Leßter zerrte vergebens an der Tür. Sie war zugefroren, und sie rührte sich auch nicht, als Skudder die Eisschicht über dem Fahrzeug mit einem breitgefächerten Schuß aus seiner Waffe verdampfen ließ. Leßter fluchte, zerrte sich die Handschuhe herunter und fluchte erneut, als er sich die Finger an dem plötzlich glühendheißen Metall des Fahrzeuges verbrannte. Aber nach einigen Augenblicken erscholl ein wimmerndes Geräusch aus dem Inneren, und die Tür begann sich widerwillig und knirschend zu öffnen.
Der Raum dahinter war groß genug für vier oder fünf Personen, aber so flach, daß sie nebeneinander liegen mußten, und die Liegen waren nicht für menschliche, sondern für die Gestalten der riesigen Ameisenkrieger geschaffen. Charity blickte entgeistert auf das Durcheinander fremdartiger Kontrollinstrumente und anzeigen herab. Aber Leßter gab ihr auch jetzt keine Gelegenheit, irgendeine Frage zu stellen, sondern drängte Skudder und sie vor sich her durch die niedrige Tür und kroch als letzter auf Händen und Knien in das Fahrzeug hinein. Noch bevor sich der Eingang zu schließen begann, flogen seine Finger über die Tasten und Schalter, und das Steuerpult des Flugzeuges begann zu blinkendem Leben zu erwachen. Gleichzeitig fauchte ein warmer Luftstrom aus den Schlitzen der Klimaanlage.
»Sie werden uns eine Menge Fragen beantworten müssen, Leßter, wenn wir hier herauskommen«, knurrte Skudder drohend.
»Das werde ich«, antwortete Leßter. »Wenn wir hier herauskommen.«
Unter ihnen begann das Triebwerk des Flugzeuges mit einem Geräusch wie dem Pochen eines mechanischen Herzens anzulaufen, und gleichzeitig verschwand auch der letzte Rest von Eis von dem Fenster vor ihnen. Eine Anzahl starker Scheinwerfer flammte auf und schnitt Bahnen aus ungewohnt greller Helligkeit in den Hangar. Charity blinzelte, als Leßter eine weitere Taste auf seinem Pult drückte und sich das große Tor am entgegengesetzten Ende des Raumes knirschend zu öffnen begann.
Das Triebwerk stotterte ein paarmal, fand dann aber in seinen Rhythmus und lief gleichmäßig. Die Tore glitten weiter auf, und jetzt konnten sie sehen, daß der Himmel draußen noch immer voller Gleiter war. Ab und zu blitzte es grell zwischen ihnen auf, und der Läufer erbebte wieder unter einem Einschlag. Charity verstand allmählich nicht mehr, wieso sich die Maschine noch bewegte. Der Läufer war ein unvorstellbarer Koloß, aber die Moroni überschütteten ihn auch mit einem unvorstellbaren Feuer. Die Energien, die sie in den riesigen Stahlkörper pumpten, hätten ausgereicht, einen Flugzeugträger verdampfen zu lassen.
»Worauf warten Sie?« fragte sie nervös.
Leßter sah sie flüchtig an, machte aber keine Anstalten, das Fahrzeug zu starten. »Wollen Sie abgeschossen werden?« fragte er statt dessen.
Wieder tat er irgend etwas an den Kontrollen, das Charity nicht verstand, aber einen Augenblick später sah sie, wie plötzlich überall im Hangar Lichter im Inneren der Fahrzeuge aufglommen. In das Dröhnen des Triebwerkes mischten sich die Geräusche anderer anspringender Motoren.
Plötzlich sah Charity eine schwarze Gestalt unter den offenstehenden Toren. Ein zweiter, spinnengliedriger Schatten erschien neben der ersten Ameise, dann ein dritter und vierter, und schließlich strömten mehr und mehr der zwei Meter großen Insektenkrieger herein.
»Starten Sie!« rief Skudder erschrocken.
Leßter nickte, startete das Fahrzeug aber trotzdem nicht, sondern hämmerte verbissen weiter auf den Kontrollen vor sich herum. Und plötzlich brüllten die Triebwerke eines der anderen Flugzeuge vor ihnen auf. Mit einem Satz schoß das silberfarbene Dreieck los, schüttelte den Rest seines Eispanzers ab und raste aus dem Tor, wobei es eine Spur aus sterbenden und verletzten Moroni hinterließ. Die überlebenden Ameisen suchten hastig Schutz hinter den geparkten Fahrzeugen, aber das war vielleicht nicht besonders klug - eines nach dem anderen lösten sich die Flugzeuge aus ihren eisigen Fesseln und rasten mit aufheulenden Triebwerken aus dem Hangar heraus. Charity sah, wie es draußen am Himmel wieder grell aufblitzte, und eines der pfeilflügeligen Fahrzeuge explodierte in einer grellen Feuerwolke, kaum daß es den Hangar verlassen hatte.
