»Aber das wissen Sie doch, Captain Laird«, antwortete Leßter.
»Nein, das weiß ich nicht«, erwiderte Charity. »Ich weiß nicht, wer oder was Sie sind, aber ich weiß eines ganz genau: Sie sind keiner von Hartmanns Männern. Sie sehen vielleicht so aus wie er, aber das ist auch schon alles.«
»Sie täuschen sich, Captain Laird«, antwortete Leßter beinahe sanft. »Ich kann das erklären.«
»Dann tu es«, sagte Skudder düster. »Und ich schwöre dir, daß ich dich eigenhändig umbringen werde, mein Junge, wenn mir deine Erklärung nicht gefällt.«
Leßter sah ihn beinahe vorwurfsvoll an, aber dann lächelte er wieder, schüttelte den Kopf und gab ein halblautes, fast resignierendes Seufzen von sich. »Ich weiß, ich hätte Phillipsen nicht töten dürfen«, sagte er. »Es war falsch. Ich habe einfach die Nerven verloren.«
Charity blickte in seine Augen und erkannte, daß er log. Leßter lächelte immer noch, aber in diesem Lächeln war kein Gefühl, keine Wärme, und es war auch kein unsicheres Lächeln, denn sie erkannte auch keine Angst darin. Im Grunde sah sie überhaupt nichts.
»Das meine ich nicht«, sagte sie. »Wenn wir das hier überleben, dann werden Sie sich vor Ihren Vorgesetzten dafür verantworten müssen. Und vor Ihrem eigenen Gewissen. Falls Sie so etwas haben.«
Sie deutete auf das Instrumentenpult. »Wieso wissen Sie, wie man damit umgeht?«
Leßter zuckte mit den Achseln. »Ich weiß es eben«, antwortete er mit einem neuerlichen, diesmal beinahe überzeugend geschauspielerten unsicheren Lächeln. »Ich habe einfach ein Talent dafür, Captain Laird. Ich konnte es immer schon. Fragen Sie Faller. Wenn ich eine Maschine sehe, dann weiß ich instinktiv, wie sie funktioniert. Fragen Sie mich nicht, wie ich das mache - ich weiß es nicht. Aber ich kann es.«
»Das stimmt«, antwortete Faller. »Er war schon immer ein Genie am Computer. Sie brauchen ihn nur vor so ein Ding zu setzen, und er kann in einer halben Stunde damit zaubern.«
Charity schüttelte entschieden den Kopf. »Das kann sein«, sagte sie. »Aber das ist keine Erklärung. Das hier ist eine völlig fremdartige Technologie.«
»Oh, so fremdartig ist sie gar nicht«, sagte Leßter. Er deutete nacheinander auf einige Geräte, die in den Wänden und den bizarr geformten Pulten eingebaut waren. »Sehen Sie, dies und das und das dort, das sind völlig normale Computer. Sehr hochentwickelte Geräte, aber das Funktionsprinzip ist dasselbe wie bei uns. Und einiges von dem anderen Kram ist geradezu lächerlich primitiv, als hätte es ein Kind mit einem Technikbaukasten zusammengebaut. Was genial daran ist, ist, daß beides zusammenarbeitet, und daß es perfekt funktioniert.«
»Wir wollten keinen Vortrag über die Technik der Moroni, Leßter«, unterbrach ihn Skudder grob. »Wir wollen wissen, wieso Sie damit umgehen können.«
»Aber das habe ich doch gerade schon erklärt«, sagte Leßter. »Ich weiß es nicht. Ich kann es eben. Sie sollten froh sein, daß das so ist. Sonst wären wir jetzt nämlich schon tot.«
»Das sind wir wahrscheinlich sowieso«, sagte Skudder düster.
Charity sah ihn fragend an, und Skudder fuhr mit einer wütenden Geste fort:
»Du glaubst doch nicht, daß wir noch einmal hier herauskommen? Wahrscheinlich wissen sie längst, daß wir uns dieses Ding unter den Nagel gerissen haben, und sind bereits auf dem Weg hierher.«
»Das ist nicht gesagt«, sagte Leßter. »Soweit ich das erkennen kann, arbeitet diese Maschine völlig autark. Möglicherweise hat überhaupt niemand etwas gemerkt.«
»Möglicherweise«, murmelte Skudder. »Und wenn möglicherweise doch, dann wimmelt es in einer halben Stunde dort draußen von Ameisen.«
»Kaum.« Charity sah auf den Bildschirm und zog fröstelnd die Schultern zusammen. »Noch ein paar Grad kälter, und die Luft dort draußen gefriert. Niemand kann dort leben.«
»Hier drinnen ist es auch nicht gerade mollig«, sagte Skudder. Er sah Leßter an. »Gibt es so etwas wie eine Heizung hier?«
»Ich weiß es nicht«, antwortete Leßter. »Um ehrlich zu sein - darum habe ich mich bisher nicht gekümmert.«
Charity deutete auf den großen Monitor. »In welcher Richtung bewegen wir uns?«
Sie war nicht sehr überrascht, als Leßter antwortete: »Nach Norden.«
»Nach Norden?!« Skudder ächzte. »Aber das ... bringt uns direkt in die Todeszone hinein!«
»Wir sind schon mitten drin«, antwortete Leßter ruhig. Er lächelte wieder. »Sie wollten nach New York, oder? Ich bringe Sie hin.«
12
Es hatte einmal eine Zeit gegeben, da war Abn El Gurk Ben Amar Ibn Lot Fuddel der Vierte, wie der volle Name des Außerirdischen lautete, Daniel Stone einfach lächerlich vorgekommen.
