»Was ist mit ihm?« fragte Skudder, der hastig hinter sie getreten war.
»Er erfriert«, sagte Charity. Mit einem Gefühl von heftigem Schuldbewußtsein erinnerte sie sich daran, daß Faller anders als sie keinen Anzug trug, der für eine kurze Zeit sogar der Weltraumkälte standhalten konnte, sondern nur eine ganz normale Montur; zwar isoliert, aber nicht für diese Temperaturen gedacht.
»Wir müssen ihn wärmen«, sagte sie. »Irgendwie.«
»Aber wie?« Skudder sah sich fast gehetzt in der Zentrale um. Der Raum war riesig und vollgestopft mit Instrumenten und Geräten, aber es gab absolut nichts, was brennbar gewesen wäre.
»Leßter!« sagte sie. »Tun Sie etwas!«
»Das kann ich nicht«, antwortete Leßter. »Es tut mir leid.«
Skudder blickte auf den bewußtlosen Soldaten hinab. Charity konnte sehen, wie es hinter seiner Stirn arbeitete. Plötzlich streifte er das Gewehr von der Schulter, zielte auf den Teil der Rückwand, den der grüne Energiestrahl der Moroni bereits halb aufgelöst hatte, und drückte drei-, viermal hintereinander ab.
Charity schloß geblendet die Augen, als die grellweißen Energieblitze in das Metall fuhren und es kirschrot aufglühen ließen. Die Luft in der Zentrale füllte sich schlagartig mit Dampf.
»Hilf mir!« Skudder ging hinter Fallers Kopf in die Hocke und ergriff den Reglosen unter den Achselhöhlen, während Charity seine Beine nahm. Gemeinsam schleiften sie ihn durch die Zentrale und legten ihn behutsam dicht vor der rotglühenden hinteren Wand wieder zu Boden.
Nach der grausamen Kälte spürte Charity die Hitze, die das Metall ausstrahlte, doppelt schmerzhaft. Sie hatte das Gefühl, ihr Gesicht stünde in Flammen, und auch Skudder blinzelte heftig und drehte das Gesicht zur Seite.
»Eine etwas dramatische Art, die Heizung einzuschalten, finden Sie nicht?« fragte Leßter ruhig.
Charity zuckte mit den Schultern. »Aber es funktioniert.« An die radioaktive Strahlung, die sie alle drei in diesem Moment abbekamen, wagte sie vorsichtshalber gar nicht zu denken. Es spielte auch keine Rolle.
Wenn die Gammastrahlung sie nicht umbrachte, dann würde es die Kälte tun. Der Läufer marschierte weiter nach Norden, weiter auf den Ring künstlich erzeugter Weltraumkälte zu, der New York zu einer uneinnehmbaren Festung machte. Es würde bald noch sehr viel kälter hier drinnen werden.
»Paß auf ihn auf«, sagte sie zu Skudder, während sie aufstand. Sie warf einen flüchtigen Blick auf den rotglühenden Teil der Wand. Skudders Schüsse hatten ungefähr einen Quadratmeter des Metalls zum Schmelzen gebracht, aber die Hitze ließ bereits nach. Und sie war nur auf einen kleinen Bereich vor der Wand beschränkt. Wenn es hier drinnen noch kälter wurde, dachte sie bitter, dann hatten sie die Wahl, gegrillt oder tiefgefroren zu werden. Wahrscheinlich beides. Gleichzeitig und von zwei verschiedenen Seiten.
Sie verscheuchte den Gedanken und trat wieder neben Leßter. Automatisch glitt ihr Blick über den Bildschirm, ehe sie sich an den Soldaten wandte. »Was haben Sie eigentlich vor?« fragte sie. »Uns umzubringen?«
Leßter schüttelte den Kopf, ohne sie anzusehen. »Wir sind hier sicher«, sagte er. »Diese Maschine kann ganz gut auf sich aufpassen. Sie müssen schon eine ganze Flotte aufbieten, um sie zu stoppen.«
»Ja«, entgegnete Charity, »oder eine einzelne Rakete mit einem großen Sprengkopf. Haben Sie schon einmal an diese Möglichkeit gedacht?«
Leßter lächelte, dann schüttelte er wieder den Kopf. »Natürlich«, sagte er. »Aber das werden sie nicht wagen.«
»Und wieso nicht?« erkundigte sich Charity. Leßter machte eine Handbewegung zum Bildschirm.
