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Und da war sie wieder, wie eine Furie der Französischen Revolution, so kalt und grimmig wie immer. Ihr letztes Gespräch über Sabishii lag schwer zwischen ihnen. Dieses Thema war strittig geworden, als die UNTA Sabishii wiedererobert und niedergebrannt hatte. Aber Ann war offenbar immer noch ärgerlich, was Nadia beunruhigend fand.

Nach kümmerlicher Begrüßung artete ihr Gespräch fast sofort in eine Auseinandersetzung aus. Ann sah die Revolte deutlich als eine Chance, alle Bemühungen für Terraformung zu beseitigen und so viele Städte und Menschen wie möglich vom Planeten zu entfernen, notfalls durch direkten Angriff. Erschreckt von dieser apokalyptischen Vision, diskutierte Nadia mit ihr erst scharf und dann wütend. Aber Ann hatte sich in eine ihr eigene Welt zurückgezogen. Sie erklärte kühclass="underline" »Ich wäre ebenso glücklich, wenn Burroughs zerstört würde.«

Nadia knirschte mit den Zähnen. »Wenn du Burroughs zerstörst, zerstörst du alles. Wohin sollten wohl die Leute darin gehen? Du wärst nicht besser als eine Mörderin, eine Massenmörderin. Simon würde sich schämen.«

Ann machte ein mürrisches Gesicht. »Ich sehe, daß Macht korrumpiert. Verbinde mich mit Sax! Ich bin dieser Hysterie überdrüssig.«

Nadia gab den Anruf an Sax weiter und ging fort. Es war nicht Macht, die die Menschen verdarb, sondern es waren die Narren, welche die Macht korrumpierten. Nun, es könnte sein, daß sie sich zu schnell aufgeregt hatte und zu grob gewesen war. Aber sie war erschreckt von jener finsteren Stelle in Anns Innerem, dem Teil, der zu allem fähig war; und Angst korrumpierte noch mehr als Macht. Wenn man beides kombinierte …

Hoffentlich hatte sie Ann so stark schockiert, daß diese finstere Stelle in ihre Ecke zurückgedrängt wurde. Das war schlechte Psychologie, wie Michel sanft darlegte, als sie ihn in Burroughs anrief, um darüber zu sprechen. Eine Strategie, die sich aus Angst ergab. Aber sie fürchtete, nicht anders zu können. Revolution bedeutete die Zerstörung einer Struktur und Schaffung einer anderen. Aber Zerstören war leichter als Erschaffen, und deshalb waren diese beiden Teile des Aktes nicht notwendigerweise dazu bestimmt, gleichermaßen erfolgreich zu sein. In diesem Sinne war die Konstruktion einer Revolution wie der Bau eines Bogens. Solange nicht beide Säulen vorhanden und der Schlußstein an Ort und Stelle waren, konnte praktisch jeder Bruch das ganze Ding herunterkrachen lassen.

Also brachen am Samstag abend, fünf Tage nachdem Nadia von Sax angerufen worden war, etwa hundert Personen nach Burroughs auf — in Flugzeugen, da die Pisten als für Sabotage zu verwundbar galten. Sie flogen über Nacht zu einer steinigen Landebahn bei einem großen Refugium von Bogdanovisten in der Wand des Kraters Du Martheray auf der Großen Böschung südöstlich von Burroughs. Sie landeten in der Dämmerung, während die Sonne wie ein Klumpen Quecksilber durch Nebel aufstieg und entfernte Berge im Norden auf der tiefen Isidis-Ebene beleuchtete.

Dort war ein neuer Eis-See, dessen Fortschritt nach Süden nur durch die gebogene Linie des Deichs gehemmt wurde, der sich wie ein langer Damm aus Erde über das Land krümmte/ der er ja auch genaugenommen war.

Um bessere Sicht zu bekommen, stieg Nadia auf das oberste Geschoß des Refugiums von Du Martheray, wo ein Beobachtungsfenster, das als horizontaler Spalt gleich unter dem Rand getarnt war, einen Blick hinab zur Großen Böschung und dem neuen Deich und dem dagegen drückenden Eis freigab. Sie starrte lange hin und trank Kaffee, gemischt mit einer Dosis Kava. Im Norden lag das Eismeer mit seinen zusammengedrängten Eisnadeln und langen Druckspalten und den Gegend von Burroughs:

flachen weißen Flächen großer geschmolzener und überfrorener Seen. Direkt unter ihr lagen die ersten niedrigen Hügel der Großen Böschung, gefleckt mit stachligen Flächen von Acheron-Kakteen, die sich wie Korallenriffe über den Fels ausbreiteten. Abgestufte Wiesen von schwarzgrünem Tundramoos folgten dem Lauf kleiner gefrorener Flüsse, die von der Böschung herunterströmten. Von weitem sahen diese Flüsse aus wie Kieselalgen, die in Ritzen des roten Gesteins gestopft waren.

