Es dauerte lange, bis Stone bereit war, die Wahrheit zuzugeben.
Er hatte sich getäuscht. Er war getäuscht worden. Was man ihm über diese Datenbank und die Möglichkeiten dieses phantastischen Computers erzählt hatte, war nicht wahr.
Es war alles gelogen!
Und der letzte, schlimmste Verrat, mit dem er Captain Laird und deren Freunden die Geheimnisse dieser Basis offenbart und ihr vielleicht eine Waffe gegeben hatte, mit der sie die Herrschaft der Moroni auf dieser Welt brechen konnten, war völlig umsonst gewesen.
Die Gefahr, vor der er sich gefürchtet hatte, hatte niemals existiert.
Er hörte, wie die Tür aufglitt, drehte sich herum und erkannte Luzifer, seinen persönlichen Adjutanten. Hinter ihm schimmerte die weiße Gestalt eines Inspektors.
Stone machte sich nicht einmal die Mühe, den Computer auszuschalten. Er wußte, daß er verloren hatte. Vermutlich hatten sie es schon vorher gewußt, und wahrscheinlich hatten sie draußen gewartet und ihn über einen Bildschirm beobachtet, um zu sehen, wie weit er gehen würde.
Luzifer trat auf ihn und an ihm vorbei, beugte sich vor und entfernte mit einer geschickten Bewegung die beiden Sprengsätze, die Stone an den Computer angebracht hatte. Dann trat er beiseite, um dem Inspektor Platz zu machen, der ihm gefolgt war.
»Governor Stone«, sagte der Inspektor und streckte fordernd die Hand aus. »Bitte übergeben Sie mir Ihre Waffe. Und versuchen Sie nicht, Widerstand zu leisten. Es wäre sinnlos.«
Sehr langsam zog Stone die Strahlenpistole aus dem Gürtel und reichte sie dem Inspektor.
21
Nach allem, was sie auf dem Weg hierher erlebt - und vor allem erwartet! - hatte, war es beinahe zu leicht. Das Luftkissenfahrzeug legte die restliche Distanz zu den Doppeltürmen des World Trade Centers mit der gleichen Selbstverständlichkeit zurück wie bisher, umkreiste das Gebäude zur Hälfte und glitt dann in eine Tiefgarage, deren Tore sich selbsttätig vor ihm öffneten, als es näher kam.
Das Fahrzeug glitt in die riesige unterirdische Halle, und Gurk schaltete die Scheinwerfer ein. Das bleiche Licht riß verrostete Autowracks aus der Dunkelheit, fünfzig Jahre alten Unrat und den Staub eines halben Jahrhunderts, hier und da auch ein menschliches Skelett, das fortzuschaffen sich niemand die Mühe gemacht hatte.
»Ich glaube kein Wort«, sagte Skudder. »Das ist eine Falle! Ich spüre es einfach!«
Er begann unruhig auf seinem Sitz hin- und herzurutschen und fingerte immer nervöser am Abzug seines Gewehres herum, so daß sich Charity mit einem verstohlenen Blick davon überzeugte, daß die Waffe gesichert war. Aber sie sagte nichts. Ihr selbst erging es kaum anders - etwas in ihr wußte einfach, daß sie Stone nicht trauen konnten. Gurks Geschichte paßte einfach ein wenig zu gut zu der, die Stone ihr selbst erzählt hatte. Auch sie selbst spürte eine immer stärker werdende Nervosität, die es ihr fast unmöglich machte, weiter stillzusitzen.
Sie wandte sich mit einem Blick an Gurk. »Und jetzt?«
Der Zwerg löste die linke Hand vom Steuer und deutete auf die geschlossenen, rostzerfressenen Türen eines Liftes am anderen Ende der Halle. Das Luftkissenfahrzeug bewegte sich langsam darauf zu. »Dieser Aufzug dort hinten wartet auf uns«, sagte er, drehte am Steuer und wich fast im rechten Winkel von ihrem bisherigen Kurs ab. »Aber wir werden ihn nicht nehmen.«
»Wieso?«
Gurk machte ein abfälliges Geräusch. »Weil ich dieser Ratte ebensowenig traue wie du, Schätzchen«, sagte er. »Es gibt noch einen anderen Weg nach oben. Und den werden wir nehmen.«
Er steuerte das Fahrzeug nahezu ans andere Ende der Halle und hielt an, löschte aber weder die Scheinwerfer, noch schaltete er den Motor aus.
Charity drehte sich mit einer erzwungen langsamen Bewegung zu Leßter auf dem Rücksitz herum - und riß erstaunt die Augen auf.
