Ein anderes Lebewesen hatte sich über ungefähr zwanzig Quadratmeter Meeresboden ausgebreitet, während ein zweites unmittelbar darüberschwebte. Soweit Conway sehen konnte, besaßen sie zwar keine Stacheln oder Dornen, doch alles andere schien ihnen lieber aus dem Weg zu gehen, und das tat Conway ebenfalls.
Plötzlich befand sich Camsaug in Schwierigkeiten.
Conway hatte nicht gesehen, wie es passiert war, sondern nur, daß Camsaug beim Rollen mehr als gewöhnlich gewackelt hatte. Noch während er mit Hilfe des Düsenaggregats auf ihn zuraste, sah er bereits ein Büschel vergifteter Stacheln in Camsaugs Seite stecken. Als er ihn erreichte, rollte Camsaug in einem engen Kreis beinahe flach auf dem Boden wie eine Münze in Zeitlupe, die sich fast zu drehen aufgehört hatte. Conway wußte, was zu tun war, da er es bereits mit einem ähnlichen Notfall zu tun gehabt hatte, als Surreshun in das Hospital eingeliefert worden war. Er hob den Doughnut schnell in die Senkrechte und begann ihn wie einen überdimensionalen Autoreifen, dem die Luft ausgegangen war, über den Meeresboden zu rollen.
Camsaug gab zwar nur unübersetzbare Laute von sich, doch Conway spürte, wie der Körper allmählich wieder straffer wurde, während er ihn rollte — Camsaug begann sich zu erholen. Plötzlich rollte er wackelnd von Conway weg und direkt auf zwei Stachelpflanzen zu. Conway stieg etwas höher, um ihn noch rechtzeitig abzufangen, aber im selben Augenblick stürzte ein Plattfisch mit aufgerissenem Maul auf ihn los, und er tauchte instinktiv nach unten, um ihm auszuweichen.
Der riesige Schwanz peitschte an ihm vorbei und verfehlte ihn knapp, riß ihm aber das Antriebsaggregat vom Rücken. Gleichzeitig holte eine Dornenpflanze nach seinen Beine aus und zerfetzte den Anzugstoff an einem Dutzend Stellen. Conway spürte, wie das kalte Wasser an den Beinen entlang in seinen Anzug eindrang, und unter der Haut empfand er ein Gefühl, als würde ihm flüssiges Feuer durch die Adern rinnen. Er erhaschte einen flüchtigen Blick von Camsaug, der wie ein unbelehrbarer Idiot auf eine Qualle zurollte. Und ein zweites dieser Lebewesen sank wie eine schillernde Wolke auf ihn selbst herab. Wie schon zuvor bei Camsaug waren die Laute, die jetzt Conway von sich gab, nicht übersetzbar.
„Doktor!“ Die Stimme war wegen ihrer Eindringlichkeit so schrill, daß er sie nicht erkennen konnte. „Was geht da unten vor?“
Conway wußte es selbst nicht und konnte sowieso nicht reden. Sein Anzug war zum Schutz gegen eine mögliche Beschädigung in irgendeiner schädlichen Atmosphäre oder im All in ringförmige Abschnitte unterteilt, die eine aufgerissene Stelle abdichteten, indem sie sich ausdehnten und sich fest gegen die Haut preßten. Die Idee dabei war, einen Druckabfall oder eine Verseuchung durch Gase an der Schadstelle zu stoppen — doch in diesem Fall wirkten die ausgedehnten Ringe gleichzeitig als Aderpresse, die das Vordringen des Gifts in seinem Blutkreislauf verlangsamten. Trotzdem konnte Conway weder Arme noch Beine und nicht einmal den Unterkiefer bewegen. Sein Mund stand jedoch offen, und er konnte immerhin atmen — wenn auch nur sehr schwach.
Die Qualle befand sich direkt über ihm. Ihre Ränder bogen sich nach unten, legten sich über seinen Körper und hüllten ihn in einen fast unsichtbaren Kokon.
„Doktor! Ich komme runter!“ Es klang wie Edwards.
Conway spürte, wie irgend etwas mehrmals auf seine Beine einstach, und stellte fest, daß die Qualle Stacheln oder Dornen hatte und sie dort einsetzte, wo der Stoff seines Anzugs von der Pflanze aufgerissen worden war. Verglichen mit dem brennenden Gefühl in den Beinen war der Schmerz zwar relativ gering, aber es beunruhigte ihn, weil die Stiche sehr nah an den Enden der Oberschenkelvenen und — arterien zu sein schienen. Mit gewaltiger Anstrengung bewegte er den Kopf, um zu sehen, was vor sich ging, doch in dem Moment wußte er es bereits, und der durchsichtige Kokon färbte sich leuchtendrot.
