»Governor Stone?« Die Stimme des Inspektors klang so kalt und maschinenhaft wie sein strahlendweißes Exoskelett aussah. Sie ließ irgend etwas in Stone erschauern. Er fragte sich, warum er diese Geschöpfe so fürchtete. Sie waren Moroni, Ameisen wie die, die ihm selbst zu Tausenden und Abertausenden zur Verfügung standen, nur ein wenig spezialisierter und mit weitreichenden Machtbefugnissen ausgestaltet.
Aber das war nicht alles.
Während die normalen Moroni häßlich oder bestenfalls fremdartig aussahen, umgab diese weißen Albino-Kreaturen etwas Unheimliches. Dabei entbehrten sie bei aller Fremdartigkeit nicht einer gewissen Ästhetik - ihre Glieder waren schlanker als die eines gewöhnlichen Moroni, und ihre weißen Hornpanzer waren glatt wie polierter Kunststoff, nicht mit den häßlichen Buckeln und Rissen und Warzen übersät wie die der Krieger und Arbeiterinnen. Sie waren nicht schön, aber wo die normalen Moroni einfach häßlich und bedrohlich aussahen, wirkten diese Kreaturen auf ihre Art elegant.
Vielleicht waren es ihre Augen, überlegte Stone. Etwas war darin, das denen der einfachen Ameisen fehlte. Es war keine Intelligenz. Trotz allem wußte Stone, daß die Insektengeschöpfe im Grunde nichts weiter als lebende Computer waren, Wesen, die zwar von der Natur erschaffen, trotzdem aber eher maschinenhaft als lebendig wirkten. Sie waren auf eine gewisse Art intelligent, aber ihr Denken war so anders als das eines Menschen, daß es Stone wahrscheinlich niemals gelingen würde, es zu begreifen. Und was er in den Augen des Inspektors las, das war auch keine überlegene Intelligenz, kein größeres Wissen als das der anderen. Es war etwas, das er nicht beschreiben konnte, das ihn aber fast krank machte vor Angst.
»Governor Stone?« fragte der Inspektor noch einmal, als Stone nicht antwortete, und Daniel zwang sich zu einem nervösen Lächeln.
»Ja?«
»Was tun Sie hier?« fragte der Inspektor. Seine Stimme war frei von jedem Vorwurf oder Mißtrauen, denn solcherlei Gefühl auszudrücken, war der winzige Übersetzungscomputer in seinem Kehlkopf, der die unverständlichen Pfeif- und Klicklaute der Moroni in für Menschen verständliche Töne umwandelte, gar nicht in der Lage. Trotzdem hatte Stone das unheimliche Gefühl, daß dieses Wesen ganz genau wußte, weshalb er hier war. Weshalb er wirklich hier war.
»Ich habe mit dem Gefangenen geredet«, sagte er und deutete auf die Tür hinter sich.
Der Blick des Inspektors glitt über die geschlossene Tür, ehe er sich wieder auf Stone konzentrierte. »Es ist nicht nötig, daß Sie Ihre Zeit mit Befragungen verschwenden«, sagte er. »Wenn Sie Informationen von dem Gefangenen wünschen, stehen uns Mittel zur Verfügung, diese zu erhalten.«
»Ich weiß«, sagte Stone hastig. Und genau das war es ja, wovor er Angst hatte. »Aber ich habe ihn nicht verhört.«
»Aus welchem Grund waren Sie dann bei ihm?«
Stone fuhr sich nervös mit der Zungenspitze über die Lippen. Es war ein Fehler gewesen, hierher zu kommen, das sah er jetzt ein. Seit einigen Tagen herrschte Unruhe unter den Moroni. Er hatte niemals so viele Inspektoren auf einmal in der Stadt gesehen, und der Funkempfänger, der ihn mit den Herren der Schwarzen Festung am Nordpol verband, hatte sich niemals so oft gemeldet wie jetzt. Was immer auch geschehen war, er muß damit rechnen, daß sie mißtrauischer geworden waren. Vielleicht ahnten sie, daß er sie betrogen hatte.
»Ich wollte nur ... nur mit ihm reden«, sagte er.
Der Inspektor sah ihn unverwandt an. »Wozu?«
»Ohne bestimmten Grund«, antwortete Stone. Er lächelte, machte eine vage Bewegung mit der rechten Hand und fügte hinzu: »Es ist eine menschliche Eigenart. Wir reden gern, und nicht nur zum Zweck des Informationsaustausches.«
»Das ergibt keinen Sinn«, sagte der Inspektor.
