»So?« wiederholte Kasei und lachte. »Cojote sagt, wir sollten dich fragen, was zu tun wäre.«
Nadia knurrte: »Wieso, finde ich schwer zu glauben.«
»He, auch hier glaubt das keiner. Aber das ist es, was Cojote gesagt hat; und wir mögen den alten Schurken gewähren lassen, wenn wir können.«
»Na schön, gebt ihnen freies Geleit nach Burroughs! Das ist ein hirnloser Mensch, wenn ich je einen gesehen habe. Es wird nichts ausmachen, wenn in Burroughs hundert Bullen mehr sind; und je weniger Reaktoren schmelzen, desto besser. Wir waten noch in der Strahlung vom letzten Mal herum.«
Sax kam herein, während Kasei darüber nachdachte. »Okay!« sagte er dann. »Wenn du es sagst. Wir sprechen uns später. Ich muß gehen, ka.«
Nadia schaute ärgerlich auf ihren leeren Bildschirm am Armband.
»Um was ging es da?« fragte Sax.
»Du hast mich erwischt«, sagte Nadia und schilderte das Gespräch, während sie versuchte, Cojote anzurufen. Sie bekam keine Verbindung.
»Nun, du bist der Koordinator«, sagte Sax.
»Mist!« Nadia warf sich ihren Rucksack über die Schulter. »Laß uns gehen!«
Am Montag abend ging Nadia mit Sax Sie flogen in einer neuen 51B, sehr klein und sehr schnell. Sie wählten einen großen Rundkurs, der nordwestlich über den Eis-See von Vastitas führte und die metanationalen Bollwerke von Ascraeus und Echus Overlook vermied. Bald nach den Start konnten sie das Eis erblicken, das Chryse im Norden anfüllte. Die zerklüfteten schmutzigen Eisberge waren mit roten Schneealgen und amethystfarbenen Schmelztümpeln gepunktet. Die alte Transponderstraße nach Chasma Borealis war natürlich längst verschwunden, wie auch das ganze System zum Wassertransport nach Süden vergessen und nur eine technische Fußnote für die Geschichtsbücher war. Während Nadia auf das Eischaos hinunterschaute, erinnerte sie sich plötzlich daran, wie das Land bei jener ersten Reise ausgesehen hatte, die endlosen Berge und Täler, die Trichter und die großen schwarzen Dünen, das unglaublich geschichtete Gelände in den letzten Sandgebieten vor der Polkappe … das alles war jetzt verschwunden und von Eis überwältigt. Und die Polkappe selbst war ein Gewirr aus großen Schmelzzonen und Eisströmen, schlammigen Flüssen und von Eis bedeckten flüssigen Teichen — jede Art von Matsch, und alles von dem hohen runden Plateau herunterbrechend, auf dem die Polkappe ruhte, hinab in das die Welt umspannende nördliche Meer.
Eine Landung kam deshalb während eines großen Teils ihres Fluges nicht in Betracht. Nadia beobachtete nervös die Instrumente. Sie war sich nur zu gut all dessen bewußt, was in einem neuen Flugzeug während einer Krise versagen konnte, wenn die Wartung darniederlag und menschliches Vorsagen Konjunktur hatte.
Dann erschienen weiße und schwarze Rauchwolken im Südwesten am Horizont, die in einem offenbar kräftigen Wind nach Osten zogen. »Was ist das?« fragte Nadia und rückte im Flugzeug nach links, um hinauszusehen.
»Kasei Vallis«, sagte Sax von Pilotensitz her.
»Was ist da passiert?«
»Es brennt.«
Nadia starrte ihn an. »Was meinst du?«
»Dort im Tal gibt es schwere Vegetation. Und längs des Fußes der Großen Böschung. Größtenteils harzige Bäume und Büsche. Auch Feuersaatbäume. Arten, die Feuer brauchen, um sich zu verbreiten. Von Biotique entwickelt. Dornige harzige Bärentraube, Riesensequoia und einige andere.«
»Woher weißt du das?«
»Ich habe sie gepflanzt.«
»Und jetzt hast du sie in Brand gesteckt?«
Sax nickte. Er schaute auf den Rauch hinunter.
»Aber, Sax, ist nicht der Prozentsatz von Sauerstoff in der Atmosphäre jetzt wirklich hoch?«
»Vierzig Prozent.«
Sie starrte ihn weiter an und war plötzlich mißtrauisch. »Das hast du auch so hochgetrieben, nicht wahr? Mein Gott, Sax, du hättest die ganze Welt in Brand stecken können!«
Sie sah auf den Boden der Rauchwolke hinunter. Da in der tiefen Senke von Kasei Vallis war eine Flammenlinie, der vordere Rand des Feuers, die strahlend weiß brannte anstatt gelb. Es sah aus wie geschmolzenes Magnesium. Sie schrie: »Das wird niemand auslöschen! Du hast die Welt angezündet!«
Sax sagte »Das Eis. In Windrichtung gibt es nichts als das Eis, welches Chryse bedeckt. Es sollten nur ein paar tausend Quadratkilometer abbrennen.«
Nadia sah ihn erstaunt und entsetzt an. Sax schaute noch auf das Feuer hinunter, beobachtete aber die meiste Zeit die Instrumente des Flugzeugs mit einer seltsamen Miene — reptilienhaft, versteinert, höchst unmenschlich.
