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»Was haben Sie getan?«

Leßter beantwortete Charitys Frage auch jetzt nicht, aber er hob für einen Moment den Blick und schenkte ihr ein Lächeln, das Charity frösteln ließ. Er sah noch immer aus wie ein großer Junge, der sich nur als Erwachsener verkleidet hatte, und in seinen Augen glitzerte noch immer diese kindliche Fröhlichkeit, aber Charity mußte plötzlich daran denken, wie kaltblütig er Phillipsen getötet hatte, so berechnend und logisch wie eine Maschine.

»Suchen Sie etwas, um die Tür zu verbarrikadieren«, sagte er. »Bevor wir hier drinnen erfrieren.«

Skudder setzte zu einer wütenden Entgegnung an, aber Charity brachte ihn mit einer Geste zum Schweigen. Leßter hatte wieder einmal recht - sie hatten einfach keine Zeit, um mit ihm zu reden. Die Temperaturen fielen rasend schnell. Draußen im Korridor herrschten Minusgrade, die die Insekten binnen Minuten kampfunfähig gemacht und vielleicht getötet hatten, und wenn sie zuließen, daß ihr letztes bißchen kostbarer Wärme hinausströmte, dann würden auch sie in einigen Minuten erfrieren. Während Faller und der Hopi begannen, eines der großen Instrumentenpulte auseinanderzunehmen, um die Platte als provisorische Tür vor den Ausgang zu schweißen, trat Charity noch einmal in den Gang hinaus und sah sich um. Obwohl kaum eine Minute vergangen war, hatte sich das Bild wieder verändert, auf furchtbare Weise verändert: Eine glitzernde Eisschicht hatte die Körper der gestürzten Moroni mit einem weißen Panzer überzogen, und von der Decke und den Wänden wuchsen bizarre Gebilde aus Eis herab. Die Luft war voller staubfeinem, wirbelndem Schnee und so schneidend kalt, daß Charity schmerzvoll hustete, als sie einen Atemzug nahm.

Was war hier geschehen?

Sie wich wieder ein Stück in die Zentrale zurück, überzeugte sich mit einem raschen Blick vom Fortgang von Skudders und Fallers Arbeit und drückte dann einige Knöpfe auf dem Instrumentengürtel ihres Anzuges. Anders als Skudder und die drei Soldaten hatte sie darauf verzichtet, sich einen der modernen Kampfanzüge aus Hartmanns unerschöpflichem Materiallager geben zu lassen, sondern ihre alte Spaceforce-Uniform anbehalten. Jetzt schaltete sie die Heizung des Anzuges auf Maximum, raffte mit der linken Hand das Haar zusammen und ließ dann den aufblasbaren Kunststoffhelm aus dem Kragen herausfahren. Auf der Oberfläche ihres Armbandgerätes begann eine rote Warnlampe zu blinken, und sie wußte, daß die sechzig Jahre alten Batterien des Anzuges der Belastung nur wenige Minuten standhalten würden. Aber in diesen wenigen Minuten war die Montur sogar in der Lage, der Kälte des Weltraums zu trotzen.

Sie wartete kaum, bis sich der Helm geschlossen und mit einem zischenden Laut völlig aufgeblasen hatte, sondern stürmte aus der Zentrale, wandte sich nach rechts und lief mit weit ausgreifenden Schritten auf die Tür zu, durch die sie diesen Gang betreten hatten.

Noch bevor sie sie erreichte, sah sie, daß etwas dahinter nicht stimmte. Wo zuvor das blasse, vom roten Glühen der Schmelzöfen durchdrungene Licht der Halle gewesen war, da blendete jetzt ein grell-weißer Schein ihre Augen. Eine heftige Windböe schlug ihr entgegen und ließ sie taumeln, und auf dem spiegelglatt gefrorenen Boden verlor sie um ein Haar den Halt. Sie fing sich mit der Hand an der Wand ab, ging langsamer und blieb schließlich stehen, als sie die Tür erreichte.

Der Anblick dahinter unterschied sich kaum von dem des Ganges. Die riesige Halle war zu einer bizarren Landschaft aus Eisskulpturen und wirbelndem Schnee geworden. Die Feuer, die sie vorhin gesehen hatten, waren zum größten Teil erloschen, der Rest hinter brodelnden Dampfwolken verschwunden. Ein Schneesturm tobte, der sich kaum von dem außerhalb des Läufers unterschied.

Und das konnte er auch nicht, denn er war ein Teil davon.

Charity blickte ungläubig dorthin, wo vor einer halben Stunde noch die Decke der riesigen Fabrikhalle gewesen war.