»Vieles von dem, was Menschen tun, ergibt keinen Sinn«, antwortete Stone. »Vielleicht ist das der Grund, aus dem Moron das Universum erobert hat und nicht wir.«
»Diese Erklärung klingt logisch«, sagte der Inspektor. Stone wollte etwas darauf erwidern, aber diesmal war es die Ameise, die ihn mit einer ungeduldigen Geste einer ihrer vier Hände unterbrach. »Ihre Anwesenheit wird auf der Kommandoebene benötigt, Governor Stone.«
»Warum?« fragte Stone.
Er bekam keine Antwort. Mit einem Ruck drehte sich der Inspektor wieder herum und trat in den Aufzug zurück, der mit offenstehenden Türen auf ihn gewartet hatte, und Stone beeilte sich, ihm zu folgen. Er wiederholte seine Fragen nicht. Von all den Heerscharen sechsgliedriger Insektenkrieger, die ihm zur Verfügung standen, waren die Inspektoren die einzigen, die seinem Befehl nicht gehorchten. So faßte er sich in Geduld, bis der Aufzug sein Ziel erreicht hatte und die Türen wieder aufglitten.
Helles Sonnenlicht erfüllte den Korridor und ließ Stone blinzeln, denn seine Augen hatten sich an das trübe Halbdunkel im Kellergeschoß des Hochhauses gewöhnt, in dem die Zelle des Zwerges untergebracht war. In den letzten Tagen hatte er viel Zeit dort verbracht, und er gestand sich ein, daß er seine Pflichten als Governor und Stadthalter der Moroni vielleicht etwas zu sehr vernachlässigt hatte, um sich noch im Ernst einreden zu können, es fiele nicht auf.
Dann begriff er den Fehler in diesen Gedanken - die Moroni waren kein Volk, dem etwas auffiel. Vielleicht war der Vergleich mit einer Maschine, den er selbst in Gedanken gezogen hatte, gar nicht so falsch. All diese zahllosen einzelnen Wesen erschienen ihm manchmal wie Teile eines viel größeren, komplexeren Etwas, winzige Rädchen, von denen jedes einzelne nicht einmal genau wußte, was es tat, und deren Zusammenspiel doch einen Sinn ergab. Wenn er eines gelernt hatte in den Jahren, in denen er für sie und mit ihnen gearbeitet hatte, dann das, daß diese Geschöpfe weder das Wort Mißtrauen noch Verdacht kannten. Wenn sie zu dem Schluß kamen, daß er sie hintergangen hatte oder auch nicht mehr zuverlässig zu gebrauchen war, würden sie ihn eliminieren, und solange sie das nicht taten, war er sicher. So einfach war das.
Er folgte dem Inspektor zu einem riesigen Raum am Ende des Ganges. Vor einem halben Jahrhundert hatten sich in den zahllosen Stockwerken dieses Hochhauses Hunderte von Büros und Geschäftsräumen befunden, und auf den ersten Blick schien es fast, als hätte sich daran nicht einmal viel geändert: In dem ehemaligen Großraumbüro, das sich über die halbe Etage des Wolkenkratzers erstreckte, standen auch jetzt noch zahlreiche niedrige Tische, die mit flackernden Computermonitoren und elektronischen Geräten, mit Papieren und den endlosen Papierschlangen von Computerausdrucken, mit Telefonen und überquellenden Aktenkörben übersät waren. In der Luft hing noch immer die gleiche, nervöse Geschäftigkeit, wie sie auch damals geherrscht haben mochte - und trotzdem fehlte etwas.
Menschliche Stimmen.
Der Geruch nach Kaffee und Parfüm und Deo-Sprays, Lachen und Streiten, Leben.
Erneut und heftiger als je zuvor hatte Stone das Gefühl, ins Innere eines gigantischen Computers geraten zu sein. An den Monitoren der Computer saßen vierarmige Moroni, die mit raschen, präzisen Bewegungen ihre Arbeit ausführten und sich nur sehr selten und mit knappen Pfiffen und Klicklauten unterhielten. Alles funktionierte reibungslos und schnell, als wären auch sie nur Maschinen, die gar nicht in der Lage waren, irgend etwas anderes zu tun als das, wofür man sie geschaffen hatte.
Der Inspektor deutete auf einem Tisch, der sich vor einem der deckenhohen Fenster aus Panzerglas erhob, und Stone registrierte mit einem vagen Gefühl von Unbehagen, daß hinter dem unvermeidlichen Computerpult auf diesen Tisch nicht nur eine normale Arbeiterin saß, sondern sich auch die beiden weißen Gestalten zweier weiterer Inspektoren erhoben. Hinter seiner Stirn begann eine lautlose Alarmsirene zu schrillen. Irgend etwas war passiert, während er unten gewesen war und mit Gurk geredet hatte.