„Doktor! Wo sind Sie? Ich kann Camsaug herumrollen sehen. Sieht aus, als wenn er in eine rosa Plastiktüte gewickelt ist. Genau über ihm befindet sich ein großer roter Ball aus irgendeinem Material.“
„Das bin ich.“, begann Conway schwach.
Der scharlachrote Schleier um ihn herum hellte sich für einen Augenblick auf. Etwas Großes und Dunkles huschte an ihm vorbei, und Conway spürte, wie er sich mehrere Male kopfüber drehte. Die Röte um ihn herum wurde wieder lichtdurchlässiger.
„Das war ein Plattfisch“, sagte Edwards. „Ich hab ihn mit meinem Laser verjagt. Doktor?“
Jetzt konnte Conway den Major zum erstenmal sehen. Edwards trug einen schweren Anzug, der ihn zwar vor den Dornen- und Stachelgewächsen schützte, genaues Schießen jedoch schwierig machte — seine Waffe schien direkt auf Conway gerichtet zu sein. Dieser nahm instinktiv die Hände hoch und bemerkte, daß sich seine Arme wieder leicht bewegen ließen. Er konnte auch den Kopf drehen, seinen Rücken beugen, und die Beine taten weniger weh. Als er sie in der Kniegegend begutachtete, waren sie dort zwar leuchtendrot, aber der Körper der Qualle schien nur um seine Beine herum weniger durchsichtig zu sein.
Äußerst merkwürdig!
Er sah wieder durch den Kokon hindurch zu Edwards hinüber und dann auf das unbeholfen und gefährlich langsam wirkende Rollen des eingewickelten Camsaug, und plötzlich ging ihm ein gewaltiges Licht auf.
„Schießen Sie bloß nicht, Major“, sagte er schwach, aber mit Nachdruck. „Bitten Sie den Lieutenant, das Rettungsnetz abzuwerfen. Hieven Sie uns beide zum Hubschrauber hoch, und ffiegen Sie uns dann zur Descartes. Schnell! Natürlich nur, wenn mein Freund hier in der Luft überleben kann. In dem Fall schleppen Sie uns lieber gleich unter Wasser zur Descartes — mein Luftvorrat reicht noch. Aber seien Sie sehr vorsichtig, daß Sie ihn nicht verletzen.“
Edwards und Harrison wollten natürlich wissen, was er da eigentlich redete, und nach einer knappen Erklärung fügte er hinzu: „Wie Sie sehen, ist diese Qualle nicht nur mein Kollege, die Fleischkloß-Entsprechung eines Arztes also, sondern ich habe ihr auch mein Leben zu verdanken. Zwischen uns besteht eine enge persönliche Bindung — man könnte fast sagen, wir sind Blutsbrüder.“
Der Fleischkloß
Conway hatte sich während des gesamten Rückflugs zum Hospital über das Problem des Fleischkloßes Gedanken gemacht, doch erst in den letzten zwei Stunden nahm dieser Vorgang konstruktive Züge an. Das war der Zeitpunkt gewesen, als er sich endlich selbst eingestanden hatte, daß er das Problem allein nicht lösen konnte, und damit begonnen hatte, an Namen und berufliche Fähigkeiten von einigen der terrestrischen und extraterrestrischen Wesen zu denken, die ihm möglicherweise dabei behilflich sein konnten, eine Lösung zu finden. Weil er sich gerade auf so angestrengte und konstruktive Art Gedanken machte, bemerkte er gar nicht, daß sich ihr Schiff schon die vorgeschriebenen dreißig Kilometer vom Hospital entfernt materialisiert hatte, bis die ausdruckslose Translatorstimme der Anmeldezentrale aus dem Lautsprecher des Kontrollraums schepperte.
„Identifizieren Sie sich bitte. Patient, Besucher oder Mitarbeiter? Und welche Spezies?“
Der Lieutenant des Korps, der das Schiff flog, sah nach hinten zu Conway und Edwards, dem medizinischen Offizier des Mutterschiffs, und zog eine Braue hoch.
Edwards räusperte sich nervös und antwortete: „Hier ist Aufklärungsschiff Dl-835, Anlandungs- und Kommunikationsschiff des Vermessungs- und Kontaktschiffs des Monitorkorps mit Namen Descartes. Wir haben vier Besucher und einen Personalangehörigen an Bord. Drei sind menschlich, und zwei sind gebürtige Dramboner, die verschiedenen Spezies angehören.“