»Ha!« sagte Cojote, und er klang tief befriedigt.
Der Himmel wurde hell, und die Sonne brach plötzlich über die Oberkante der fernen Wand und blendete Nirgal für einige Zeit. Aber als die Sonne höher stieg, wichen die Schatten auf der riesigen halbkreisförmigen Klippe Keilen von Licht, die scharf gezackte Einschnitte zeigten, welche die große Krümmung der Wand überzogen, die so groß war, daß Nirgal nach Luft schnappte, die Nase dicht an die Windschutzscheibe gepreßt. Es war fast erschreckend, so groß! »Cojote, was ist das?«
Cojote stieß eines seiner alarmierenden Gelächter aus. Das animalische Gackern erfüllte den Wagen. »Du siehst, Junge, die Welt ist doch nicht so klein. Dies ist der Boden des Prometheus-Beckens. Das ist ein Ein-Sturzbecken, eines der größten auf dem Mars, fast so groß wie Argyre. Aber es ist nahe dem Südpol aufgetroffen, so daß etwa die Hälfte seines Randes inzwischen unter der Polkappe und dem terrassierten Gelände begraben wurde. Die andere Hälfte ist diese gekrümmte Böschung hier.« Er machte eine weite Handbewegung. »Eine Art von übergroßer Caldera, aber hier nur halb, so daß man direkt hineinfahren kann. Diese kleine Anhöhe ist der beste Platz, um sie zu sehen, den ich kenne.« Er rief eine Karte der Gegend auf und zeigte: »Wir befinden uns auf dem Ausläufer dieses kleinen Kraters hier, Vt, und blicken nach Nordwesten. Die Klippe dort sind die Promethei Rupes. Sie ist ungefähr ein Kilometer hoch. Natürlich ist die Echusklippe drei Kilometer hoch, und die vom Olympus Mons ist sechs Kilometer hoch. Hörst du das, Mister Kleinplanet?«
Die Sonne stieg noch höher und beleuchtete die große Kurve der Klippe von oben. Die war tief zerschnitten durch Schluchten und kleinere Krater. Cojote sagte: »Das Prometheus-Versteck befindet sich in der Seite jenes großen Einschnittes.« Er wies auf die linke Seite der Kurve. »Krater Wj.«
Während sie den ganzen langen Tag über warteten, schaute Nirgal fast ständig auf die gigantische Klippe. Die sah jedesmal anders aus, wenn die Schatten kürzer wurden und wanderten, neue Merkmale zeigten und andere verdunkelten. Es hätte Jahre erfordert, alles anzusehen; und er konnte sich nicht des Gefühls erwehren, daß die Wand unnatürlich oder sogar unmöglich hoch war. Cojote hatte recht — die engen Horizonte hatten ihn genarrt. Er hatte sich nicht vorgestellt, daß die Welt so groß sein könnte.
In der Nacht fuhren sie in den Krater Wj, eine der größten Böschungen in der riesigen Wand. Und dann erreichten sie die gekrümmte Klippe von Promethei Rupes. Sie ragte über ihnen auf wie die vertikale Seite des Universums selbst. Die Polkappe war nichts im Vergleich mit dieser Felsenmasse. Das bedeutete, die Klippe von Olympus Mons müßte… Er wußte nicht, wie er sich das vorstellen konnte.
Unten am Fuß der Klippe, an einer Stelle, wo ungebrochener Fels fast senkrecht in flachen Sand abfiel, befand sich in einer Nische eine Schleusentür. Drinnen war die Zufluchtsstätte namens Prometheus, eine Anzahl weiter Räume, die wie die Zimmer eines Bambushauses übereinander lagen mit gebogenen Fenstern mit Filtern, die auf den Krater Wj und das große Becken dahinter schauten. Die Bewohner des Asyls sprachen Französisch, und Cojote auch, wenn er sich mit ihnen unterhielt. Sie waren nicht so alt wie Cojote und die anderen Issei, aber doch ziemlich betagt und von irdischer Größe, was bedeutete, daß sie zu Nirgal meistens aufschauen mußten, während sie in fließendem, aber nicht akzentfreiem Englisch freundlich mit ihm redeten. »Du bist also Nirgal! Enchante! Wir haben von dir gehört und freuen uns, dich kennenzulernen.«
Eine Gruppe von ihnen führte ihn herum, während Cojote andere Dinge erledigte. Ihr Asyl war ganz anders als Zygote. Es bestand, kurz gesagt, nur aus Zimmern. Es gab einige große, die sich an der Wand auftürmten, und kleine dahinter. Drei Fenster waren Gewächshäuser, und alle Räume im ganzen Quartier wurden sehr warm gehalten und waren voller Pflanzen, Wandbehängen, Plastiken und Springbrunnen. Darum fand Nirgal es eingeschränkt, viel zu heiß, aber höchst faszinierend.
