»Du solltest dort hinaufkommen, Maya«, sagte Nadia, »und zwar schnell. Nur du könntest die Lage unter Kontrolle halten.«
Maya marschierte los; und während sie sich ihren Weg durch die Menge bahnte, sprach Nadia ständig zu ihr und gab ihr Ratschläge, was sie sagen sollte, falls sie eine Gelegenheit zum Sprechen bekäme. Ihre Worte überschlugen sich geradezu; und als sie eine Pause machte, brachte Art eigene Gedanken zur Sprache, bis Maya sagte: »Aber warte, ist etwas davon wahr?«
»Mach dir keine Sorgen, ob es wahr ist!« sagte Nadia.
»Mach dir keine Sorgen, ob es wahr ist!« schrie Maya in ihr Armband. »Mach dir keine Sorgen, ob das, was ich zu hunderttausend Leuten sage und was ich jedermann auf den zwei Welten sage, wahr ist oder nicht!«
»Wir werden es wahr machen«, sagte Nadia. »Versuch es nur!«
Maya fing an zu laufen. Andere gingen in die gleiche Richtung wie sie durch den Kanalpark zu der erhöhten Stelle zwischen Ellis Butte und Table Mountain, und ihre Kamera zeigte hüpfende Bilder von Hinterköpfen und gelegentlichen aufgeregten Gesichtern, die sich ihr zuwandten, wenn sie schrie, damit man ihr Platz machte. Lautes Gebrüll und Hochrufe wogten durch die Menge vor ihr, die immer noch dichter wurde, bis Maya langsamer wurde und sich durch Lücken zwischen Gruppen hindurchdrängen und winden mußte. Die meisten dieser Leute waren jung und viel größer als Maya. Nadia ging an Saxens Schirm, um die Bilder der Mangalavidkameras anzusehen, die zwischen einer Kamera auf der Rednertribüne, die auf dem Rande eines alten Buckels über Princess Park stand, und einer Kamera hoch auf einer der Fußgängerbrücken hin und her wechselten. Beide Ausschnitte zeigten, daß die Menge gewaltig zunahm. Vielleicht achtzigtausend Personen, schätzte Sax, dessen Nase von dem Schirm einen Zentimeter entfernt war, als ob er sie einzeln zählen würde. Art gelang es, sich zu Maya mit Nadia zuzuschalten; und er und Nadia sprachen weiter zu ihr, während sie sich ihren Weg durch die Menge nach vorn erkämpfte.
Antar hatte eine kurze zündende Rede auf arabisch gehalten, während Maya sich endgültig durch die Menge nach vorn drückte und Jackie jetzt vor einer Reihe von Mikrofonen auf der Rednertribüne stand und eine perfekte Rede hielt, die durch die großen Lautsprecher auf dem Hügel verstärkt und dann weiter verstärkt wurde durch die Zusatzlautsprecher, die im ganzen Princess Park angebracht waren, und auch durch Schulterlautsprecher, Lektionare und Armbandgeräte, bis ihre Stimme überall war. Da aber jeder Satz ein Echo vom Table Mountain und Ellis Butte hervorrief und mit Hochrufen begrüßt wurde, konnte man sie doch nur einen Teil der Zeit hören. »… werden nicht erlauben, daß der Mars als Ersatzwelt benutzt wird … von einer herrschenden Clique, die in erster Linie für die Zerstörung der Erde verantwortlich ist… das gleiche Unheil auf dem Mars anrichten, wenn wir sie gewähren lassen… nicht geschehen! Denn dies ist jetzt ein freier Mars! Freier Mars! Freier Mars!«
Dann reckte sie einen Finger gen Himmel; und die Menge brüllte diese Worte, bei jeder Wiederholung immer noch lauter, und fiel bald in einen Rhythmus, in dem sie alle zusammen rufen konnten: »Freier Mars! Freier Mars! Freier Mars!«
Während die riesige und noch zunehmende Menge dies skandierte, begab sich Nirgal auf den Buckel und zur Plattform. Als die Leute ihn sahen, fingen viele an zu rufen: »Nir-gal«, entweder im Rhythmus mit ›Freier Mars‹ oder in den Pausen dazwischen, so daß in einem enormen Choral-Kontrapunkt daraus »Freier Mars (Nir-gal) Freier Mars (Nir-gal)« wurde.
Als er das Mikrofon erreichte, bat Nirgal mit einer Handbewegung um Ruhe. Aber die Rufe hörten nicht auf, sondern änderten sich völlig zu »Nir-gal, Nir-gal, Nir-gal« mit einem Enthusiasmus, der greifbar war und im Schall dieser großen kollektiven Stimme vibrierte, als ob jeder einzelne Mensch da draußen ein Freund von ihm wäre und kolossal über seine Erscheinung erfreut. Und Maya dachte, daß er in seinem Leben so viel gereist war, daß das nicht sehr von der Wahrheit entfernt wäre.