Leßter hatte sich aufgesetzt. Er hockte vornübergebeugt und in verkrampfter Haltung da, und sein Gesicht war noch immer blaß und seine Mundwinkel zuckten vor Schmerz. Aber er sah sie an, und das Lächeln auf seinem Gesicht war nicht nur echt, sondern beinahe triumphierend. »Ich habe Ihnen doch gesagt, ich brauche nur ein paar Minuten«, sagte er. »Ich will nicht unbedingt behaupten, daß ich mich in der Verfassung fühle, einen Marathon-Lauf zu bewältigen. Aber ich denke, ich kann aus eigener Kraft gehen.«
»Das ist doch ... unmöglich!« flüsterte Charity.
»Ich werde Ihnen nicht zu Last fallen, Captain Laird«, fuhr Leßter fort.
Charity starrte ihn an. Für einen Augenblick weigerte sie sich einfach zu glauben, was sie sah. Aber gleichzeitig war es wieder da - dieses Gefühl, im Grunde ganz genau zu wissen, was hier vorging, kein bißchen überrascht, sondern eigentlich nur erstaunt und allerhöchstens erschrocken zu sein. Aber wie beim ersten Mal entglitt ihr der Gedanke, als sie danach greifen wollte, und zurück blieb nichts als eine tiefe, mit Fassungslosigkeit gepaarte Verwirrung.
»Wie haben Sie das gemacht?« flüsterte sie.
»Ein altes Hausrezept meiner Mutter«, antwortete Leßter grinsend. »Vielleicht verrate ich es Ihnen bei Gelegenheit.«
Charity schluckte die Antwort herunter, die ihr auf der Zunge lag. Jetzt war nicht der Moment, mit Leßter zu streiten. Aber sie fügte der langen Liste von Fragen, die sie diesem Mann stellen wollte, einige weitere Punkte hinzu.
Nacheinander stiegen sie aus dem Fahrzeug. Leßter bewegte sich mühsam und mit verkrampften Rucken, aber sie konnte beinahe sehen, wie sich sein Zustand besserte. Für einen Mann, der noch vor zehn Minuten mit dem Tod gerungen hatten, fand sie, war er sogar in Topform.
Sie wartete darauf, daß Gurk die Maschinen des Wagens abstellte, aber statt dessen kletterte der Zwerg plötzlich zurück hinter das Steuer, fuchtelte wild mit den Händen, damit sie einige Schritte beiseite traten, und ließ das Luftkissenfahrzeug dann auf der Stelle herumschwenken. Charity konnte nicht mehr erkennen, was er tat, aber plötzlich heulten die Turbinen des Wagens auf, und Gurk fand gerade noch Zeit, sich mit einem fast grotesken Hüpfer aus der Tür zu werfen, als der Wagen losschoß und immer schneller werdend in der Dunkelheit der Tiefgarage verschwand.
»Los jetzt!« befahl Gurk. »Weg hier!«
Sie stürmten los, wobei Charity und Skudder Leßter kurzerhand unter den Armen ergriffen und zwischen sich herzerrten, denn er war zwar in der Lage, aus eigener Kraft zu gehen, aber nicht zu rennen. In der fast vollkommenen Dunkelheit hier unten fiel es Charity schwer, irgend etwas zu erkennen, das weiter als drei oder vier Meter von ihnen entfernt war, aber Gurk schien seinen Weg mit schon fast unheimlicher Sicherheit zu finden. Haken schlagend wich er rostigen Trümmerstücken und Betonpfeilern aus und näherte sich mit weit ausgreifenden Schritten einer schräg in den Angeln hängenden Metalltür.
Einen Augenblick, bevor sie sie erreichten, hörte Charity ein ungeheures Krachen und Bersten, und im gleichen Sekundenbruchteil wurde die Tiefgarage ins blutrote Licht einer gewaltigen Explosion getaucht. Sie nahm sich nicht die Zeit, einen Blick zurückzuwerfen, sondern griff im Gegenteil noch schneller aus, um zu Gurk aufzuholen, der die Tür mittlerweile erreicht hatte und sich vergeblich bemühte, sie weit genug aufzustoßen, um hindurchschlüpfen zu können. Eine zweite Explosion ließ den Boden unter ihren Füßen zittern, und hinter ihnen schössen Flammen in die Höhe.
»Das wird sie eine Weile aufhalten«, sagte Gurk, während er weiter mit aller Kraft, aber vergeblich an der festgerosteten Tür zerrte. »Bis sie merken, daß der Wagen leer war, sind wir vielleicht schon auf dem Mars.«
Skudder und sie halfen dem Zwerg, und mit vereinten Kräften gelang es ihnen, die Tür so weit zu öffnen, daß sie sich mühsam durch den schmalen entstandenen Spalt zwängen konnten.