Sollte dieses Gefährt allerdings bemannt sein“, fügte die Stimme hinzu, „dann muß die Besatzung in ernsthaften Schwierigkeiten stecken.“
„Ja“, antwortete der Captain, der Wörter wie seltene und kostbare Diamanten behandelte, und fuhr fort: „Astronavigation, bereiten Sie Kreuzung und Anpassung der Umlaufbahnen vor. Maschinenraum, halten Sie sich bereit.“
Als sich die ungeheure Masse der Descartes dem kleinen Alienflugkörper näherte, zeigte sich, daß er nicht nur taumelnd um die eigene Achse schlingerte, sondern auch leckgeschlagen war. Wegen der schnellen Drehung konnte man nicht mit Sicherheit sagen, ob es sich um ein Treibstoffleck in der nicht gezündeten dritten Stufe handelte oder ob aus der Kommandokapsel ein Atmosphäregemisch entwich, wenn es denn wirklich ein bemanntes Fahrzeug war.
Das nächstliegende Verfahren war, die Drehung mit Traktorstrahlen so sanft wie möglich abzubremsen, um eine Belastung der Rumpfkonstruktion zu vermeiden, und dann den Treibstoff aus der dritten Stufe zu entfernen, um die Feuergefahr abzuwenden, bevor man das Fahrzeug längsseits brachte. Sollte das Schiff jedoch bemannt sein und es sich vielmehr um ein Atmosphäre- als um ein Treibst off leck handeln, dann konnte es in den Laderaum der Descartes genommen werden. Dort würde man nach einer erfolgreichen Bergung in aller Ruhe ein Erstkontaktverfahren durchführen können, denn die Atmosphäre vom Fleischkloß war für Terrestrier geeignet, so daß umgekehrt vermutlich dasselbe galt.
Folglich rechnete man zunächst mit einer ziemlich simplen Rettungsaktion, aber dann.
„Hier Traktorstationen sechs und sieben, Sir. Der Flugkörper läßt sich nicht zum Stillstand bringen. Wir haben ihn dreimal langsam zum Halten gebracht, aber jedesmal gibt er neuen Schub und fängt wieder an, sich zu drehen. Aus irgendeinem Grund kämpft er absichtlich gegen unsere Bemühungen an, ihn zu stoppen. Geschwindigkeit und Art der Reaktion weisen darauf hin, daß er von einer Intelligenz gesteuert wird, die sich an Ort und Stelle befindet. Wir können zwar mehr Kraft anwenden, aber nur auf das Risiko hin, den Rumpf zu beschädigen. Nach unseren heutigen Maßstäben ist dieses Alienschiff nämlich sehr leicht gebaut, Sir.“
„Ich schlage vor, die Drehung mit aller erforderlichen Kraft sofort zu stoppen, die Tanks des Fahrzeugs zu öffnen und den gesamten Treibstoff in den Raum abzuwerfen und es dann schnell in den Laderaum zu ziehen. Sobald rings um das Schiff wieder normaler Druck herrscht, besteht für dessen Besatzung keine Gefahr mehr, und wir werden genug Zeit haben, um.“
„Hier Astronavigation. Tut mir leid, Sir, aber das muß ich ablehnen. Unsere Berechnungen zeigen, daß das Alienschiff vom Meer aus gestartet wurde, beziehungsweise genauer gesagt vom Meeresufer aus, denn es gibt in der Gegend keine sichtbaren Anzeichen von schwimmenden Abschußrampen oder anderen Startvorrichtungen. Wir können zwar die Atmosphäre des Fleischkloßes reproduzieren, weil sie mit unserer praktisch identisch ist, aber nicht diese tierische und pflanzliche Suppe, die ich mal als Wasser bezeichnen möchte, und alles deutet darauf hin, daß die Besatzung aus Wasseratmern besteht.“
Ein paar Sekunden lang antwortete der Captain nicht. Er dachte über die aus einem oder mehreren Aliens bestehende Besatzung nach und welche Gründe sie zu einem solchen Verhalten veranlaßt hatte. Ob es sich dabei nun um einen technischen, physiologischen oder psychologischen Grund handelte, war im Augenblick allerdings von sekundärer Bedeutung, die Hauptsache war, jetzt so schnell wie möglich Hilfe leisten.
Wenn die Descartes auch nicht in der Lage war, dem anderen Schiff direkt zu helfen, konnte es das Fahrzeug zumindest innerhalb von Tagen zu einem anderen Ort abschleppen, der alle notwendigen Hilfseinrichtungen besaß. Der Transport selbst stellte nur ein geringes Problem dar — das rotierende Fahrzeug konnte man ins Schlepptau nehmen, ohne die Drehung aufzuhalten, indem man an der Rotationsachse einen magnetischen Greifer anbrachte, dessen Befestigungspunkt sich an der Rumpfseite der Descartes mitdrehte. So könnte man verhindern, daß die Trosse durch die ständige Drehung immer kürzer werden und das Alienfahrzeug irgendwann auf die Schiffswand der Descartes krachen würde. Zudem könnte während des Flugs das Hyperantriebsfeld des größeren Schiffs erweitert werden, um beide Schiffe zu umschließen.
