Das Ärgerliche an der ganzen Geschichte war, daß sie nicht genau wußten, wonach sie überhaupt suchten, und zusätzlich blieb ihnen jetzt kaum noch Zeit dazu. Alles, was Sie tun konnten, war, damit fortzufahren, Informationen einzuholen und zu hoffen, irgend etwas würde dabei herauskommen. Doch selbst die Fragen, die sie stellten, klangen unsinnig — sie waren Variationen von: „Haben Sie während der letzten paar Tage etwas getan oder vergessen zu tun, das Sie den Verdacht hegen läßt, irgend etwas habe Ihre Gedanken beeinflußt?“ Es waren allgemein formulierte, fast sinnlose Fragen, aber sie stellten sie weiterhin, bis Priliclas bleistiftdünne Beine vor Erschöpfung wie Gummi zusammenknickten und er sich dringend ausruhen mußte — das Durchhaltevermögen des Empathen war proportional zu seiner Körperkraft, die praktisch nicht existierte. Conway hingegen fuhr beharrlich mit der Fragerei fort, doch mit jeder verstrichenen Stunde fühlte er sich müder, wütender und dümmer als zuvor.
Bewußt unterließ er es, nochmals mit Dr. Mannon Verbindung aufzunehmen — der Arzt würde zu diesem Zeitpunkt allenfalls einen demoralisierenden Einfluß auf ihn haben. Statt dessen rief er Skempton an, um zu fragen, ob der medizinische Offizier der Descartes einen Bericht erstellt hatte, und wurde furchtbar beschimpft, weil es für den Colonel gerade mitten in der Nacht war. Doch immerhin informierte Skempton ihn, daß der Chefpsychologe ebenfalls angerufen hatte, um die gleiche Information einzuholen, weil O’Mara es nach seinen eigenen Worten vorziehe, die Tatsachen lieber einem offiziellen Bericht zu entnehmen, als sie über einen emotional beteiligten Arzt zu erfahren, der dem Hirngespinst einer körperlosen Intelligenz erlegen sei.
Kurz darauf geschah etwas vollkommen Unerwartetes: Conways bisherige Informationsquellen versiegten plötzlich.
Anscheinend hatte O’Mara bestimmte OP-Mitarbeiter vorzeitig zu ihren regelmäßigen psychologischen Tests herangezogen. Und die meisten dieser Mitarbeiter waren ausgerechnet diejenigen gewesen, die sich Conway gegenüber sehr hilfsbereit und auskunftsfreudig gezeigt hatten. Zwar unterstellten ihm jetzt diese Leute nicht direkt, er habe ihr Vertrauen gebrochen und alles gegenüber O’Mara ausgeplaudert, doch gleichzeitig wollte auch niemand mehr mit ihm reden.
Conway fühlte sich müde, entmutigt und wie ein Narr, aber in erster Linie unendlich müde. Da aber schon bald Zeit zum Frühstücken war, lohnte es sich gar nicht mehr, noch ins Bett zu gehen.
Nach seinem üblichen Rundgang nahm Conway ein frühes Mittagessen mit Mannon und Prilicla ein. Anschließend begleitete er Mannon zu O’Maras Büro, während Prilicla zum hudlarischen OP aufbrach, um die emotionale Strahlung des Personals während der Operationsvorbereitungen zu überwachen. Der Chefpsychologe sah ein wenig müde und ziemlich mürrisch aus — wobei das erste relativ ungewöhnlich, das zweite hingegen normalerweise ein gutes Anzeichen war.
„Assistieren Sie Chefarzt Mannon bei dieser Operation, Doktor?“ fragte O’Mara.
