menschen!«rief Georgette entsetzt, als sich das Teufelspack verzogen hatte.

«Es sind eben Kinder«, begütigte sie Archilochos und beglich die Rechnung (einen halben Monatslohn).

«Hören Sie«, entrüstete sich Madame Bieler.»Ihr Bruder scheint eine Räuberbande zu unterhalten. Und dem geben Sie noch Geld? Fast alles, was Sie verdienen?»