Die Hauptsorge des Captains galt jedoch dem Leck und daß er keinerlei Kenntnisse besaß, wie lange das Alienfahrzeug in der Umlaufbahn bleiben wollte. Darüber hinaus mußte er, wenn er mit den Bewohnern des Fleischkloßes in freundschaftliche Beziehungen treten wollte, schnell die richtige Entscheidung treffen.
Er wußte, daß in den frühen Tagen des terrestrischen Raumflugs das Auftreten von Lecks und deren Reparatur ein relativ normales Ereignis gewesen war — damals hatte man es aus verschiedensten Gründen vorgezogen, lieber durch das Mitführen zusätzlicher Luftvorräte als durch eine Verstärkung der Konstruktion Gewichtsnachteile in Kauf zu nehmen. Doch schien es sich bei dem Leck und der Drehung des Alienschiffs wohl eher um einen dringenden Notfall zu handeln, der nur in einem stark begrenzten Zeitraum korrigiert werden konnte. Da es die Alienbesatzung aus irgendeinem unerfindlichen Grund nicht zuließ, das Schiff zum Stillstand zu bringen — wodurch eine gründlichere Untersuchung seines Zustands ermöglicht worden wäre — und die erforderlichen Umweltbedingungen auf der Descartes sowieso nicht reproduziert werden konnten, gab es für den Captain eigentlich nur noch eine einzige Möglichkeit. Wahrscheinlich lag sein kurzes Zögern an unangebrachtem Berufsstolz, weil er durch seine Entscheidung die Verantwortung für eine besonders heikle Aufgabe auf andere übertragen würde.
Mit seiner üblichen Wortökonomie erteilte er schließlich rasch die nötigen Befehle, und knapp eine halbe Stunde nachdem es gesichtet worden war, befand sich das Alienschiff bereits auf dem Weg zum Orbit Hospital im galaktischen Sektor zwölf.
Mit penetranter Beharrlichkeit wiederholte die monotone Lautsprecherstimme: „Chefarzt Doktor Conway möchte sich bitte umgehend mit Major O’Mara in Verbindung setzen.“
Conway schätzte rasch die Verkehrslage im Korridor ab, sprang einem tralthanischen Assistenzarzt aus dem Weg, der mit seinen sechs Mammutbeinen auf ihn zugestampft kam, streifte dann kurz das Fell einer kelgianischen Raupe, die in entgegengesetzte Richtung robbte, und nahm schließlich den Hörer eines Kommunikators in die Hand, wobei er sich gegen die Wand drücken mußte, um nicht von einem Wesen in einer Tiefkühlbox auf Rädern überfahren zu werden.
Kaum hatte er die Verbindung hergestellt, fing die Übertragungsanlage erneut an, mit penetranter Beharrlichkeit zu bitten, daß sich irgendwer mit irgendwem in Verbindung setzen möge.
„Haben Sie im Augenblick etwas Wichtiges zu tun, Doktor?“ fragte der Chefpsychologe ohne einleitende Worte. „Arbeiten Sie vielleicht an irgendeinem entscheidenden Forschungsobjekt, oder führen Sie etwa gerade eine Operation auf Leben und Tod durch?“ O’Mara legte eine Pause ein und fügte dann trocken hinzu: „Diese Fragen waren natürlich rein rhetorisch gemeint.“
Conway seufzte und erwiderte: „Ich wollte gerade zum Mittagessen gehen.“
„Sehr schön“, entgegnete O’Mara. „In dem Fall werden Sie entzückt sein zu hören, daß die Bewohner vom Fleischkloß irgendein Raumfahrzeug in die Umlaufbahn gebracht haben, und seinem Aussehen nach zu urteilen, könnte es sich dabei um einen Prototyp handeln. Jedenfalls ist das Ding in Schwierigkeiten geraten, und Colonel Skempton kann Ihnen dazu mehr Einzelheiten verraten. Die Descartes bringt es hierher, damit wir uns mit der Besatzung genauer befassen. Es wird in knapp drei Stunden eintreffen, und ich schlage vor, Sie fliegen mit einer Ambulanzfähre und schwerem Bergungsgerät zu diesem Raumfahrzeug hinaus, um erst einmal die Besatzung zu befreien. Des weiteren werde ich anregen, Doktor Mannon und Prilicla von ihren normalen Pflichten zu entbinden, damit Sie Ihnen behilflich sein können, zumal Sie drei ja so langsam zu unseren Spezialisten in Fleischkloß-Angelegenheiten geworden sind.“