„Nein“, unterbrach ihn Conway mit bestimmtem Ton. „Ich mache mir über die Kompressionsauswirkungen einer großen Explosion im Tunnel Sorgen. Die Druckwelle würde sich bis tief ins Innere ausbreiten und dabei eine große Anzahl von Farmerfischen und Leukozyten töten, ganz zu schweigen von den riesigen Mengen der empfindlichen inneren Vegetation. Wir müssen den Tunnel so nah wie möglich am Einschnitt versiegeln, Major, und den Schaden auf diesen Abschnitt beschränken.“
„Dann die B-22, die sind in der Lage, Panzer zu durchschlagen“, schlug Holroyd prompt vor. „In diese Substanz könnten sie ohne Schwierigkeiten fünfzig Meter weit eindringen. Ich schlage vor, drei Raketen gleichzeitig abzuschießen, die in einigem Abstand übereinander oberhalb der Tunnelöffnung einschlagen, damit sie genügend loses Material zum Einsturz bringen, um den Tunnel selbst gegen den Druck von Wasser zu versperren, das es beim Sinken wegzuspülen versuchen sollte.“
„Der Vorschlag klingt doch schon viel besser“, erwiderte Conway.
Aber der technische Offizier der Vespasian konnte weit mehr als nur Vorschläge machen. Innerhalb weniger Minuten zeigte der Bildschirm einen Kreuzer, der tief über den Einschnitt schwebte. Conway sah nicht, wie die Raketen abgeschossen wurden, weil ihm plötzlich einfiel zu überprüfen, ob ihr Raupenbohrer weit genug weggeschwemmt worden war, um nicht vom Schutt begraben zu werden — das war glücklicherweise der Fall. Den ersten Hinweis, daß überhaupt etwas passiert war, bekam er, als der Wasserstrom auf einmal trübe wurde, sich zu einem Rinnsal verlangsamte und schließlich zum Stillstand kam. Ein paar Minuten später begannen große Klumpen von dickem, zähflüssigem Schlamm über den Tunnelrand zu quellen, und plötzlich sackte ein riesiger Teil des Bereichs um die Öffnung herum ab, zerbrach und rutschte wie eine Masse aus braunem Porridge in die Schlucht.
Die Tunnelöffnung war jetzt fünf-, sechsmal so groß wie vorher, und der Patient blutete weiterhin mit unverminderter Stärke.
„Tut mir leid, Doktor“, meldete sich Holroyd. „Soll ich ihm noch mal eine Dosis verpassen und versuchen, sie tiefer hineinzubekommen?“
„Nein, warten Sie.“
Conway versuchte verzweifelt nachzudenken. Er wußte zwar, daß er eine chirurgische Operation durchführte, aber er konnte es nicht recht glauben — sowohl die Schwierigkeiten als auch der Patient waren einfach zu groß. Wenn sich ein Terrestrier in derselben Verfassung befunden hätte, dann wüßte er — selbst wenn ihm keine Instrumente oder Medikamente zur Verfügung gestanden hätten —, was zu tun wäre: den Blutfluß an einem Druckpunkt aufhalten, eine Aderpresse anlegen. Das war es!
„Holroyd, setzen Sie noch einmal drei Raketen an dieselbe Stelle und genauso tief wie beim letztenmal!“ ordnete er rasch an. „Aber können Sie, bevor Sie die Raketen abschießen, die Pressorstrahlen Ihres Schiffs so einstellen, daß so viele wie möglich genau über die Tunnelöffnung gerichtet sind? Und lassen Sie sie nicht gerade strahlen, sondern biegen sie die Strahlen, wenn möglich, direkt auf die Wand des Einschnitts um. Meine Idee dabei ist, das Gewicht Ihres Schiffs dafür auszunutzen, die von den Raketen zum Einsturz gebrachte Substanz zusammenzupressen und abzustützen.“
„Wird erledigt, Doktor.“
Die Vespasian brauchte weniger als fünfzehn Minuten, um ihre unsichtbaren Beine neu einzustellen und auszurichten und die Raketen abzuschießen. Der Wasserfall versiegte fast im Nu — und diesmal anscheinend endgültig. Die Tunnelöffnung war verschwunden, und an ihrer Stelle befand sich eine große, untertassenförmige Mulde in der Wand des Einschnitts, auf die die Steuerbordpressorstrahlen der Vespasian gerichtet waren. Zwar sickerte immer noch Wasser durch die zusammengepreßte Dichtung, doch solange der Kreuzer in Position blieb und sein nicht unerhebliches Gewicht dagegen stemmte, würde sie halten. Als zusätzliche Sicherheitsvorkehrung brachte man bereits eine weitere aufblasbare Dichtung in den Versorgungstunnel.