Allmählich verstummten die rhythmischen Rufe, bis das Geräusch der Menge ein allgemeines Summen war, ziemlich laut, über dem aber Nirgals verstärkte Begrüßung recht gut zu hören war. Während er sprach, bewegte sich Maya weiter durch die Menge zum Buckel. Und als das Volk ruhiger wurde, war es für sie leichter, durchzukommen. Als dann Nirgal zu sprechen begann, blieb sie auch stehen und beobachtete ihn bloß noch. Manchmal fiel ihr wieder ein, sich während der Hochrufe und des Applauses, womit manche Sätze endeten, weiter nach vorn zu bewegen.
Sein Redestil war gedämpft, freundlich und ruhig. Man konnte ihn leichter hören. Er sagte: »Für jene von uns, die auf dem Mars geboren sind, ist dies unsere Heimat.«
Er mußte fast eine Minute pausieren, als die Menge jubelte. Nadia sah wieder, daß es meistens Eingeborene waren. Maya war kleiner als fast alle da draußen.
Nirgal fuhr fort: »Unsere Körper bestehen aus Atomen, die kürzlich noch ein Teil des Regoliths waren. Wir sind durch und durch Marsmenschen. Wir sind menschliche Wesen, die mit diesem Planeten dauernd biologisch verbunden sind. Er ist unsere Heimat. Wir sind hier zu Hause, nicht auf der Erde. Es führt kein Weg zurück.« Weitere Hochrufe ertönten bei diesem sehr gut bekannten Schlagwort.
»Nun, was jene angeht, die auf der Erde geboren wurden, da gibt es allerhand verschiedene Arten. Wenn Menschen an einen neuen Ort umziehen, so beabsichtigen manche dazubleiben und ihn zu ihrer neuen Heimat zu machen. Diese nennen wir Siedler. Andere kommen, um hier eine Weile zu arbeiten und dann wieder dorthin zu gehen, woher sie gekommen sind. Diese nennen wir Besucher. Jetzt sind Eingeborene und Siedler natürliche Verbündete. Schließlich sind Eingeborene auch nur die Kinder früherer Siedler. Dies hier ist Heimat für uns alle. Was Besucher angeht, so ist auch für sie auf dem Mars Raum. Wenn wir sagen, daß der Mars frei ist, soll das nicht heißen, daß Erdenmenschen nicht mehr herkommen können. Keineswegs! Wir alle sind Kinder der Erde, so oder so. Sie ist unsere Mutterwelt, und wir werden ihr in jeder Weise helfen, soweit wir können.«
Der Lärm nahm ab. Die Menge schien etwas überrascht zu sein durch diese Aussage.
Nirgal fuhr fort: »Aber es liegt auf der Hand, daß das, was hier geschieht, nicht von Kolonialisten entschieden werden sollte oder von irgend jemand unten auf der Erde.« Es kamen Hochrufe auf, die etwas von dem, was er sagte, übertönten, »…eine einfache Feststellung unseres Verlangens nach Selbstbestimmung … unser natürliches Recht… die treibende Kraft der menschlichen Geschichte. Wir sind keine Kolonie und wollen auch nicht als eine solche behandelt werden. So etwas wie eine Kolonie gibt es nicht mehr. Wir sind ein freier Mars.«
Weitere Hochrufe, lauter denn je, gingen über in weitere Skandierung von: »Freier Mars! Freier Mars!«
Nirgal unterbrach den Chor: »Was wir jetzt als freie Marsmenschen zu tun beabsichtigen, ist, daß wir jeden Erdenmenschen willkommen heißen, der zu uns kommen will. Ob er hier eine Weile leben und dann zurückkehren will oder sich hier auf Dauer niederlassen will. Und wir beabsichtigen auch, alles zu tun, womit wir der Erde in ihrer jetzigen Umweltkrise helfen können. Wir haben einige Erfahrung mit Überschwemmungen (Beifall), und wir können helfen. Aber diese Hilfe wird von jetzt an nicht mehr durch Metanationale vermittelt werden, die nur ihre Profite daraus ziehen wollen. Sie wird als freies Geschenk kommen. Sie wird dem Volk der Erde mehr nützen als alles, was man von uns als einer Kolonie herausziehen kann. Das gilt ganz wörtlich für die Menge an Ressourcen und Arbeit, die vom Mars zur Erde überführt werden wird. Und wir hoffen und vertrauen darauf, daß ein jeder auf beiden Welten das Erstarken eines freien Mars begrüßen wird.«