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Der Raum dahinter lag in vollständiger Dunkelheit da, aber Charitys Füße ertasteten die unterste Stufe einer steil in die Höhe führenden Treppe aus rissigem Beton. Sie machte einen Schritt, blieb stehen und suchte im Dunkeln nach Leßters Arm, aber der Soldat schob ihre Hand zur Seite.

»Es geht schon«, sagte er. »Ich komme allein zurecht. Danke.«

Charity konnte ihn nicht sehen, obwohl er kaum einen halben Meter neben ihr stand - aber seine Stimme klang deutlich kräftiger als zuvor. Erneut schauderte sie. Wer war dieser Mann?

Dem trappelnden Geräusch von Gurks Schritten folgend liefen sie die Treppe hinauf. Gurk öffnete eine Tür an ihrem oberen Ende und schloß sie so hastig wieder, daß Charity nur das flüchtige Aufblitzen eines schmalen Lichtstrahles sah.

»Was ist los?« fragte sie.

»Ameisen!« antwortete Gurk alarmiert. »Hunderte. Hier oben ist der Teufel los.«

»Was hast du nach dem Feuerwerk erwartet, das du veranstaltet hast?« fragte Skudder.

Sie konnte Gurks Kopfschütteln nicht sehen, aber deutlich hören. »Es sind Krieger«, sagte er. »Entweder es ist wirklich eine Falle, oder...«

»Oder?« hakte Charity nach, als Gurk nicht weitersprach.

»Oder irgend etwas ist schiefgelaufen«, sagte der Zwerg. »Hier kommen wir jedenfalls nicht durch.«

Sie stiegen zum nächsten Stockwerk hinauf, und wieder öffnete Gurk vorsichtig eine Tür und spähte durch den Spalt. Diesmal schloß er sie nicht ganz so hastig wieder.

»Nun?« fragte Skudder.

»Nichts«, antwortete Gurk. »Alles ruhig.« Er überlegte einen Moment, dann: »In welchem Raum steht dieser ominöse Computer, den ihr in die Luft sprengen sollt?«

Charity nannte ihm die Nummer des Apartments, und wieder vergingen Sekunden, in denen Gurk schweigend in der Dunkelheit hockte.

»Das sind noch zwei Stockwerke«, sagte er schließlich. »Das gefällt mir nicht.«

Skudder deutete in der Dunkelheit nach oben. »Was ist mit dieser Treppe?« fragte er. »Wird sie überwacht?«

»Das nicht«, antwortete Gurk auf eine Art, die Charity aufhorchen ließ. »Aber wir können sie nicht nehmen. Es ist schon gefährlich genug, hier zu sein.«

»Wieso?«

»Sperr doch einfach mal deine Ohren auf«, rief ihr Gurk.

Im ersten Moment konnte Charity mit dieser Antwort herzlich wenig anfangen - aber dann tat sie, was Gurk vorgeschlagen hatte, und lauschte angestrengt. Einige Sekunden vergingen, ohne daß sie mehr registrierte als das Geräusch ihres eigenen Herzschlages und die schnellen Atemzüge der anderen; aber dann hörte sie doch etwas. Es war ein Geräusch dicht an der Grenze des überhaupt noch Wahrnehmbaren, ein Schaben und Kratzen, als bewege sich ein schwerfälliger gepanzerter Körper auf Hunderten und Aberhunderten von Beinen langsam über Beton oder Metall, und darunter etwas wie die Atemzüge eines asthmatischen Darth Vader. Eine Sekunde lang versuchte sie, in ihrer Phantasie das Bild des zu diesen Geräuschen passenden Körpers heraufzubeschwören. Aber es gelang ihr nicht, und eigentlich war sie auch ganz froh darüber.

Gurk öffnete abermals die Tür und spähte auf den Gang hinaus. In dem blassen Licht, das durch den Spalt hereinfiel, wirkte sein Gesicht grau und um Jahrhunderte gealtert. Für einen Moment glaubte sie wieder diesen Ausdruck uralten, verborgenen Wissens in seinen Augen zu erkennen; das wirkliche Gesicht dieses sonderbaren Wesens, das sich sonst stets hinter der Maske des Clowns verbarg. Aber auch jetzt war sie nicht ganz sicher. Es war, als wäre Gurks wirkliches Ich etwas, das man stets nur am Rande des Sichtbaren erkennen konnte, wie etwas, das man aus den Augenwinkeln sah und das immer verschwunden war, wenn man versuchte, genauer hinzusehen.

»Also gut«, sagte Gurk schließlich schweren Herzens. »Riskieren wir es.«

Vorsichtig stieß er die Tür ganz auf und trat auf den dahinterliegenen Korridor hinaus, und Charity, Skudder und Leßter folgten ihm.