Plötzlich wurde das Bild durch ein Gesicht ersetzt, das trotz der unverkennbaren Altersfalten jung geblieben war. Es war der Geschwaderkommandant höchstpersönlich, auf dessen grüner Uniformjacke ein nicht unbeträchtliches Gewicht von Rangabzeichen lastete.
„Doktor Conway. Mein Flaggschiff war im Laufe seiner Dienstzeit schon an einigen merkwürdigen Übungen beteiligt, wir sind aber bisher noch nie gebeten worden, eine Aderpresse zu halten.“
„Entschuldigen Sie, Sir. Das schien die einzige Möglichkeit zu sein, die Situation in den Griff zu bekommen. Aber im Augenblick möchte ich, daß Sie, wenn es Ihnen nichts ausmacht, unseren Raupenbohrer hochheben lassen und zu den Koordinatennummern.“
Er brach ab, weil ihm Harrison zuwinkte. Der Lieutenant sagte leise: „Nicht diesen Raupenbohrer. Bitten Sie ihn darum, den anderen überprüfen und auf uns warten zu lassen, sobald man uns hier herausgezogen hat.“
Drei Stunden später saßen sie in dem zweiten umgebauten und verstärkten Raupenbohrer, der unter einem Transporthubschrauber hing, und erreichten das Gebiet, in dem sich, wie sie hofften, das Gehirn der Schichtkreatur und/oder die Einrichtungen zur Werkzeugherstellung befanden. Der Flug verschaffte ihnen die Möglichkeit, ein paar konstruktive Theorien über ihren Patienten aufzustellen.
Sie waren jetzt überzeugt, daß er sich ursprünglich aus einer beweglichen Pflanzenform entwickelt hatte. Er war schon immer groß und ein Allesfresser gewesen. Und als diese Lebensformen anfingen, voneinander zu leben, nahmen sie an Größe und Komplexität zu und in der Anzahl ab. Es schien keine Art und Weise zu geben, auf die sich die Schichtkreatur selbst vermehren konnte. Sie lebte und wuchs einfach weiter, bis sie von einem größeren Lebewesen ihrer eigenen Spezies getötet wurde. Der Patient war die größte, älteste, widerstandsfähigste und klügste Kreatur ihrer Art. Als alleinige Bewohnerin ihrer Landmasse seit vielen Tausenden von Jahren bestand für sie nicht mehr die Notwendigkeit, sich körperlich zu bewegen, weshalb sie wieder Wurzeln geschlagen hatte.
Dabei hatte es sich aber um keinen Degenerationsprozeß gehandelt. Ohne die Möglichkeit, andere Wesen ihrer eigenen Spezies zu fressen, hatte sie Methoden gefunden, ihr Wachstum zu kontrollieren und den Metabolismus leistungsfähiger zu machen, indem sie Werkzeuge entwickelte, die Arbeiten wie Graben, die Erforschung der Planetenoberfläche und die Verarbeitung notwendiger Minerale für ihr Nervennetz ausführten. Der ursprüngliche Farmerfisch war wahrscheinlich eine Spezies, die wie der biblische Jonas nur im Magen der Schichtkreatur überleben konnte. Im Magen wuchsen später sowohl für die Kreatur, in der er sich befand, als auch für den Farmerfisch selbst Pflanzenzähne, um beide gleichermaßen vor Raubtieren zu schützen, die durch die Mäuler eingesogen wurden. Wie die Leukozyten dort hineingelangt waren, war noch nicht klar, aber die rollenden Dramboner stießen hin und wieder auf Angehörige einer kleineren, weniger hochentwickelten Art, die wahrscheinlich die wilden Vettern dieser quallenartigen Blutegel waren.
„Doch ein Punkt, den wir nicht vergessen dürfen, wenn wir versuchen, mit der Schichtkreatur zu reden, ist, daß der Patient nicht nur blind, taub und stumm ist, sondern auch nie ein zweites Lebewesen seiner Art hatte, mit dem er reden konnte“, beendete Conway seine Erläuterungen mit ernster Stimme. „Unser Problem besteht nicht darin, einfach nur irgendeine bestimmte und besonders schwierige ET-Sprache zu lernen, sondern wir müssen mit einem Wesen kommunizieren, das nicht einmal die Bedeutung des Wortes „kommunizieren“ kennt.“
„Falls du versuchst, meine Moral zu heben“, merkte Murchison trocken an, „muß ich dich leider enttäuschen.“
Conway hatte nach vorn durch die Vorderkanzel gestarrt, hauptsächlich, um nicht auf das auf den Repeaterschirmen dargestellte Gemetzel blicken zu müssen, wo die Angriffe der Werkzeuge auf die Fütterungs- und Transfusionsstellen immer größere Ausmaße annahmen.