Zunächst setzte er die komplizierte Operation nur zögernd, doch dann mit wachsender Selbstsicherheit und Geschwindigkeit fort. Gelegentlich pfiff er sogar durch die Zähne oder fluchte grausig, aber das war Mannons normales Verhalten während einer schweren Operation, wenn sie gut zu verlaufen versprach. Auf der Zuschauergalerie konnte Conway das glücklich griesgrämige und vor allem verblüfffte Gesicht O’Maras und den zerbrechlichen, spinnenhaften Körper des Empathen sehen.
Prilicla zitterte zwar noch immer, aber nur äußerst verhalten. Eine Reaktion, die man bei einem Cinrussker, der sich nicht auf seinem Heimatplaneten befand, nur sehr selten beobachten konnte und die auf eine in der Nähe befindliche emotionale Strahlungsquelle hinwies, die sehr intensiv und ausgesprochen angenehm sein mußte.
Nach der Operation wollten alle von Harrison mehr über den Fleischkloß wissen, doch bevor ihm jemand eine Frage stellen konnte, mußte Conway dem Lieutenant erst einmal erklären, was passiert war.
„Und obwohl wir noch immer keine Vorstellung davon haben, wie diese Wesen aussehen“, erzählte Conway gerade, „wissen wir doch, daß sie hochintelligent und auf ihre Weise technisch fortgeschritten sind. Damit meine ich, sie formen und benutzen Werkzeuge nach Belieben.“
„In der Tat, ja“, sagte Mannon trocken, und das „Etwas“ in seiner Hand verwandelte sich nacheinander in eine Metallkugel, eine Miniaturbüste von Beethoven und ein tralthanisches Gebiß. Seit absolute Gewißheit herrschte, daß sich die Operation an dem hudlarischen Patienten als ein weiterer Erfolg Mannons und keineswegs als ein Fehlschlag herausstellen würde, hatte dieser seinen Sinn für Humor wiedererlangt.
„Die Phase der Werkzeugherstellung muß sich allerdings sehr viel später als die Entwicklung der philosophischen Wissenschaften eingestellt haben“, fuhr Conway fort. „Die Umstände, unter denen sich diese Wesen entwickelt haben, sind für uns kaum vorstellbar. Diese Werkzeuge sind nicht für den manuellen Gebrauch bestimmt, denn die Einheimischen besitzen wahrscheinlich gar keine Hände oder Greiforgane, wie wir sie normalerweise kennen. Aber dafür haben sie Gehirne…!“
Unter der geistigen Kontrolle seines Besitzers hatte sich das „Werkzeug“ neben Harrisons Aufenthaltsort auf dem Schiff einen Weg in die Descartes hineingeschnitten, war jedoch während des plötzlichen Starts nicht in der Lage gewesen zurückzukehren. Dadurch hatte eine neue Quelle unwissentlich die geistige Steuerung übernommen — nämlich der Lieutenant. Das Werkzeug war zu der Halterung geworden, die er für seinen Fuß so dringend benötigt hatte, doch hatte es unter seinem Gewicht nachgegeben, weil es nicht wirklich mit dem Schiffskörper verbunden gewesen war. Als später die Zubehörteile von Harrisons Anzug im selben Raum wie die chirurgischen Instrumente sterilisiert wurden und eine Schwester hereinkam, um nach einem bestimmten Instrument für den OP zu suchen, wurde das Werkzeug wiederum zu dem, wozu es gerade gebraucht wurde.
Von da an herrschte Verwirrung über Instrumentenzählungen, herunterfallende Skalpelle, die nicht schnitten, oder Sprühdosen, die sich wirklich eigenartig verhielten. So benutzte Mannon ein Skalpell, das seinen Gedanken gefolgt war anstatt seinen Händen, was für den Patienten fast verheerende Folgen gehabt hätte. Doch nachdem Conway ihn aufgeklärt hatte, wußte Mannon, daß er ein kleines, nicht spezialisiertes Allzweckwerkzeug in den Händen hielt, das sowohl geistiger als auch manueller Kontrolle unterworfen war. Und einige der Formen und Dinge, die Mannon dieses „Werkzeug“ annehmen und tun ließ, sollten Conway diese Operation sein Leben lang nicht vergessen lassen.