Aber das war lange her; Monate, die ihm jetzt wie Jahre, wenn nicht Jahrzehnte vorkamen. Jetzt machte er ihm angst. Dabei hatte er sich nicht im geringsten verändert. Er wirkte noch immer wie ein mißgestalteter Krüppel, eine nur eineinhalb Meter große, spindeldürre Gestalt mit Skeletthänden und zu kurzen, krummen Beinen, einem Buckel, den das schlammbraune Cape, das er trug, nur unzureichend zu verbergen imstande war, einem dürren, knotigen Hals mit einem übergroßen Adamsapfel, der bei jedem Wort, das er sprach, wie ein fetter Käfer unter seiner Haut auf- und abhüpfte, und einem viel zu groß geratenen, kahlen Schädel, in den das Gesicht eines ständig schlechtgelaunten, gehässigen Zwerges eingraviert war. Seine Haut hatte einen kränklichen Farbton, der unmöglich mit Worten zu beschreiben war.
Aber es war nicht das Äußere des Zwerges, das Daniel Stone erschauern ließ.
Es waren seine Augen.
Augen, die wie die eines Tieres groß und dunkel und ohne sichtbare Pupille oder Iris waren, und in denen ein Wissen und eine Art von Weisheit geschrieben stand, die Daniel Stone bis ins Mark erschauern ließen. Manchmal hatte er das Gefühl, daß diese Augen direkt bis in sein Innerstes blicken konnten, daß ihnen kein Geheimnis verborgen, kein Gedanke verheimlicht blieb. Und obwohl der Zwerg seit drei Monaten sein Gefangener war, obwohl er ihm auf Gedeih und Verderb ausgeliefert und keine Sekunde unbewacht gewesen war, hatte Stone manchmal das Gefühl, daß der Zwerg mit ihm spielte und nicht umgekehrt.
»Wer bist du, Gurk?«
Er begriff erst, daß er den Gedanken laut ausgesprochen hatte, als der Gnom darauf antwortete.
»Ich glaube, das ist nicht der richtige Moment, um über mich zu sprechen«, sagte er mit seiner unangenehmen, hohen Fistelstimme. »Reden wir lieber über dich. Es sieht so aus, als stecktest du in Schwierigkeiten.« Er hob die Hand und fuhr sich mit dem Zeigefinger an der Oberlippe entlang. »Bis hierher.«
»So?« sagte Stone düster. Er stand auf, trat ans Fenster seines Penthouse-Apartments und blickte auf die Türme Manhattans hinab, die sich unter ihm wie eine bizarre, fremdartige Planetenlandschaft aus Glas und Chrom und Beton ausbreiteten. Sicherlich zwei oder drei Minuten lang blieb er so stehen und starrte ins Leere, dann drehte er sich mit einem Ruck wieder herum und ging zu dem kleinen Tisch neben der Tür, um sich einen Drink zu mixen.
»Mach mir auch einen«, verlangte Gurk.
Stone sah überrascht zu ihm auf. »Ich wußte gar nicht, daß du Alkohol trinkst.«
»Du weißt eine Menge nicht.« Gurk zog eine Grimasse, hüpfte von seinem Stuhl herunter und kam mit kleinen trippelnden Schritten auf ihn zu. Mit einem flüchtigen Grinsen nahm er Stone das Glas aus der Hand, das dieser für sich selbst gemixt hatte, prostete ihm zu und leerte es mit einem einzigen, gewaltigen Zug. Danach ließ er es einfach fallen, fuhr sich genießerisch mit dem Handrücken über die Lippen und rülpste hörbar.
Stone starrte ihn an. »Ich werde einfach nicht schlau aus dir, Zwerg«, sagte er.
»Aber ich aus dir, Großer«, antwortete Gurk im gleichen Tonfall. »Ich muß gestehen, daß es mir bis vor kurzem genauso erging wie dir, aber ich glaube, ich weiß jetzt, was mit dir los ist.«