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Die neue Kuppel wurde nach einem neuen Plan angelegt, wobei sich das Dorf von der Tunnelschleuse entfernt befand, nahe einem Fluchttunnel, der unter dem Eis weit zu einem Ausgang im oberen Chasma Australe führte. Die Gewächshäuser wurden näher bei den Laternen der Peripherie angelegt, die Kämme der Dünen waren höher als zuvor, und die Wasserversorgung befand sich dicht beim Rickover-Generator. Es gab viele kleine Verbesserungen dieser Art, so daß es keine Kopie des alten Heims wurde. Und jeden Tag waren sie so emsig mit Bauarbeiten beschäftigt, daß nicht viel Zeit blieb, viel über die Veränderung nachzudenken. Die Vormittagsstunden in der Schule waren seit dem Einsturz ausgefallen. Jetzt waren die Kinder nur noch eine wechselnde Arbeitsschar, die jedem zugeteilt wurde, der an dem betreffenden Tag am meisten Hilfe brauchte. Manchmal versuchten die Erwachsenen, die sie beaufsichtigten, ihre Arbeit zu einer Lektion zu nutzen. Hiroko und Nadia waren darin besonders gut; aber sie konnten nicht viel Zeit erübrigen und fügten nur einen erläuternden Satz den Anweisungen bei, die zu einfach waren, um überhaupt einer Erklärung zu bedürfen: das Festmachen von Wandbauteilen mit Spezialschlüsseln, das Herumschleppen von Sämaschinen und Algenbottichen in den Gewächshäusern und so weiter. Es war eben Arbeit. Sie waren ein Teil der Belegschaft, die für die Aufgabe auch so noch zu klein war, trotz der vielseitigen Roboter, die wie Rover aussahen, die man ihrer Verkleidung beraubt hatte. Und Nirgal, der umherlief und arbeitete, war meistens glücklich.

Aber einmal, als er aus dem Schulhaus kam und den Speiseraum sah anstatt der großen Stämme von Creche Crescent, haute ihn der Anblick um. Seine alte vertraute Welt war dahin, und zwar für immer. So wirkte nun einmal die Zeit. Sie gab ihm einen Stich, der ihm Tränen in die Augen trieb, und er verbrachte den Rest des Tages irgendwie betroffen und distanziert, als ob er immer einen oder zwei Schritte hinter sich selbst her hinkte. Er beobachtete alles, was geschah, bar jeder Emotion, desinteressiert, wie er es nach Simons Tod gewesen war, in die weiße Welt verbannt um einen Schritt außerhalb der grünen. Es gab kein Anzeichen, daß er je aus einem solch melancholischen Zustand wieder herauskommen würde. Und wie könnte er wissen, ob das einmal wieder so sein würde? Alle Tage seiner Jugend waren entschwunden mit Zygote. Und sie würden nie wiederkehren, und auch dieser Tag würde vorbeigehen und entschwinden. Auch diese Kuppel würde langsam sublimieren und in sich zusammenfallen. Nichts würde dauern. Worauf kam es also an? Diese Frage quälte ihn manchmal stundenlang, entzog allem den Geschmack und die Farbe. Und als Hiroko bemerkte, wie niedergeschlagen er war, und sich erkundigte, was ihm fehle, fragte er sie rundheraus. Das war das Gute an Hiroko. Man konnte sie alles fragen, einschließlich der fundamentalen Fragen: »Hiroko, warum tun wir all dies? Wenn doch auf jeden Fall alles weiß wird?«

Sie sah ihn starr an wie ein Vogel, mit zur Seite geneigtem Kopf. Er glaubte, in dieser Neigung des Kopfes ihre Zuneigung zu ihm zu erkennen, war sich aber nicht sicher. Während er älter wurde, hatte er die Empfindung, daß er sie (wie auch alle anderen) immer weniger verstünde.

»Es ist traurig, daß die alte Kuppel dahin ist, nicht wahr?« sagte sie. »Aber wir müssen uns auf das konzentrieren, was kommt. Auch das ist Viriditas. Sich nicht auf das konzentrieren, was wir geschaffen haben, sondern auf das, was wir schaffen werden. Die Kuppel war wie eine Blüte, die welkt und abfällt. Aber sie enthält den Samen einer neuen Pflanze, die wächst. Und dann gibt es neue Blüten und neuen Samen. Die Vergangenheit ist dahin. Darüber nachzudenken macht dich nur melancholisch. Nun, als kleines Mädchen lebte ich in Japan auf der Insel Hokkaido. Ja, und ich war so jung wie du. Und ich kann dir nicht sagen, wie lange das her ist. Aber wir sind hier, du und ich, umgeben von diesen Pflanzen und diesen Leuten. Und wenn du ihnen deine Aufmerksamkeit zuwendest und sie wachsen und gedeihen lassen kannst, dann gewinnen die Dinge wieder Leben. Du fühlst das kami in allen Dingen; und das ist alles, was du brauchst. Dieser Moment ist an sich alles, worin wir leben.«

