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Auf der anderen Seite war dieses keine Kriegsmaschine, sondern eine wandelnde Fabrik, und schließlich hatten auch in den Fabriken der alten Erde keine bewaffneten Posten vor den Chefetagen gestanden.

Jedenfalls nicht vor allen.

Aber sie erreichten sein Ende, ohne entdeckt oder gleich abgeschossen zu werden - und damit hörte ihre Glückssträhne dann auch auf.

Der Steg endete in einer kleinen Plattform, ähnlich der, an der er auf der anderen Seite der Riesenhalle auch begonnen hatte, es gab sogar eine Treppe, eine wahrhaft atemberaubende Konstruktion aus dreieckigen Metallstufen, die ohne Verbindung zueinander an die Wand geschweißt worden waren und deren Abstand nicht stimmte. Aber sie führte nicht zur Halbkugel der Zentrale hinab, sondern dicht an ihr vorbei zu einer niedrigen dreieckigen Tür, die wieder ins Innere des Läufers hineinführte.

Charity stieß enttäuscht die Luft zwischen den Zähnen aus, als sie sah, wie knapp sie ihr Ziel verfehlt hatten. Aber sie ließ sich nichts von ihren wahren Gefühlen anmerken, sondern lächelte den drei Soldaten im Gegenteil aufmunternd zu und trat auf die erste Treppenstufe herab.

Obwohl sie jetzt wußte, daß die Gefahr abzustürzen nicht bestand, schwindele ihr im ersten Moment. So massiv die eisernen Treppenstufen aussahen, vibrierten sie doch fühlbar unter ihrem Gewicht, und der Läufer schwankte und bebte noch immer ununterbrochen. Es war nur ein knappes Dutzend Stufen, aber Charity war in Schweiß gebadet, als sie endlich durch die Tür trat und wieder festen Boden unter den Füßen hatte.

Auch Skudder war deutlich blasser als sonst, und Faller und Phillipsen zitterten am ganzen Leib. Nur Leßter zeigte nicht die geringste Spur von Unsicherheit.

Zumindest nicht bis zu dem Moment, in dem er sich als letzter durch die Tür bückte und mit seinem Instrumentengürtel am Rahmen hängenblieb. Er fing sich sofort wieder, aber sein Kompaß löste sich, prallte klirrend auf der untersten Treppenstufe auf, hüpfte wieder in die Höhe - und verschwand lautlos in der Tiefe.

Charity fuhr sichtbar zusammen, und jetzt verlor selbst Leßter einen Teil seiner unerschütterlichen Selbstsicherheit, als er begriff, daß es das unsichtbare Geländer, das sie oben auf dem Steg geschützt hatte, hier nicht mehr gab.

Eine Sekunde lang starrte er aus weit aufgerissenen Augen in die Halle hinab, dann drehte er sich abrupt zu Charity herum und wollte eine entsprechende Bemerkung machen, aber sie signalisierte ihm mit Blicken, still zu sein, und er verstand. Die beiden anderen Soldaten hatten von dem kleinen Zwischenfall nichts bemerkt, und es war wahrscheinlich auch besser so. Vor allem Phillipsen hatte seine Selbstbeherrschung längst noch nicht wiedergefunden. Charity war sicher, daß er - vielleicht auch Faller - bei der ersten Belastungsprobe zusammenbrechen würde.

Sie hatte längst eingesehen, daß es ein Fehler gewesen war, auf Hartmann zu hören und die drei Soldaten mitzunehmen, statt mit Skudder und Net allein hierher zu kommen, wie sie ursprünglich vorgehabt hatte.

Die drei Männer waren trotz ihrer relativen Jugend ausgebildete Elitesoldaten, die darauf trainiert waren, mit extremen Situationen fertig zu werden. Aber das hier war keine Extremsituation - es war Materie gewordener Wahnsinn. Nichts hier schien irgendwie logisch zu sein. Nichts war in irgendeiner Art voraussehbar. Und es war vor allem die Präsenz der Moroni, die an den Nerven der drei Soldaten zerrte. Skudder war in einer Welt geboren und aufgewachsen, die den Fremden gehörte. Sie selbst hatte von allen Menschen ihrer Generation vielleicht den intensivsten und längsten Kontakt zu den Invasoren der Sterne gehabt und sich in irgendeiner Form wohl an sie gewöhnt. Faller, Leßter und Phillipsen hatten diese Chance nie gehabt. Sie mußte sich immer wieder in Erinnerung rufen, daß die drei jungen Männer genau wie sie vor mehr als einem halben Jahrhundert in die Tiefschlafkammern der Bunkerfestung gestiegen und erst vor wenigen Wochen wieder erwacht waren. Obwohl es mehr als fünfzig Jahre her war, war der Schock über den Verlust und die furchtbare Veränderung ihrer Heimat für sie so frisch, als wäre es erst gestern geschehen.