„Nein, Sir, ich schaue nur zu“, antwortete Conway. „Aber im OP selbst, falls irgend etwas Ungewöhnliches passieren sollte. Ich meine, wenn ich assistieren würde, müßte ich das Hudlarerband speichern, und es könnte mich zu sehr ablenken, denn ich möchte im Kopf so klar und aufgeweckt wie möglich sein.“
„Klar und aufgeweckt sagen Sie?“ unterbrach O’Mara ihn mit schneidender Stimme. „Sie sehen so aus, als würden Sie jeden Augenblick im Stehen einschlafen.“ An Mannon gewandt fuhr er in freundlicherem Tonfall fort: „Sie werden erleichtert sein zu hören, auch ich beginne zu vermuten, daß irgend etwas Ungewöhnliches vor sich geht, und diesmal schaue ich von der Zuschauergalerie aus zu. Und wenn Sie sich jetzt bitte auf die Couch setzen würden, Mannon, dann werde ich Ihnen das Hudlarerband persönlich einspielen.“
Mannon hockte sich auf eine niedrige Couch. Seine Knie befanden sich fast auf gleicher Höhe mit dem Kinn, und die Arme hielt er über der Brust halb verschränkt, wodurch seine Pose beinahe der sitzenden Haltung eines Fötus glich. Und als er jetzt sprach, klang seine Stimme ungewöhnlich flehend, fast verzweifelt. „Hören Sie, ich hab schon früher mit Empathen und Telepathen zusammengearbeitet. Empathen empfangen zwar Emotionen, projizieren aber keine, und Telepathen können nur mit Angehörigen ihrer eigenen Spezies kommunizieren. Einige Telepathen haben es gelegentlich mit mir versucht, aber alles, was diese Wesen bei mir erreicht haben, war ein leichtes Jucken im Gehirn. Doch an dem fraglichen Tag im OP hatte ich meine Gedanken vollkommen beisammen, da bin ich mir absolut sicher! Trotzdem versuchen Sie immer noch, mir einzureden, daß irgend etwas Körperloses, Unsichtbares und Unentdeckbares mein Urteilsvermögen beeinflußt hat. Es wäre viel einfacher, wenn Sie endlich zugeben würden, daß dieses Etwas, nach dem Sie suchen, gar nicht existiert, aber Sie sind ja alle viel zu. ach, verdammt!“
„Entschuldigen Sie“, unterbrach ihn O’Mara. Dann drückte er ihn behutsam auf die Couch und setzte ihm einen massiven Helm auf. Es dauerte einige Minuten, bis er sämtliche Elektroden angebracht und das Gerät eingeschaltet hatte.
Als Mannon die Erinnerungen und Erfahrungen eines der größten hudlarischen Ärzte, der jemals gelebt hatte, ins Gehirn strömten, bekam er einen verschwommenen Gesichtsausdruck und seine Augen wurden glasig.
Kurz bevor er das Bewußtsein vollständig verlor, murmelte er: „Mein Problem ist, daß Sie alle immer nur das Beste von mir halten, egal, was ich sage oder tue.“
Zwei Stunden später befanden sich alle im OP. Mannon trug einen schweren Operationsanzug, Conway hingegen einen leichteren Typ, der lediglich durch einen integrierten Gravitationsgürtel Schutz bot. Die Schwerkraftgitter unter dem Boden waren auf fünf Ge eingestellt, den normalen Wert auf Hudlar, doch der Luftdruck lag nur um einen Bruchteil höher als der Normalwert für Terrestrier — Hudlarer störte niedriger Druck nicht sonderlich, sie konnten sogar fast völlig ohne Schutz im luftleeren Raum des Alls arbeiten. Sollte aber während der Operation etwas auf verheerende Weise schiefgehen und der Patient plötzlich den vollen Druck seines Heimatplaneten benötigen, dann würde Conway den OP schnellstens verlassen müssen. Zu Prilicla und O’Mara auf der Zuschauergalerie stand Conway im direkten Funkkontakt, und über einen zweiten, getrennten Kanal konnte er mit Mannon und dem OP-Personal reden.
Plötzlich knisterte in seinem Kopfhörer die Stimme von O’Mara. „Prilicla empfängt emotionale Echos, Doktor. Außerdem weist eine dieser Ausstrahlungen auf einen bereits begangenen kleineren Fehler hin — geringfügige Besorgnis und Verwirrung.“
„Yehudi ist hier“, sagte Conway leise.
„Was ist los?“
„Der kleine Mann, den ich nicht sah, als er neulich auf der Treppe war“, antwortete Conway grinsend. Dann fuhr er, etwas falsch zitierend, fort: „Er läßt sich heut’ erneut nicht seh’n, doch wünscht’ ich mir, er würde geh’n.“
O’Mara grunzte verächtlich und sagte dann: „Abgesehen von dem, was ich Mannon heute in meinem Büro erzählt hab, gibt es immer noch keinen echten Beweis dafür, daß irgend etwas Außergewöhnliches passiert. Mit meinen Bemerkungen wollte ich lediglich Mannon helfen, sein angekratztes Selbstbewußtsein wiederzuerlangen. Anscheinend hat das aber nichts gebracht. Deshalb wäre es für Sie und Mannon besser, wenn Ihr kleines Männchen endlich hereinkommen und sich vorstellen würde.“
In diesem Augenblick wurde der Patient hereingebracht und zum Tisch gefahren. Mannons Hände, die aus den schweren Ärmeln des Anzugs herausragten, steckten nur in dünnen, transparenten Plastikhandschuhen. Sollte jedoch der volle hudlarische Druck notwendig werden, konnte sich Mannon innerhalb weniger Sekunden schwere Handschuhe überstreifen. Aber einen Hudlarer überhaupt unter diesen Bedingungen zu öffnen, bedeutete, eine sofortige Dekompression zu veranlassen, weshalb die nachfolgenden Verfahren schnell durchzuführen waren.