Mit einem Ruck fuhr sie herum und trat wieder neben Skudder, der auf den Monitor deutete, auf dem der Gang von der Zentrale zu sehen war. Die Ameisen hatten ihre Waffe fertig aufgebaut, und gerade als Charity neben den Hopi trat, begann auf der Oberseite des Instrumentes ein dunkelgrünes, unheimliches Licht zu glühen.
»Haltet sie auf!« sagte Leßter gepreßt. »Nur noch einen Moment!«
»Okay.« Skudder hob seine Waffe. »Machen Sie die Tür auf.«
Charity fuhr erschrocken zusammen und wollte etwas sagen, aber Leßter hatte bereits einen Schalter berührt, und aus dem Inneren der gepanzerten Tür klang das schrille Wimmern eines winzigen Servomotors.
Aber die Tür rührte sich nicht.
Leßter fluchte, drückte eine andere Taste, und das Geräusch des überdrehten Motors wurde schriller und ungesunder, ohne daß irgendeine andere Wirkung zu sehen gewesen wäre. Offensichtlich hatten die vorhergehenden Versuche der Moroni, die Tür aufzubrechen, den Mechanismus nachhaltig beschädigt.
Sie blickte wieder auf den Schirm - und zuckte zusammen. Aus dem Lauf der klobigen Waffe schoß ein grellgrüner Energieblitz, und den Bruchteil einer Sekunde später zeigte der Monitor nur noch das Flimmern von Störungen.
»Leßter!« sagte Charity gehetzt. »Tun Sie etwas!«
»Das habe ich schon«, antwortete Leßter. »Wir brauchen nur noch ein paar Minuten. Vielleicht schaffen wir es.«
Auch Charity nahm jetzt ihr Gewehr von der Schulter und entsicherte die Waffe, während sie den Lauf auf die Tür richtete. Sie suchte vergeblich nach glühendem Metall oder Rissen oder anderweitigen Beschädigungen. Aber irgend etwas geschah dort draußen. Sie spürte ein schwer zu beschreibendes, kribbelndes Gefühl, daß ihren ganzen Körper durchflutete, als wäre die Luft plötzlich mit Elektrizität erfüllt, und aus den Augenwinkeln sah sie, wie sich Skudder und Faller unruhig bewegten. Offensichtlich erging es ihnen ebenso.
Charitys Blick wanderte immer nervöser zwischen der Tür und Leßters Gestalt hin und her. Aber sie wußte nicht einmal, was ihr mehr Sorgen machte - der Gedanke an das, was die Moroni dort draußen taten, oder die beinahe unheimliche Schnelligkeit, mit der Leßters Finger über das Instrumentenpult huschten und Dinge taten, deren Wirkung sie nicht einmal zu erahnen vermochte. Für einen Moment fragte sie sich ganz ernsthaft, wer dieser Mann war. Ganz bestimmt nicht das, was zu sein er ihnen bisher vorgespielt hatte.
Das Knistern elektrischer Spannung in der Luft wurde stärker und erreichte fast schmerzhafte Intensität. Gleichzeitig glaubte Charity, eine Anzahl haarfeiner Risse zu erkennen, die plötzlich die Tür und einen Teil der Wand daneben überzogen, war aber nicht ganz sicher.
»Geht von der Tür weg«, sagte Leßter. »Und schießt, sobald sie sich öffnet.«
Sie gehorchten hastig. Die Risse waren nun deutlicher zu sehen, und allmählich begannen sie ein mattes, grünes Glühen wahrzunehmen, das durch diese Risse hindurchschimmerte.
Und dann ging alles sehr schnell und mit unheimlicher Lautlosigkeit: Aus den winzigen Sprüngen wurden fingerbreite, gezackte Risse, die lautlos und rasend schnell zusammenwuchsen, während das Metall der Tür einfach zu verschwinden schien; wie Eis, das in der Sonne verdampfte. Eine Flut grünen kalten Lichtes strömte in die Zentrale und begann alles aufzulösen, auf was es traf - Charity sah mit einem hastigen Blick, daß sich ein Teil der Instrumente an der Rückwand des Steuerraumes in grauen Staub auflöste. Funken und Flammen stoben auf, und in der Luft lag ein Ozongestank, der ihr fast das Atmen unmöglich machte.
»Schießt!« schrie Leßter.