»Wir befinden uns keine zwanzig Meilen mehr von der Stadt entfernt«, sagte er. »Dieser Läufer ist groß, Captain Laird. Verdammt groß. Um einen solchen Koloß zu stoppen, brauchen sie eine Wasserstoffbombe. Und eine solche Waffe so nah bei ihrem Hauptquartier zu zünden, das wagen sie nicht.«
Charity hoffte zumindest, daß er recht hatte.
»Selbst wenn«, sagte sie. »Wir kommen niemals in die Stadt hinein, Leßter. Sie werden uns mit einer ganzen Armee erwarten.«
»Davon gehe ich aus«, sagte Leßter ruhig. »Keine Sorge, Captain Laird - ich werde dafür sorgen, daß sie anderes zu tun haben als nach uns zu suchen.«
Sie sagte nichts mehr darauf - und sei es nur aus dem Grund, daß sie nicht mehr sicher war, sich wirklich noch beherrschen zu können, wenn sie weiter mit Leßter sprach.
Wortlos wandte sie sich um und ging zu Skudder und dem bewußtlosen Faller zurück.
14
Stones Hände begannen zu zittern, kaum daß sich die Aufzugtüren hinter ihm geschlossen hatten.
Es hatte all seine Kraft und Selbstbeherrschung aufgebraucht, weiterhin den Unbeteiligten zu spielen, während er neben den Inspektoren stand und dem Radarbild des näherkommenden Läufers zusah.
Jetzt war von dieser Selbstbeherrschung nichts mehr zu sehen, sie war von ihm abgefallen wie eine Maske. Seine Hände und Knie zitterten, sein Atem ging schnell, und er war sicher, hätte er in einen Spiegel sehen können, dann wäre sein Gesicht bleich wie das eines Toten gewesen.
Es war alles verloren. Wenn kein Wunder geschah, dann war er so gut wie tot.
Während der Aufzug langsam nach oben glitt, beruhigte sich das Zittern seiner Hände ein wenig, und im gleichen Maße, in dem die Panik in seinen Gedanken nachließ, begann er, einen verzweifelten, aberwitzigen Plan zu entwickeln.
Als Daniel Stone wenige Augenblicke später wieder aus dem Aufzug und in sein Penthouse-Apartment hoch über den Dächern Manhattans trat, da war von dem Sturm von Gefühlen in seinem Inneren auf seinem Gesicht nichts mehr zu sehen. Ganz im Gegenteil wirkte er ruhig, ja fast gelassen.
Nur in seinen Augen war ein leises, nervöses Glitzern, aber das versuchte er nicht zu bekämpfen. Ganz im Gegenteil; es gehörte zu seinem Plan.
Gurk saß auf einem Stuhl am Fenster, baumelte mit den Beinen und blickte auf die Stadt hinab, als er eintrat.
»Ich brauche deine Hilfe«, sagte Stone.
15
Charitys Gesicht war voller Brandblasen, und aus ihren Fingern und Zehen war längst jedes Gefühl gewichen. Das Digitalthermometer an ihrem Handgelenk hatte es aufgegeben, die richtige Temperatur anzeigen zu wollen, und die Luft, die sie atmete, schnitt abwechselnd eisig und scharf wie gemahlenes Glas und dann wieder so heiß wie Lava in ihre Kehle. Die rückwärtige Wand der Zentrale hatte sich längst in eine bizarre Skulptur aus großen geschwärzten Brandlöchern und Stahl, der wie weicher Wachs unter der Wüstensonne zu bizarren Formen zerlaufen war, verwandelt. Skudder gab in regelmäßigen Abständen Schüsse aus seiner Waffe auf das Metall ab, und im gleichen Rhythmus schlug eine neue, grausame Hitzewelle nach ihren Gesichtern und den ungeschützten Teilen ihres Körpers. Irgendwo hinter der zerfetzten Wand brannte es; rot-orange Flammen, die Licht, aber keine Wärme in den verwüsteten Raum schickten, und in den letzten Minuten war der Läufer mehrmals aus dem Takt gekommen und einmal ganz stehengeblieben. Charity wußte nicht, ob es an den Beschädigungen lag, die Skudder mit seinem unablässigen Laserfeuer in den Kontrollinstrumenten hervorgerufen haben mußte, oder an den Außentemperaturen, die immer noch weiter sanken, obwohl sie den Grad des Vorstellbaren längst überschritten hatten.