Und dann verlief in mittlerer Entfernung der neue, Wüste vom Eis trennende Deich wie eine kahle braune Narbe, die zwei getrennte Realitäten zusammennähte.

Nadia verbrachte lange Zeit damit, ihn im Feldstecher zu mustern. Sein südliches Ende war eine Halde aus Regolith, die den Ausläufer des Kraters Wg hinauflief und direkt am Kraterrand endete, der etwa einen halben Kilometer über dem Normalnull lag, gut über dem erwarteten Meeresniveau. Der Deich verlief von Wg nach Nordwesten. Von ihrem hohen Aussichtsplatz hoch auf der Böschung konnte Nadia etwa vierzig Kilometer davon überschauen, ehe er am Horizont verschwand, genau westlich vom Krater Xh. Dieser war fast bis zum Rand von Eis umgeben, so daß sein rundes Innere einem merkwürdigen roten Senkloch glich. Überall anderswo hatte sich das Eis gegen den Deich in die Höhe gepreßt, soweit Nadia sehen konnte. Die Wüstenseite des Deichs schien mindestens zweihundert Meter hoch zu sein, obwohl das schwer zu beurteilen war, da sich unterhalb des Deichs ein breiter Graben befand. Auf der anderen Seite staute sich das Eis ziemlich hoch, bis zur Hälfte oder noch mehr.

Der Deich war an der Krone etwa dreihundert Meter breit. Soviel verlagerter Regolith — Nadia stieß einen respektvollen Pfiff aus — stellte mehrere Jahre der Arbeit dar durch ein sehr großes Team von robotischen Schürfkübelbaggern und Kanalgrabmaschinen. Aber lockerer Regolith! Ihr schien, daß der Deich, so gewaltig er für jeden menschlichen Maßstab war, doch nicht viel bedeutete, um einen Ozean aus Eis zusammenzuhalten. Und Eis war noch der leichtere Teil bei der Sache. Wenn es schmolz, würden die Wellen und Strömungen Regolith wie Staub wegreißen. Und das Eis schmolz auch schon. Es hieß, daß immense Massen davon überall unter der schmutzigweißen Oberfläche lägen und auch direkt am Deich, wo sie hineinsickerten.

»Wird man nicht diese ganze Aufschüttung durch Beton ersetzen müssen?« fragte sie Sax, der sie begleitet hatte und durch seinen eigenen Feldstecher mit hinschaute.

»Verkleiden«, sagte er. Nadia erwartete eine schlechte Nachricht, aber er fuhr fort: »Man muß den Deich mit einer Diamantschicht verkleiden. Die würde ziemlich lange halten. Vielleicht ein paar Millionen Jahre.«

»Hmm«, machte sie. Wahrscheinlich war das richtig. Vielleicht könnte von unten etwas einsickern. Aber auf jeden Fall würde man, wie auch immer die besonderen Umstände sein mochten, das System ständig warten müssen, und ohne Fehlerspielraum, da Burroughs nur fünfzig Kilometer südlich vom Deich lag und etwa hundertfünfzig Meter tiefer. Ein merkwürdiger Platz, um zu verrecken. Nadia richtete ihr Glas in Richtung zur Stadt, aber die lag gerade hinter dem Horizont etwa siebzig Kilometer im Nordwesten. Natürlich konnten Deiche wirksam sein. Die in Holland hatten jahrhundertelang gehalten und Millionen Menschen und Hunderte von Quadratkilometern geschützt — bis zu der jüngsten Überschwemmung. Und auch jetzt würden diese großen Deiche halten und zuerst durch flankierende Fluten durch Deutschland und Belgien gefährdet werden. Deiche konnten gewiß wirksam sein. Aber es war trotzdem ein seltsames Schicksal.

Nadia richtete ihren Feldstecher auf das zerrissene Gestein der Großen Böschung. Was aus der Ferne wie Blumen aussah, waren in Wirklichkeit massive Haufen von Korallenkaktus. Ein Strom sah aus wie eine Treppe aus violetten Polstern. Der rohe rote Stein ließ die Landschaft sehr eindrucksvoll, surreal und schön erscheinen … Nadia wurde von einem jähen Ausbruch von Angst davor betroffen, daß etwas mißlingen und sie plötzlich getötet werden könnte, daran gehindert, noch mehr von dieser Welt und ihrer Entwicklung mitzuerleben. Das könnte passieren. Jeden Augenblick konnte ein Geschoß aus dem violetten Himmel herausstoßen. Dies Refugium war ein Übungsziel, wenn irgendein verängstigter Batteriechef draußen beim Raumhafen von Burroughs von seiner Existenz erführe und beschlösse, mit dem Problem reinen Tisch zu machen. Sie könnten binnen Minuten nach einer solchen Entscheidung tot sein.