Die Sicherheitskomplexe der Metanationalen in der Krümmung von Kasei Vallis kamen über den Horizont. Alle Kuppeln brannten lodernd wie Pechfackeln. Die Krater am inneren Ufer spieen weiße Flammen in die Luft. Offensichtlich wehte ein starker Wind von Echus Chasma herunter und wurde wie in einem Trichter durch Kasei Vallis gedrückt und fachte die Flammen an. Ein Feuersturm. Und Sax sah hinunter, ohne zu blinzeln. Seine Kinnbacken waren verkrampft.
»Flieg nach Norden!« wies ihn Nadia an. »Mach, daß wir von hier wegkommen!«
Er kippte das Flugzeug, und sie schüttelte den Kopf. Tausende von Quadratmetern verbrannt. Diese ganze so mühsam eingeführte Vegetation — Sauerstoffgehalt der Atmosphäre beträchtlich erhöht… Sie sah verdrießlich auf die merkwürdige Kreatur, die neben ihr saß.
»Warum hast du mir nichts davon gesagt?«
»Ich wollte nicht, daß du mich aufhältst.«
So einfach war das.
»Du hast also solche Macht?«
»Ja.«
»Du wolltest, daß ich manches nicht erfahren sollte?«
»Nur dies hier«, sagte Sax. Seine Kinnmuskeln arbeiteten in einem Rhythmus, der sie plötzlich an Frank Chalmers erinnerte. »Die Gefangenen sind alle in den Asteroidenabbau gebracht worden. Dies war der Ausbildungsplatz für ihre Geheimpolizei. Für die, welche nie aufgeben. Die Folterer.« Er richtete seinen eidechsenhaften Blick auf sie. »Ohne sie sind wir besser dran.« Und er wandte sich wieder seinen Armaturen zu.
Nadia blickte immer noch auf die wilde weiße Linie des Feuersturms zurück, als das Radio des Flugzeugs in ihrem Code piepte. Diesmal war es Art, mit angstvoll verzerrter Miene. »Ich brauche deine Hilfe«, rief er. »Anns Leute haben Sabishii zurückerobert, und eine Menge Sabishiier sind aus dem Labyrinth herausgekommen, um es wieder zu besetzen, und die Roten, die da die Macht haben, sagen denen, sie sollten verschwinden.«
»Was?«
»Ich weiß — das heißt, ich glaube nicht, daß Ann noch dabei ist. Und sie antwortet nicht auf meine Anrufe. Da draußen gibt es Rote, neben denen sie wie eine Boone-Anhängerin dasteht, das schwöre ich. Aber ich habe Ivana und Raul erreicht und sie dazu gebracht, die Roten in Sabishii zu stoppen, bis ich von dir gehört habe. Das ist das Beste, was ich tun konnte.«
»Warumich?«
»Ich denke, Ann hat ihnen gesagt, daß sie auf dich hören sollen.«
»Scheiße!«
»Nun, wer sonst sollte es machen? Maya hat sich zu viele Feinde gemacht, als sie in den letzten paar Jahren die Dinge zusammenhielt.«
»Ich dachte, du wärest hier der große Diplomat.«
»Das bin ich auch. Aber ich habe festgestellt, daß ein jeder dafür war, deinem Urteil zu vertrauen. Das war das Beste, was ich tun konnte. Es tut mir leid, Nadia. Ich werde dir aber in jeder Weise helfen, die du von mir verlangst.«
»Du würdest es viel besser machen, nachdem du mich so etabliert hast.«
Er grinste. »Es ist nicht mein Fehler, daß alle dir vertrauen.«
Nadia schaltete ab und versuchte die verschiedenen Frequenzen der Roten. Ann konnte sie erst nicht finden. Aber während sie durch die Kanäle ging, hörte sie genug Meldungen, um zu erkennen, daß da junge rote Radikale waren, die Ann sicher verurteilen würde, wie sie hoffte — Leute, die, während die Revolte noch in der Schwebe war, emsig damit beschäftigt waren, Plattformen in Vastitas zu sprengen, Kuppeln aufzuschlitzen, Pisten zu zerstören und zu drohen, ihre Zusammenarbeit mit den anderen Rebellen zu beenden, wenn diese nicht bei ihren Sabotagen mitmachten und alle ihre Forderungen erfüllten und so weiter und so fort.