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»Die Jared«, murmelte Charity. »Das Nest in Köln...«

»Ein Sprung«, sagte Gurk nickend. »Sie nennen es so. Die Jared sind nichts anderes als die Verbindung zwischen einer Ameisen-Königin und menschlichem Erbgut.«

»Aber das ist völlig ausgeschlossen«, protestierte Charity.

»Warum sagst du das nicht ihnen statt mir?« gab Gurk knurrig zurück. »Irgendwie scheinen sie es nicht gemerkt zu haben.« Er wurde sofort wieder ernst. »Es ist nicht das erste Mal, daß so etwas geschieht. Es kommt selten vor, aber es kommt vor - ich glaube, es handelt sich wirklich um eine Art Evolutionssprung. Die Moroni fürchten diesen Moment wie den Teufel. Sie haben bisher noch jeden Planeten verloren, auf dem es dazu gekommen ist.«

»Aber wieso?« fragte Skudder verwirrt. »Die Jared sind ... unheimlich. Aber es sind nicht sehr viele. Es muß Milliarden von Moroni auf der Erde geben.«

»Stone hat mir nicht alle seine Geheimnisse verraten«, antwortete Gurk ungeduldig. »Aber immerhin genug. Was immer dieser Sprung wirklich bedeutet, es entsteht eine vollkommen neue Spezies, die weder mit den Moroni noch mit den Ureinwohnern des jeweiligen Planeten viel gemein hat. Sie sind ihnen überlegen, Skudder. Grenzenlos überlegen. Die längste Zeit, die jemals vom Augenblick eines Sprunges bis zur völligen Niederlage der Ameisen vergangen ist, ist zehn Jahre. Und das ist der wirkliche Grund für die Existenz der Nova-Bombe. Sie fürchten ihre eigenen Nachkommen wie nichts anderes im Universum, denn sie sind die einzigen, die ihnen überlegen sind. Der Moment, in dem es den Jared gelingt, einen Transmitter zu erobern und damit das Tor in die Galaxis aufzustoßen, bedeutet das Ende Morons. Sie versuchen, den Transmitter mitzunehmen oder zumindest zu zerstören, wenn ihnen das nicht mehr gelingt, aber als letztes Mittel verwandeln sie die Sonne des Planeten in eine Nova und zerstören damit alles.«

»Und was hat das alles mit Stones plötzlichem Sinneswandel zu tun?« wollte Skudder wissen.

Gurk blies die Backen auf. »Bist du so blöd - oder tust du nur so, Langer? Euer Freund hat ebensowenig Lust, gegrillt zu werden wie du oder ich. Was glaubst du, ist in Köln passiert?«

»Ich glaube, ich beginne zu begreifen«, flüsterte Charity entsetzt. »Die Moroni...«

»... bereiten alles zur Evakuierung dieses gastlichen Planeten vor«, beendete Gurk grimmig den Satz. »Und wahrscheinlich tickt der Zeitzünder in ihrer kleinen Bombe bereits; nur für den Fall, daß es ihnen nicht gelingen sollte, ihren Transmitter mitzunehmen oder zu zerstören.«

Charity war im ersten Moment viel zu entsetzt, um den logischen Fehler in dieser Argumentation zu sehen. Aber er war einfach zu groß, um lange Zeit unentdeckt zu bleiben. »Aber das ist ... völliger Unsinn«, sagte sie plötzlich. »Es gibt Tausende von Transmittersystemen auf dieser Welt. Wir selbst sind durch einen gegangen. In jeder Basis der Invasoren steht mindestens eines dieser Geräte.«

»Das ist etwas anderes«, antwortete Gurk. »Ich bin kein Spezialist für intergalaktische Schnellzugverbindungen, aber ich glaube, es ist eine vollkommen andere Technologie. Das eine hat mit dem anderen soviel zu tun wie ein Dreirad mit diesem Luftkissenfahrzeug. Man kommt mit beidem von einem Punkt zum anderen, aber das ist auch schon alles.« Er grinste. »Wenigstens könnt ihr sicher sein, daß Daniels Ameisen euch nicht mehr lange auf die Nerven gehen. In spätestens zehn Jahren seid ihr sie los.«

Charity dachte wieder an das, was sie in den Kellern des Kölner Doms gesehen hatte - und vor allem an das, was sie in den Augen des Jared erblickt hatte, als sie mit ihm sprach. Sie schauderte. Sie antwortete nicht auf Gurks Worte, aber sie war plötzlich nicht mehr sehr sicher, ob sie sich wirklich darüber freuen sollte. Es war gut möglich, daß sie im wahrsten Sinne des Wortes den Teufel mit dem Belzebub austrieben.