Aber sie verweilten nur einen Tag und fuhren dann mit Cojotes Wagen in einen großen Aufzug, in dem sie eine Stunde lang saßen. Als Cojote aus der gegenüberliegenden Tür fuhr, waren sie auf der Höhe des unebenen Plateaus, hinter Promethei Rupes. Und hier bekam Nirgal einen neuen Schock. Als sie unten bei Ray’s Lookout gewesen waren, hatte die große Klippe eine Grenze gebildet für das, was sie sehen konnten, und er war imstande gewesen, das zu verstehen. Aber oben auf der Klippe waren, wenn man zurückblickte, die Distanzen so groß, daß Nirgal nicht erfassen konnte, was er sah. Es war nur eine unscharfe, schwindelerregende Masse von Buckeln und Farbflecken — weiß, braun, rostrot und wieder weiß. Das war ihm unangenehm.
Cojote sagte: »Ein Sturm zieht auf«, und Nirgal erkannte plötzlich, daß die Farben über ihnen eine Flotte hoher fester Wolken waren, die über einen violetten Himmel fuhren mit der Sonne im Westen. Die Wolken waren oben weißlich und ganz wie Lappen, aber unten dunkelgrau. Diese Wolkenunterseiten waren ihren Köpfen näher als der Boden des Beckens, und sie waren flach ausgerichtet, als ob sie auf einem transparenten Boden glitten. Die Welt da unten war keineswegs so gleichmäßig, sondern bräunlich gefleckt. Ah, das waren die Schatten der Wolken, die sich sichtlich bewegten. Und die weiße Sichel da draußen in der Mitte war die Polkappe! Sie konnten die ganze Strecke bis nach Hause sehen. Daß er das Eis erkannte, gab ihm das letzte bißchen an Perspektive, die er brauchte, um die Dinge zu verstehen. Und die Farbflecken stabilisierten sich zu einer buckligen, unebenen Ringlandschaft, die von ziehenden Wolkenschatten gefleckt war.
Für diese verwirrende Erkenntnis hatte Nirgal nur wenige Sekunden gebraucht, aber als er damit fertig war, sah er, daß Cojote ihn mit einem breiten Grinsen beobachtete.
»Wie weit können wir sehen, Cojote? Wie viele Kilometer?«
Cojote kicherte nur. »Junge, frag den Großen Mann! Oder rechne es dir selbst aus! Was, dreihundert Kilometer? So ungefähr. Für den Großen nur ein Sprung. Tausend Reiche für die Kleinen.«
»Ich möchte die laufen.«
»Das tust du sicher. Oh, schau nur! Dort — von den Wolken über der Kappe. Ein Blitz, siehst du ihn? Dieses leichte Flimmern — das sind Blitze.«
Aber es gab auch große Lichtfäden, die lautlos auftauchten und verschwanden, einer oder zwei alle paar Sekunden. Sie verbanden schwarze Wolken mit weißem Boden. Endlich sah Nirgal Blitze mit eigenen Augen. Die weiße Welt funkelte in die grüne und schüttelte sie. »Es geht nichts über einen großen Sturm«, versicherte Cojote. »Oh, draußen im Wind zu sein! Wir haben diesen Sturm gemacht, Junge. Obwohl ich denke, daß ich sogar einen noch größeren machen könnte.«
Aber einen größeren konnte Nirgal sich überhaupt nicht vorstellen. Was unter ihnen lag, war kosmisch weit — elektrisch mit Farbe durchsetzt, winderfüllt in seiner Weiträumigkeit. Er war wirklich etwas erleichtert, als Cojote ihren Wagen wendete und losfuhr. Der unscharfe Anblick verschwand, und der Rand der Klippe hinter ihnen wurde zu einem neuen Horizont.
»Was ist eigentlich ein Blitz?«
»Nun, Blitz … Mist! Ich muß gestehen, daß der Blitz eines jener Phänomene in dieser Welt ist, deren Erklärung ich nicht im Kopf behalten kann. Man hat es mir gesagt, aber es entfällt mir immer wieder. Natürlich Elektrizität, etwas mit Elektronen oder Ionen, positiv und negativ, Ladungen, die sich in Gewitterköpfen aufbauen, zum Boden hin entladen oder auch zugleich nach oben und unten springen, so glaube ich mich zu erinnern. Wer weiß? Kra-wumm! Das ist ein Blitz, he?«
Die weiße Welt und die grüne, die sich aneinander reiben und dann zuschnappen. Natürlich.