„Dieses. Gerät. ist wahrscheinlich für seinen Besitzer von großem Wert“, schloß Conway mit ernstem Ton. „Von Rechts wegen sollten wir es zurückgeben. Aber wir brauchen es hier im Orbit Hospital, wenn möglich sogar noch einige mehr davon. Ihre Leute müssen Kontakt und Handelsbeziehungen zum Fleischkloß aufnehmen. Es muß doch irgend etwas geben, das diese Wesen von uns im Austausch dafür haben wollen oder was wir für sie tun können.“
„Ich würde meinen rechten Arm für ein solches Gerät geben“, bemerkte Mannon und fügte lächelnd hinzu: „Zumindest mein rechtes Bein.“
Der Lieutenant erwiderte sein Lächeln und sagte: „So, wie ich mich an den Planeten erinnere, herrscht dort kein Mangel an Frischfleisch, Doktor.“
O’Mara, der bis dahin außergewöhnlich still gewesen war, sagte in sehr ernstem Ton: „Normalerweise bin ich wahrhaftig alles andere als ein gieriger Mensch. Aber stellen Sie sich nur mal vor, was dieses Hospital mit nur zehn oder sogar nur fünf von diesen Dingern zustande bringen könnte. Wir besitzen eins, und wenn wir uns anständig verhalten, bringen wir es wieder dorthin zurück, wo wir es gefunden haben, denn offensichtlich hat ein solches Werkzeug einen unschätzbaren Wert. Das bedeutet, wir werden diese Dinger kaufen oder eine Art Tauschhandel um sie führen müssen. Dazu müssen wir aber erst einmal herausfinden, wie wir mit deren Besitzern kommunizieren können.“
Er blickte alle der Reihe nach an und fuhr dann mit ironischem Unterton fort: „Normalerweise zögert unsereins, solch schmutzige und kommerzielle Themen gegenüber so unverdorbenen und hingebungsvollen Ärzten wie Ihnen zu erwähnen. Mir bleibt allerdings leider nichts anderes übrig, um meinen folgenden Vorschlag zu begründen: Sobald die Descartes mit den Wesen, die diese Werkzeuge benutzen, Kontakt aufgenommen hat, möchte ich, daß Doktor Conway und wen er sich sonst noch als Begleitung aussucht, die medizinische Situation auf dem Fleischkloß untersucht. Denn selbst wenn unser Interesse nicht ausschließlich kommerzieller Natur sein wird“, fügte er rasch hinzu, „kommt es mir doch so vor, als ob die einzigen Dinge, die wir diesen Wesen zum Tausch anbieten können, unsere medizinischen Fachkenntnisse und Fähigkeiten sind.“
Schwindelgefühl
Vielleicht blickte die Mehrzahl der Beobachter auf dem Schiff zwangsläufig gerade irgendwo anders hin, als endlich der lang erwartete Beweis für das Vorhandensein intelligenten Lebens sichtbar wurde. Denn zur Überraschung aller tauchte er nicht etwa in den auf die Planetenoberfläche gerichteten Teleskoplinsen oder auf den Fotos oder Filmen auf, die von den Sonden der Descartes aufgenommen worden waren, sondern auf den Bildschirmen des Schiffsradars.
Im Kontrollraum der Descartes drückte der Captain einen Knopf auf dem Steuerpult und rief in scharfem Ton: „Verbindung hergestellt?“
„Wir haben es, Sir“, kam die Antwort. „Ein Teleskop ist auf Radarpeilung eingestellt, das Bild ist auf Ihrem Repeaterschirm fünf zu sehen. Es handelt sich um einen zwei- oder dreistufigen, chemisch betriebenen Flugkörper, dessen zweite Stufe immer noch brennt. Das bedeutet, wir sind in der Lage, seine Flugbahn zu rekonstruieren und den Abschußpunkt ziemlich genau festzustellen. Es sendet differenzierte Funkfrequenzmuster aus, die auf mit Hochgeschwindigkeit arbeitende Fernübertragungskanäle schließen lassen. Die zweite Stufe ist gerade ausgebrannt und abgestoßen worden. Die dritte, wenn es sich überhaupt um eine dritte Stufe handelt, hat nicht gezündet. das Schiff ist in Schwierigkeiten!“
Der Flugkörper, ein schmaler glänzender Zylinder, am einen Ende spitz, am anderen dicker und stumpf, war ins Trudeln geraten. Er rotierte und wirbelte zunächst langsam und dann mit ständig zunehmender Geschwindigkeit um die eigene Achse.
„Ein Raketengeschoß?“ fragte der Captain besorgt.
„Das glaube ich nicht“, meldete sich eine langsame, präzise Stimme. „Abgesehen von der Trudelbewegung scheint es in eine sehr saubere Umlaufbahn gelangt zu sein. Es ist höchst unwahrscheinlich, daß diese Umlaufbahn durch einen Zufall eingenommen worden ist. Die relativ einfache Schiffskonstruktion und die Tatsache, daß seine größte Annäherung an uns etwas weniger als dreihundert Kilometer betragen wird, deuten darauf hin, daß es sich entweder um einen künstlichen Satelliten oder um einen bemannten Flugkörper handelt, und nicht um eine auf unser Schiff gelenkte Rakete oder dergleichen.