»Hat Stone dir das alles erzählt?« fragte sie nach einer Weile.

»Das meiste«, bestätigte Gurk. »Den Rest wußte ich schon - ich wußte nur nicht, was er bedeutet.« Plötzlich veränderte sich seine Stimme und wurde wieder zu dem gewohnten schrillen Altmännerkeifen: »Und ich weiß zum Teufel noch mal immer noch nicht, was ihr hier tut.«

»Wir müssen einen bestimmten Teil dieses Rechenzentrums zerstören«, sagte Charity. »Wenn nicht, haben wir die halbe Flotte der Moroni auf dem Hals, wenn wir uns der Schwarzen Festung auch nur nähern.«

»Mumpitz!« sagte Gurk überzeugt. »Mumpitz hoch drei! Es gibt keine zentrale Leitstelle für ihre Raumflotte - die im übrigen überhaupt nicht existiert. Sie haben keine Raumschiffe. Wozu auch? Und wenn sie sie hätten, dann wären sie kaum so dämlich, ihr Funktionieren von einem einzigen Computer abhängig zu machen.«

»Ich glaube das so wenig wie du«, antwortete Charity ruhig. »Aber der Anschlag auf den Rechner ist die Bedingung, die Stone gestellt hat. Frag micht nicht, warum.«

Gurk runzelte die Stirn und überlegte einen Moment. »Vielleicht gibt es in diesem Datenspeicher etwas, von dem er gern hätte, daß es es nicht mehr gäbe«, sagte er dann. »Das sähe Daniel ähnlich, das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden. Ich hätte gute Lust, ihm einen Strich durch die Rechnung zu machen.«

»Er sitzt aber leider am längeren Hebel«, antwortete Charity. »Die Transmitterverbindung wird erst aktiviert, nachdem der Computer zerstört ist.«

Gurk grunzte eine Antwort, die sie nicht verstand und auch nicht verstehen wollte. »Das gefällt mir nicht«, knurrte er. »Ich traue Stone immer noch nicht. Ich bin sicher, daß er uns reinlegen will.«

»Das hätte er einfacher haben können«, sagte Charity, »Waren das nicht deine eigene Worte?«

Gurk schenkte ihr einen giftigen Blick, zog es aber vor, nichts mehr zu sagen, sondern trommelte nervös mit den dürren Fingern auf dem Steuer des Luftkissenfahrzeugs.

»Wir sollten allmählich von hier verschwinden«, sagte Skudder. »Worauf warten wir überhaupt noch?«

»Es ist noch zu früh«, antwortete Gurk, ohne ihn anzusehen. »Stone wird mir Bescheid geben, wenn die Luft rein ist. Aber es gefällt mir nicht.«

»Was?«

»Daß dieser Kerl irgendwo dort oben sitzt und ganz genau weiß, was wir tun und wann«, sagte Gurk grimmig. »Ich spüre einfach, daß er uns hereinlegt.«

Aus dem hinteren Teil des Fahrzeuges drang ein leises Stöhnen, und Charity drehte sich im Sitz herum und beugte sich besorgt über Leßter. Zu ihrer Überraschung hatte der junge Soldat die Augen geöffnet und war bei Bewußtsein. Seine Stirn glänzte fiebrig, kalter Schweiß bedeckte in winzigen Tröpfchen sein Gesicht, und seine Fingernägel fuhren über die Polster der Sitzbank und verursachten scharrende Geräusche, die Charity einen Schauder über den Rücken laufen ließen. Aber er war eindeutig bei Bewußtsein, und mehr noch - als sie sich über ihn beugte, drehte er den Kopf und sah sie an, und er zwang sich sogar zu einem gequälten Lächeln. »Wie ... sieht es ... aus?« fragte er stockend.

»Gut«, log Charity. »Wir sind schon so gut wie hier heraus.«

»Sie lügen, Captain Laird«, behauptete Leßter. Er lächelte wieder, und diesmal wirkte es schon nicht mehr ganz so verkrampft und mühsam wie das erste Mal. Sein Atem begann sich zu beruhigen.

Aber Charity ließ sich davon nicht täuschen. Sie hatte zu viele Männer sterben sehen, um nicht zu wissen, daß die scheinbare Besserung, die sie beobachtete, vielleicht nichts anderes als das letzte Aufbäumen des erlöschenden Lebens in seinem Körper war. Und da war noch etwas. Etwas, das ihr so schwerfiel wie vielleicht nichts zuvor in ihrem Leben. Aber sie wußte keinen anderen Ausweg.