Charity zuckte mit den Schultern, stand auf und deutete fast unentschlossen auf die Treppe am Ende des Stollens. Sie war nicht einmal dessen wirklich sicher, aber es schien zumindest die Richtung zu sein, in die der Läufer sich bewegte.
Rasch, aber sehr leise und jederzeit auf einen Angriff gefaßt, bewegten sie sich den Gang hinab. Der Boden unter ihren Füßen hob und senkte sich, hob und senkte sich, schwankte im Rhythmus der stampfenden Schritte des Maschinenungeheuers, und einmal wankte der ganze stählerne Koloß, wahrscheinlich, als er ein größeres Hindernis überstieg oder einfach niederwalzte. Die Treppe kam allmählich näher, und im gleichen Maße wurden die unheimlichen Geräusche lauter. Charity hatte jetzt das Gefühl, daß sie sich einer riesigen Maschinenhalle näherten, einer Halle, in der gewaltige Konstruktionen aus riesenhaften Zahnrädern und stampfenden Kolben arbeiteten, zischende Dampfkessel und riesenhafte Kettenantriebe; es waren genau diese Bilder, die ihre Phantasie zu den immer bizarrer werdenden Lauten erschuf. Und das war kein Zufall. Was sie hörten, das waren die Geräusche arbeitender Maschinen - aber es war nicht das geisterhafte Wispern einer elektronischen Supertechnik von den Sternen, sondern etwas, das sich wie die akustische Umsetzung einer jener Zyklopenmaschinen anhörte, wie sie Jules Verne oder Hans Dominik erdacht und beschrieben hatten. Es war verwirrend. Und sehr beängstigend.
Als sie sich der Treppe bis auf wenige Schritte genähert hatten, öffnete sich eine der Türen vor ihnen, und eine Maschinenkonstruktion rollte heraus, die so bizarr war, daß Charity ihren Zweck nicht einmal zu erraten vermochte. Faller sog erschrocken die Luft ein und hob seine Waffe, aber Charity drückte rasch den Lauf des Gewehres herunter und schüttelte den Kopf. Die Maschine - ein vielleicht meterhohes, auf unmöglich in Worte zu beschreibende Art geformtes Etwas - rollte auf rasselnden Ketten auf den Gang hinaus, drehte sich wie ein altertümlicher Panzer auf der Stelle und rasselte dann direkt auf sie zu. Auf ihrer Oberseite blinkten eine Anzahl roter und gelber Lichter in undurchschaubarem Rhythmus, und etwas von der Form einer halb durchgebrochenen Parabolantenne drehte sich unentwegt auf ihrem Rücken.
Auch Charity richtete ihr Gewehr auf das rostzerfressene Etwas, aber sie hatte das bestimmte Gefühl, daß von dieser Maschine keine Gefahr ausging. Als sie sich ihr bis auf drei Schritte genähert hatte, trat sie ein Stück beiseite, und sie war nicht einmal sonderlich überrascht, als die Maschine einfach an ihr vorüberrasselte, ohne von ihr und den anderen auch nur Notiz zu nehmen. Trotzdem blieb sie stehen und blickte der bizarren Konstruktion aufmerksam nach, bis sie im Halbdunkel des Ganges verschwunden war.
»Was war das?« fragte Faller fassungslos.
»Das weiß ich ebensowenig wie Sie«, antwortete Charity. Fallers unentwegte Fragerei ging ihr allmählich auf die Nerven; ebenso wie die scheinbare Überzeugung der beiden anderen, daß sie auf jede Frage die passende Antwort parat haben müßte. Sicher - verglichen mit den drei jungen Soldaten, die erst vor wenigen Wochen aus dem Kälteschlaf erwacht waren, waren Skudder und sie so etwas wie Spezialisten, was die Moroni und ganz besonders die Ameisen anging. Trotzdem änderte das nichts daran, daß sie im Grunde wenig mehr als gar nichts über dieses Insektenvolk wußten.
Genaugenommen war es auch für Skudder und sie das erste Mal, daß sie die Ameisen in einem Teil ihrer Welt erlebten. Sie hätte nicht zu sagen gewußt, was sie erwartet hatte - aber das nicht. Was sie bisher vom Inneren des Läufers gesehen hatte, erschütterte sie fast mehr, als wären sie durch ein chromblitzendes Labyrinth aus unverständlicher Supertechnologie geirrt. Alles hier war so primitiv und grob, daß es schon wieder fast genial sein mußte, um überhaupt zu funktionieren. Das einzige, was sie an dieser Maschine wirklich beeindruckte, war ihre unvorstellbare Größe.