Charity und auch Faller waren viel zu verblüfft, um auf ihn zu hören, aber Skudder zögerte keine Sekunde mehr. Er hob seine Waffe, richtete den Lauf auf das Zentrum des unheimlichen grünen Leuchtens und drückte ab, drei-, vier-, fünfmal hintereinander. Die grellen Laserschüsse waren in der grünen Lichtflut kaum zu sehen, aber Charity hörte das dumpfe Echo krachender Explosionen draußen auf dem Korridor. Schließlich überwand auch sie ihre Lähmung und hob ihr Gewehr, aber sie mußte nicht mehr abdrücken. Einer von Skudders Schüssen schien die Waffe der Moroni getroffen zu haben, denn das grüne Licht erlosch plötzlich. Gleichzeitig wurde es fast unheimlich still. Alles, was noch zu hören war, war das leise Rieseln des grauen Staubes, in den der Energiestrahl das Metall verwandelt hatte.
Charity erhob sich vorsichtig hinter dem Pult, hinter dem sie Deckung gesucht hatte, und näherte sich geduckt der Tür. Draußen flackerten Flammen, und sie konnte nichts erkennen außer orangefarbenem Licht und tanzenden Schatten. Trotzdem bewegte sie sich mit äußerster Vorsicht. Skudders Schüsse hatten vielleicht die Waffe zerstört, aber dort draußen mußten Dutzende von Ameisen auf sie warten.
Mit klopfendem Herzen näherte sie sich der Tür, preßte sich eng mit dem Rücken gegen die Wand daneben und wartete, bis Skudder auf der anderen Seite dasselbe getan hatte.
Sie warteten noch eine halbe Sekunde, nach einem raschen Blick, den sie tauschten und der alles war, was sie an Verständigung benötigten, dann warfen sie sich beide in einer fast synchronen Bewegung vor. Charity sprang mit einem Satz aus der Tür und rollte draußen über die Schulter ab, um mit schußbereit erhobener Waffe wieder auf die Füße zu kommen, während Skudder sich auf ein Knie herabfallen ließ und sein Gewehr hob.
Keiner von ihnen gab auch nur einen Schuß ab.
Einer von Skudders ungezielten Energiestößen hatte die Waffe der Moroni getroffen und in einen glühenden Schrotthaufen verwandelt, und daneben, dahinter und auch davor lagen reglose Ameisen, zum Teil verkrümmt und mit angezogenen Gliedern wie sterbende Spinnen, zum Teil ausgestreckt und sich noch mühsam bewegend.
Aber es war nicht die Explosion der Waffe gewesen, die sie niedergestreckt hatte.
Charity fühlte, was es gewesen war, ehe sie es begriff.
Sie fühlte es als schneidenden Schmerz in der Kehle, als sie zu atmen versuchte, und als fast unerträgliches Brennen auf der nackten Haut ihres Gesichtes. Und sie sah es als graue Dampfwolke, die im Rhythmus ihrer Atemzüge vor ihrem Gesicht erschien.
Es war unglaublich kalt hier draußen. Das Atmen war fast unmöglich. Sie spürte, wie die Kälte ihr die Tränen in die Augen trieb und sie fast im gleichen Moment zu Eis auf ihrem Gesicht erstarren ließ, und wie sie trotz des isolierenden Anzugs, den sie trug, beinahe augenblicklich in ihren Körper kroch, ihre Haut prickeln ließ und ihre Muskeln zu lahmen begann. Ihre Finger und Zehenspitzen wurden taub, und sie hatte plötzlich alle Mühe, das Gewehr in den Händen zu halten.
Mehr aus einem Reflex als aus logischem Denken heraus sprang sie in die Höhe und wich rückwärts gehend wieder zur Tür der Zentrale zurück. Sie atmete flach und durch die zusammengebissenen Zähne, und trotzdem hatte sie das Gefühl, flüssige Lava ihre Kehle herunterrinnen zu fühlen. Und auch Skudder erging es nicht anders. Sein Gesicht war verzerrt und sah aus wie mit Puderzucker bestäubt, und auch seine Hände waren taub und ungelenk, so daß er die Finger kaum noch bewegen konnte.
Es war diese grausame Kälte gewesen, die die Moroni getötet hatte. Und nicht nur die Besatzung der Kanone. Überall in dem langen, schmalen Korridor, dessen Wände sich jetzt mit glitzernden Eiskristallen überzogen hatten, lagen reglose Insektenkrieger. Die meisten tot, einige bewegten sich noch schwach, waren aber nicht mehr in der Lage, aufzustehen oder auch nur noch nach ihren Waffen zu greifen. Ein eisiger Wind fauchte durch den stählernen Gang.
Hastig wichen sie wieder in die Zentrale des Läufers zurück. Hier drinnen war es spürbar wärmer, aber sie sah an dem Ausdruck auf Fallers Gesicht, daß die Temperaturen jetzt auch hier merklich fielen. Die Schicht aus glitzernden Eiskristallen, die den Boden und die Wände draußen überzog, begann lautlos und rasch über die Schwelle zu kriechen und breitete sich wie weißer Schimmel auf dem Boden und den Wänden aus; nicht sehr schnell, aber unaufhaltsam.