Sie hatte sich geöffnet. Die gewaltigen, gekrümmten Stahlplatten waren in vier Segmente unterteilt, genau wie die Flügelschale des Käfers, dem die gigantische Maschine glich, nach oben und zur Seite geklappt, so daß der Sturm und die grausamen Temperaturen des Sperrgürtels ungehindert ins Innere der Maschine hatten dringen können. Sie wußte jetzt, was Leßter getan hatte. Und obwohl er ihnen damit allen das Leben gerettet hatte, verspürte sie für einen Moment nichts als Entsetzen.

Charity versuchte vergeblich sich vorzustellen, wie es gewesen sein mußte. Ihre Phantasie kapitulierte vor dieser Aufgabe, und eigentlich war sie auch froh darum. Vielleicht hatten die Moroni nicht einmal Zeit gefunden, überhaupt zu begreifen, was sie umbrachte. Als sich die Hallendecke öffnete, da mußten die Temperaturen binnen weniger Sekundenbruchteile um mehr als hundert Grad Celsius gefallen sein.

Länger als eine Minute blieb Charity reglos so stehen und blickte in die Tiefe der Fabrikhalle herab, aber sie sah nirgendwo mehr ein Zeichen von Leben. Der Dampf begann auseinanderzutreiben, als auch die letzten Feuer erloschen, und die riesigen Zahnräder, Kolben und Transportmaschinen waren längst im unbarmherzigen Griff der Kälte erstarrt und hatten sich unter schimmernden, weißen Eispanzern verborgen.

Schließlich drehte sie sich herum und ging zur Zentrale zurück.

Sie warf einen flüchtigen Blick auf das Thermometer in ihrem Armbandgerät. Die rote Digitalanzeige zeigte minus einhundertvier Grad Celsius.

Skudder und der junge Soldat waren mit ihrer Arbeit fast fertig, als sie in die Steuerkanzel des Läufers zurücktrat. Sie hatten eine fingerdicke Metallplatte von der Oberfläche eines der Instrumentenpulte heruntergeschnitten und lehnten sie jetzt gegen die Türöffnung. Ihre Bewegungen waren eckig und mühsam, und Charity sah, daß Fallers Hände bluteten. Wahrscheinlich waren sie vor Kälte taub, daß er nicht einmal merkte, wenn er sich verletzte. Rasch ließ sie den Helm wieder zurückfahren und schaltete die Anzugheizung herunter. Sie spürte fast sofort wieder den Ansturm der grausamen Kälte und wünschte sich, es nicht getan zu haben. Aber sie wußte, daß sie binnen weniger Augenblicke vollends erfrieren mußte, wenn sie die altersschwachen Batterien überlastete und der Anzug ausfiel. Sie half den beiden so gut sie konnte. Mit Hilfe einer der beiden Strahlenpistolen der Moroni verschweißten sie die Metallplatte mit dem Türrahmen. Das Ergebnis sah nicht besonders professionell aus, und es wurde dadurch hier drinnen auch nicht wärmer, aber die Platte hinderte das bißchen warme Luft, das es hier noch gab, zumindest daran, in den Gang zu entweichen.

Wieder sah Charity auf ihr Thermometer. Die Zahlen zeigten jetzt minus zweiundsiebzig Grad Celsius. Direkt warm gegen das, was draußen herrschte, dachte sie sarkastisch. Trotzdem eine Temperatur, bei der sie nicht sehr lange überleben würden.

Sie erzählte Skudder und Faller mit wenigen Worten, was sie draußen gesehen hatte, dann wandte sie sich wieder an Leßter. Auch seine Gestalt war verkrampft vor Kälte, und seine Augenbrauen und der dünne Oberlippenbart, der auf seinem Kindergesicht völlig deplaziert wirkte, waren weiß gefroren. Trotzdem hantierten seine Hände weiter an den Kontrollen des Läufers, und sein Blick irrte unablässig zwischen dem Bildschirm und den Anzeigeinstrumenten vor ihm hin und her.

Charity trat mit einem raschen Schritt neben ihn und sprach ihn an. Er reagierte nicht, aber damit hatte sie auch kaum noch gerechnet. Mit einer entschlossenen Bewegung ergriff sie seine Schulter und zwang ihn mit einem groben Ruck, sie anzusehen.

»Sie werden mir jetzt ein paar Fragen beantworten, Leßter«, sagte sie.

Leßter blickte sie an und lächelte.

Charity hatte plötzlich das Bedürfnis, ihn anzuschreien. Aber der Ausdruck in seinen Augen hielt sie davon ab. Sie spürte nur Verwirrung.

»Wer sind Sie, Leßter?« fragte sie.