»Jetzt!« schrie Leßter. »Festhalten!«
Es gab kein allmähliches Beschleunigen, nur einen plötzlichen ungeheuer harten Ruck, mit dem der Jäger wie aus einem Katapult geschnellt aus dem Hangar heraussprang und im Bruchteil von Sekunden auf zwei- oder dreihundert Meilen Geschwindigkeit beschleunigte.
Charity schrie auf und versuchte, sich irgendwo festzuklammern, aber sie wurde mit solcher Macht in die fremdartig geformten Polster gepreßt, daß ihr die Luft wegblieb. Ein greller Energiestrahl stach nach ihnen, verfehlte sie und ließ eines der anderen Fahrzeuge unmittelbar neben ihnen explodieren. Leßter riß den Jäger in einer engen Kurve herum, und ein weiteres Flugzeug explodierte in der Luft, als die Gleiter hoch über ihnen ihr Feuer auf die kleine Flotte konzentrierten, die aus dem Läufer herausgebrochen war. Der Boden schien ihnen regelrecht entgegenzuspringen, als Leßter die Nase des Jägers senkte und noch stärker beschleunigte. Charity schrie abermals auf, aber der junge Soldat riß das Fahrzeug im allerletzten Moment wieder hoch, ließ es in einem irrsinnigen Zickzack von rechts nach links und wieder zurückspringen und stieg dann ein Stück weit fast senkrecht in die Höhe, um sofort wieder in den Sturzflug überzugehen. Er entging dem wütenden Laserfeuer der Gleiter auf diese Weise eine Weile. Aber nicht auf Dauer.
Die Türme Manhattans waren scheinbar zum Greifen nah gekommen, seit sie die Zentrale des Läufers verlassen hatten. Vor ihnen lagen nur noch zwei oder drei Meilen von Unkraut und Dschungel überwucherten Trümmergeländes, das an den Hudson River grenzte. Die Stadt dahinter schien völlig unbeschädigt zu sein.
Sie wurden getroffen, als sie sich dem Fluß näherten. Leßter hatte stark abgebremst und suchte offensichtlich nach einem Landeplatz am Ufer. Das Fahrzeug tanzte noch immer in irrsinnigen, völlig willkürlichen Sprüngen hin und her, aber offensichtlich reichten diese Bewegungen nicht mehr, die Zielcomputer der Moronigleiter zu irritieren. Charity schloß stöhnend die Augen, als eine Flut unerträglich grellen weißen Lichtes durch das Fenster hereinbrach, und im gleichen Sekundenbruchteil spürte sie einen Hauch mörderischer Hitze, und irgend etwas im Heck des Fahrzeuges explodierte. Der Jäger bäumte sich auf, schoß sich ununterbrochen überschlagend und drehend noch einmal ein Stück weit in die Höhe und begann dann zu stürzen.
Alles ging so schnell, daß keiner von ihnen wirklich begriff, was wirklich geschah, oder die Dinge hinterher in der richtigen Reihenfolge hätte benennen können. Ein blutrotes, ungeheuer heißes Licht überflutete das Innere des Jägers. Leßters Faust hämmerte auf eine dreieckige gelbe Taste auf dem Pult vor ihm, und plötzlich flog das gesamte Oberteil des Jägers in Stücke gesprengt in alle Richtungen davon, und Charity, Skudder und Leßter wurden aus der abstürzenden Maschine herausgeschleudert.
Sie begann wie ein Stein in die Tiefe zu stürzen, aber der tödliche Aufprall, auf den sie mit angehaltenem Atem wartete, kam nicht. Im letzten Moment schien etwas wie eine unsichtbare Hand nach ihr zu greifen und machte ein fast sanftes Gleiten aus ihrem Sturz. Unweit des nördlichen Ufers des Hudson fiel sie ins Wasser, tauchte für einen Moment unter und kam keuchend und heftig mit Armen und Beinen paddelnd wieder in die Höhe. Leßter und der Hopi fielen nur wenige Meter entfernt von ihr vom Himmel, ebenso sanft wie sie, von der gleichen, unsichtbaren Kraft beschützt, die wohl das Moroni-Äquivalent eines Schleudersitzes gewesen war.
Nach der tödlichen Kälte, die sie aus dem Inneren des Läufers mitgebracht hatte, kam ihr das Wasser beinahe heiß vor. Für einige Sekunden tat sie nichts anderes, als das Gefühl der Wärme auf der Haut zu genießen, aber dann erinnerte sie sich wieder daran, daß sie keineswegs außer Gefahr waren. Ihr Flugzeug war irgendwo weit entfernt in den Fluß gestürzt und explodiert, aber sie mußten damit rechnen, daß die Moroni ihren Absprung beobachtet hatten und kamen, um nachzuholen, was ihnen im ersten Anlauf mißlungen war.