Ein unheimliches Gefühl des déjà vu überkam Charity, als sie hinter dem Zwerg in den breiten, sonnendurchfluteten Korridor trat. Die Luft hier oben roch frisch, nicht abgestanden und nach fünfzig Jahre altem Staub wie die unten in der Garage oder im Treppenhaus. Auf dem Boden lag ein flauschiger Teppich, der so aussah, als wäre er erst gestern frisch verlegt worden, und an den Wänden hingen die gleichen farbigen Kunstdrucke und Bilder wie vor fünfzig Jahren.

Nirgendwo war das mindeste Anzeichen von Verfall oder gar Zerstörung zu sehen. Die gleichförmigen Türen mit den polierten Messingnummern, hinter denen sich früher Büroräume und Apartments befunden hatten, wirkten so, als müßten sie jeden Moment aufgehen und eine Sekräterin auf dem Weg in die Mittagspause, einen Botenjungen, ein Manager in Maßanzug und Krawatte entlassen, und für einen winzigen Moment bildete Charity sich sogar ein, die dazu passenden Geräusche zu hören. Der Moment verging so schnell, wie er gekommen war, aber er hinterließ einen bitteren Nachgeschmack in Charity. Es waren Situationen wie diese, der Anblick vollkommener Unversehrtheit inmitten einer Zerstörung, die einen ganzen Planeten befallen hatte, die ihr immer wieder vor Augen führten, was wirklich hier geschehen war. Selbst wenn es ihnen gelang, die Insektenkrieger von Moron zu vertreiben, und vielleicht sogar die möglicherweise noch größere Gefahr, die sie mit ihrer Invasion heraufbeschworen hatten, dieser Planet würde nie wieder sein, was er gewesen war.

Sie vertrieb den Gedanken und konzentrierte sich wieder auf den Zwerg, der mit langsamen, aber trotzdem zielsicheren Schritten auf einen Aufzugschacht zuging. Jeden Moment rechnete sie damit, eine der Türen aufspringen und Scharen bewaffneter Ameisen herausquellen zu sehen, aber nichts dergleichen geschah. Unbehelligt erreichten sie den Lift, dessen Türen offenstanden und nichts als eine leere Kabine zeigten.

Sie traten ein, und Charity streckte die Hand aus, um den Knopf für die dritte Etage zu drücken, aber Gurk schlug ihren Arm mit einer erschrockenen Bewegung herunter und schüttelte den Kopf. Gleichzeitig deutete er mit der anderen Hand zur Kabinendecke hinauf. »Dort hinauf«, sagte er.

Charity sah ihn fragend an.

»Wie bitte?« fragte Skudder überrascht.

»Sicher ist sicher«, antwortete Gurk. »Außerdem ist die Luft dort oben sowieso gesünder. Beeilt euch.«

Skudder starte den Zwerg an, richtete sich aber dann zu seiner vollen Größe und streckte die Arme aus. Seine Hände glitten über das Dach der Kabine und fanden den Notausstieg. Mühelos schob er die Klappe auf, half zuerst Charity und dann Gurk, auf das Kabinendach hinaufzusteigen, und streckte schließlich die Hand nach Leßter aus. Aber der junge Soldat schüttelte den Kopf.

»Was soll das?« fragte Skudder ungeduldig.

»Irgend jemand muß dieses Ding bedienen, oder?« sagte Leßter ruhig. Er stand jetzt ganz aufrecht da. Die Blässe war aus seinem Gesicht gewichen, und seine Hände hatten aufgehört zu zittern. »Sie werden mir nichts tun. Sie suchen Sie und Captain Laird und allenfalls noch diesen komischen Zwerg.«

»Wen meinst du mit komischer Zwerg?« keifte Gurk vom Dach herab.

Leßter überging die Frage und streckte die Hand aus. »Gib mir diesen Ausweis, den Stone dir gegeben hat«, verlangte er.

»Fällt mir nicht ein!« sagte Gurk aufgebracht.

»Nun, dann ist es vielleicht besser, wenn ich hinaufsteige und du hier herunterkommst, um den Lift zu bedienen«, antwortete Leßter ruhig. »Und den Kriegern erklärst du, was du hier tust, falls du recht hast und sie wirklich dort oben auf uns warten.«

Gurk riß verblüfft die Augen auf, griff aber dann gehorsam unter sein Cape und förderte den kleinen Impulsgeber zutage, den er Leßter mit einer lässigen Bewegung in die Kabine hinabwarf. Der Soldat fing ihn auf und steckte ihn in die Tasche, dann half er Skudder, sich selbst als letzten auf das Kabinendach hinaufzuziehen. Charity wollte noch etwas sagen, aber Gurk warf mit einem Knall die Klappe zu und stellte sich demonstrativ darauf. »Wer ist dieser Kerl?« fragte er zornig.