Sie gingen weiter. Ganz automatisch wollte Skudder wieder die Spitze übernehmen, als sie die Treppe emporzusteigen begannen, aber diesmal vertrat ihm Charity mit einem raschen Schritt den Weg und ging so schnell weiter, daß er gar keine Gelegenheit bekam, sie aufzuhalten.
Die Treppe war wie alles hier - alt und von Rost zerfressen und aus fünfzehn Zentimeter dicken Eisenplatten zusammengeschweißt, und so grob, als hätte dies ein Kind getan, oder jemand, der zum ersten Mal im Leben einen Schweißapparat in der Hand hielt und nicht so recht wußte, was er damit anfangen sollte. Und wie die Leiter vorhin, so ermüdete auch diese Treppe ihre Beine schon nach wenigen Schritten, denn sie war für Wesen gebaut, die sich völlig anders bewegten als Menschen.
Der Schimmer von Rot in dem grauen Licht nahm allmählich an Intensität zu. Ein warmer Luftzug wehte ihnen in die Gesichter, aber es war eine unangenehme Art von Wärme, das Gefühl, ein Brennen direkt auf der Haut zu verspüren, ohne daß es die grausame Kälte im Inneren des Läufers wirklich vertrieb. Endlich erreichten sie das Ende der Treppe - und Charity blieb so abrupt stehen, daß Skudder mitten im Schritt gegen sie prallte.
Unter ihnen erstreckte sich eine gigantische Halle. Sie war von rotem Licht und flackernden blauen Blitzen und gewaltigen Funkenschauern erfüllt, und auf ihrem Boden - aber auch an den Wänden klebend und an gewaltigen stählernen Trägern von der Decke hängend - erhoben sich genau die bizarren Maschinen, die Charity erwartet hatte. Sie sah gewaltige Konstruktionen aus Zahnrädern und mahlenden stählernen Kiefern, riesige Kräne und lodernde Schmelzöfen, Hammerwerke und gewaltige, zischende Dampfmaschinen. Über ein ganzes Dutzend Förderbänder - jedes einzelne war so breit wie eine Straße - ergoß sich ein ununterbrochener Strom von Erz und Metallschrott in die Halle: verrostete Autowracks, verbogene Stahlträger, Teile von Gebäuden, Rohren, Pipelines, Hochspannungsmasten oder einfach nur noch große, bis zur Unkenntlichkeit zusammengedrückte und -gerostete Brocken...
»Mein Gott!« murmelte Skudder. »Das ... das ist eine ganze Fabrik!«
Der Raum, der sich unter ihnen erstreckte, mußte fast das gesamte Innere des Läufers einnehmen. Hunderte, wenn nicht Tausende von Ameisen bewegten sich zwischen den gigantischen Maschinen hin und her, sortierten das hereinkommende Material, trugen es zu den Schmelzkesseln oder ließen es zwischen den schnappenden Metallkiefern der Pressen verschwinden, taten tausende Dinge gleichzeitig, von denen Charity nur einen Bruchteil überhaupt erkennen oder einordnen konnte. Es war eine riesige Fabrik, die auf Beinen durch das Land lief und Metall und Erz sammelte, das sie auf der Stelle einschmolz und weiterverarbeitete. Es war unvorstellbar. Obwohl Charity es sah, weigerte sie sich für Augenblicke einfach, es zu glauben.
Skudder berührte sie plötzlich an der Schulter und deutete nach links, und als Charity in die angegebene Richtung sah, fuhr sie erschrocken zusammen und zog sich hastig wieder ein paar Schritte weit auf die Treppe zurück. Die Tür, durch die sie gekommen waren, war längst nicht die einzige. Es mußte Dutzende, wenn nicht Hunderte von Ein- und Ausgängen in die Hallen geben, und nur ein paar Schritte von ihnen entfernt arbeitete eine Anzahl Ameisen an einer riesigen Maschine, die halbgeschmolzene Eisenbarren verschlang und auf der anderen Seite als rotglühende, metergroße Würfel wieder ausstieß. Daß die Moroni sie nicht gesehen hatten, war pures Glück gewesen.
Es verging eine Weile, bis einer von ihnen überhaupt wieder in der Lage war, irgend etwas zu sagen. Dies alles hier war so ... völlig anders, als sie erwartet hatten. Und auf eine subtile Art erschreckender als alles, was sie sich vorgestellt hatten.