»Und die alten Tage?«

Darüber lachte sie. »Du wirst erwachsen. Nun, du mußt dich von Zeit zu Zeit an die alten Tage erinnern. Die waren doch gut, nicht wahr? Du hattest eine glückliche Kindheit. Das ist ein Segen. Aber so werden auch diese Tage gut sein. Ergreif diesen Augenblick genau hier und frage dich selbst! Was fehlt jetzt? Hmmm? — Cojote sagt, daß er dich und Peter auf eine neue Reise mitnehmen möchte. Vielleicht solltest du gehen und wieder unter freien Himmel kommen. Was meinst du?«

Also wurden Vorbereitungen für eine neue Reise mit Cojote getroffen, und sie arbeiteten weiter an dem neuen Zygote, dem man informell wieder den Namen Gamete gegeben hatte. Nachts redeten die Alten in den umgezogenen Speisesälen lange über ihre Lage. Sax, Vlad und Ursula wollten — neben anderen — wieder in die Oberflächenwelt zurück. Sie konnten ihre konkrete Arbeit in den versteckten Asylen nicht richtig leisten. Sie wollten wieder zurück in den vollen Strom medizinischer Wissenschaft, des Terraformens und Bauens. Hiroko sagte: »Wir werden uns nie verstellen können. Niemand kann seine Genome ändern.«

»Es sind nicht unsere Genome, die wir verändern sollten«, sagte Sax, »sondern die Archivdaten. Das ist es, was Spencer getan hat. Er hat seine physischen Merkmale in eine neue aktenkundige Identität verwandelt.«

»Und wir haben sein Gesicht kosmetisch manipuliert«, sagte Vlad.

»Ja, aber nur minimal wegen unseres Alters, nicht wahr? Keiner von uns sieht sich noch gleich. Jedenfalls könnten wir, wenn ihr etwas Ähnliches tätet wie er, neue Identitäten annehmen.«

»Hat Spencer wirklich in alle diese Akten Zugriff bekommen?« fragte Maya.

Sax zuckte die Achseln. »Er wurde in Cairo zurückgelassen und hatte die Möglichkeit, in einige derjenigen einzudringen, die jetzt für Sicherheitszwecke benutzt werden. Das hat genügt. Ich möchte etwas Ähnliches versuchen. Laßt uns sehen, was Cojote dazu sagt. Er steht überhaupt nicht in irgendwelchen Dateien und müßte also wissen, wie er das geschafft hat.«

»Er war von Anfang an versteckt«, sagte Hiroko. »Das ist etwas anderes.«

»Nun ja, aber er könnte einige Ideen haben.«

»Wir könnten uns einfach in die Demimonde begeben«, erklärte Nadia, »und völlig außerhalb der Akten bleiben. Das möchte ich gern versuchen.«

Maya nickte.

Jede Nacht besprachen sie diese Dinge. »Nun, eine kleine Veränderung des Aussehens könnte in Ordnung gehen. Ihr wißt, Phyllis ist wieder da. Daran müssen wir denken.«

»Ich kann immer noch nicht glauben, daß sie überlebt hat. Sie muß neun Leben haben.«

»Auf jeden Fall kommen wir in zu vielen Nachrichtensendungen vor. Wir müssen vorsichtig sein.«

Eines Tages war Gamete ganz fertiggestellt. Aber Nirgal fand es nie richtig, wie sehr er sich auch auf seinen Bau zu konzentrieren bemühte. Es war nicht sein Platz.

Von einem anderen Reisenden kam die Botschaft, daß Cojote bald zurück sein würde. Nirgal fühlte, wie sich sein Puls beschleunigte. Wieder unter dem gestirnten Himmel sein, bei Nacht in Cojotes Felsenwagen von Asyl zu Asyl wandern …

Jackie sah ihn aufmerksam an, als er zu ihr darüber sprach. Und an jenem Nachmittag führte sie ihn, nachdem sie aus dem Tagewerk entlassen waren, zu den neuen hohen Dünen hinunter und küßte ihn. Als er wieder bei Besinnung war, küßte er sie wieder, und dann küßten sie sich leidenschaftlich, schmusten und berauschten sich an ihren Gesichtern. Erst knieten sie bei leichtem Nebel in einer Vertiefung zwischen zwei Dünen, dann lagen sie beieinander in einem Kokon aus ihren Daunenjacken, küßten und berührten sich, zogen sich gegenseitig die Hosen aus und schufen eine kleine Hülle aus ihrer eigenen Wärme. Sie stießen Dampf aus und ließen das Eis unter ihren Jacken knistern. All das geschah ohne Worte. Sie verschmolzen in einen starken, heißen elektrischen Strom, Hiroko und der ganzen Welt zum Trotz. So ein Gefühl war das also, dachte Nirgal berauscht, während er sich in ihr bewegte. Unter den Strähnen von Jackies schwarzem Haar schimmerten Sandkörner wie Juwelen, als ob winzige Eisblumen darin steckten. Pracht in allen Dingen.