Sie verscheuchte den Gedanken und wandte sich nach links; in die Richtung, in der die Zentrale des Läufers lag. Aber sie war erst ein paar Schritte gegangen, als sie ein Geräusch hörte und abrupt stehenblieb. Hastig hob sie die Hand, als Skudder etwas sagen wollte, und der Hopi verstummte und schloß die Augen, um ebenfalls zu lauschen.

Es waren Schritte. Nicht die Schritte von Menschen, sondern das harte, unrhythmische Klack-Klack horniger Insektenbeine, die in unmöglich zu schätzendem Tempo näher kamen. Und es mußt viele sein; mindestens ein Dutzend.

»In Deckungl« flüsterte sie erschrocken. »Versteckt euch irgendwo!«

Gleichzeitig fuhr sie selbst herum und zerrte Phillipsen, der vor Schrecken wie erstarrt hinter ihr stand, einfach mit sich. Aber sie blieb nach wenigen Schritten wieder stehen.

Der Gang erstreckte sich dreißig oder vierzig Schritte vor ihnen, bis er hinter der sanften Krümmung des riesigen Maschinenleibes verschwand, und es gab nirgendwo eine Tür oder auch nur eine Nische, die groß genug wäre, einen Menschen zu verbergen; geschweige denn fünf.

Charitys Gedanken überschlugen sich. Die Schritte der Ameisen waren bereits hörbar näher gekommen. In wenigen Augenblicken würden sie hinter ihnen um die Ecke biegen und sie sehen.

»Zurück auf die Treppe!« befahl sie.

Phillipsen wollte widersprechen, aber Charity versetzte ihm einen groben Stoß, der ihn haltlos auf die Tür zutaumeln ließ, und Skudder tat kurzerhand dasselbe mit Faller, während Leßter ohne zu zögern und als erster wieder auf die Irrsinnstreppe hinaustrat und ein paar Stufen nach oben lief, um Platz für sie zu machen.

»Ich gehe da nicht hinauf!« sagte Phillipsen und versuchte sich loszureißen.

Charity packte ohne ein Wort seinen Arm und verdrehte ihn mit einem Ruck. Phillipsen keuchte vor Schmerz, stellte aber seinen Widerstand ein und taumelte vor ihr her. Als sie aber die Tür erreichten, hielt er sich mit der freien Hand am Rahmen fest und stemmte sich mit aller Gewalt gegen Charity.

»Nein!« keuchte er. »Nicht! Wir werden abstürzen! Ich weiß es!«

»Verdammt, Mann - seien Sie doch vernünftig!« Charity wandte gehetzt den Blick und sah den Gang hinab. Die Schritte der Ameisen waren so nahe, daß höchstens noch Sekunden vergehen konnten, ehe sie erschienen. »Sie werden uns alle erwischen, wenn Sie sich nicht zusammenreißen!«

Phillipsen schien ihre Worte gar nicht zu hören. »Wir gehen sowieso drauf!« keuchte er. »Wir...«

Und plötzlich erschien eine Gestalt in einem grau-grün gefleckten Tarnanzug hinter ihm, packte ihn mit beiden Händen am Gürtel und im Nacken - und schleuderte ihn im hohen Bogen durch die Tür und in die Leere jenseits der Treppe hinaus!

Charitys Entsetzen war so gewaltig, daß sie in der ersten Sekunde überhaupt nicht begriff, was eigentlich passiert war. Völlig fassungslos stand sie da, und wahrscheinlich wäre sie auch weiter einfach so stehengeblieben, hätte Leßter im nächsten Augenblick nicht auch sie am Arm ergriffen und mit einem groben Ruck zu sich heraus auf die Treppe und dann zwei Stufen weit in die Höhe gezerrt. Fast in der gleichen Sekunde hörte sie, wie die Schritte der Moroni hinter ihm um die Gangbiegung kamen und sich der Tür näherten.

Sie wollte etwas sagen, aber Leßter bedeutete ihr mit einem fast entsetzten Blick, still zu sein, und preßte sich mit dem Rücken eng gegen die Wand. Charity folgte seinem Beispiel, zumal der Läufer in diesem Moment besonders heftig erzitterte und bebte, so daß sie fast ihr Gleichgewicht verloren hätte, aber es gelang ihr nicht mehr, sich auf die Schritte der Moroni auf dem Gang zu konzentrieren. Aus weit aufgerissenen Augen starrte sie Leßter an, und es gelang ihr noch immer nicht, einen klaren Gedanken zu fassen. Auch Faller und Skudder standen wie erstarrt da und waren von dem, was sie beobachtet hatten, offenbar ebenso schockiert wie Charity.