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»Dann hört damit auf und kämpft«, antwortete Alberich. Hagen drehte sich um. Er stand am Fenster; sein Schatten legte sich über die schmale Gestalt des Albenkönigs, und für einen Moment sah es aus, als löse sich Alberich in fließender Schwärze auf. »Es ist sinnlos, Alberich.«

»Ihr gebt auf?« fragte Alberich ungläubig. »Ihr, Hagen von Tronje, gebt einen Kampf verloren, ehe er beendet ist?« Hagen nickte. »Wenn du es so nennen willst - ja.« Sonderbarerweise antwortete der Zwerg nicht mehr. Lange blickte er ihn an, dann schüttelte er den Kopf und starrte an Hagen vorbei aus dem Fenster.

»So hat er gesiegt«, flüsterte er. Seine Stimme klang traurig. »Ihr wart meine letzte Hoffnung, Hagen. Jetzt gibt es niemanden mehr, der ihn aufhalten kann. Gunther wird sterben, und seine Brüder und Ihr auch, und viele andere dazu.«

»Sterben wir nicht alle früher oder später?« fragte Hagen. »Aber nicht so sinnlos. Nicht so!« Alberich stampfte wütend mit dem Fuß auf. »Wollt Ihr alles aufgeben? Wollt Ihr all Eure Freunde ihrem Schicksal überlassen? Was ist mit dem Schwur, den Ihr Gunthers Vater geleistet habt, mit Eurem Leben für das Wohl seiner Söhne und Kriemhilds einzutreten?«

»Und was ist mit deinem?« fragte Hagen. »Hast du nicht Siegfried die Treue geschworen? Jetzt stehst du hier und sagst mir, daß ich ihn töten soll. Wie geht das zusammen?«

»Besser, als Ihr glaubt«, sagte Alberich. »Ich habe ihm Treue geschworen, und ich halte diesen Schwur. Würde er mich auffordern, Euch zu töten, täte ich es. Trotzdem stehe ich auf Eurer Seite.«

»Siegfried wäre niemals hierhergekommen, gäbe es dich nicht Vielleicht sollte ich dich erschlagen statt Siegfried.«

»Dann tut's doch!« schrie Alberich. »Zieht endlich Euer Schwert und tut etwas, Hagen!«

Hagen machte eine hilflose Geste. »Laß mich, Zwerg«, sagte er tonlos. »Ich will nicht mehr. Ich bin müde.«

Alberich starrte ihn böse an. »Ihr lügt«, sagte er. »Ihr seid nicht müde. Ihr habt Angst. Angst, einen Fehler zu begehen, noch einmal das Falsche zu tun, wie vorhin, als Ihr Gunther geschlagen habt« »Du weißt es?« Hagens Stimme war frei von Überraschung oder Zorn. Ja, es hätte ihn gewundert, hätte Alberich nicht davon gewußt »So weit hat er Euch schon getrieben«, sagte Alberich, ohne auf Hagens Frage direkt einzugehen. »Weit genug, daß Ihr die Hand gegen den Mann erhoben habt, den Ihr notfalls mit Eurem Leben schützen würdet Was muß noch geschehen? Muß Siegfried erst Kriemhild ein Leid antun, bevor Ihr endlich zur Vernunft kommt?« »Das wird er nicht«, antwortete Hagen ruhig. Alberich kniff die Augen zusammen, daß sein Gesicht zu einer häßlichen, faltigen Grimasse wurde. »Bist du sicher?« fragte er. Hagen nickte. »Vollkommen. Er liebt sie, Alberich.« »Liebe! Pah!« Alberich machte eine wegwerfende Handbewegung. Hagen lächelte. »Siehst du, Alberich, es gibt doch etwas, was du nicht verstehst. Er liebt sie. Wenn auch auf seine Art.« »So wie du?«

Hagen zuckte zusammen. Wieder begann sich alles zu verwirren und um ihn zu drehen. Alberich wurde zu einem tanzenden Schatten, den er nicht festhalten konnte, sosehr er sich auch bemühte. Hagens Hände schlössen sich so fest um den leeren Becher, daß er zwischen seinen Fingern zerbrach. »Jetzt wolltest du mich erwürgen, nicht?« fragte Alberich, und Hagen war plötzlich davon überzeugt, daß der Zwerg seine Gedanken las. »Aber du willst es gar nicht wirklich, Hagen, so wenig, wie der Schlag, den du Gunther versetzt hast, in Wahrheit ihm galt. Er galt dir selbst. Du haßt dich, weil du schwach gewesen bist.« Er lachte. »Oh, Hagen, wie mußt du leiden, wenn du am Sonntag den Nibelungen mit Kriemhild zum Altar schreiten siehst.«

»Das werde ich nicht«, sagte Hagen bestimmt.

Er drehte sich unvermittelt um, ging zu seinem Bett und streifte das Gewand über den Kopf. Mit schnellen Bewegungen legte er sein altes schwarzes Gewand an, schlüpfte in Kettenhemd und Stiefel und band sich den metallbeschlagenen Gurt um, an dem sein Schwert hing. »Du gehst also fort«, stellte Alberich fest.

Hagen nickte, ohne den Zwerg anzusehen. Langsam nahm er den Helm auf, stülpte ihn über und befestigte den ledernen Kinnriemen. Er wandte sich um, ging zur Wand neben dem Fenster und nahm den zerschrammten Rundschild herunter, der dort hing. Sein Gewicht zerrte schwer an seinem Arm. Er stieß Alberich aus dem Weg und ging zur Tür. »Du überläßt Kriemhild ihrem Schicksal?« fragte Alberich. Hagen starrte ihn an.

»Du gibst sie dem Nibelungen? Das kann ich nicht glauben. Nicht die Frau, der dein Herz gehört.«

»Vielleicht gerade darum«, antwortete Hagen. »Und nun geh mir aus dem Weg, Zwerg.«

Alberich seufzte und schüttelte den Kopf.

»Es ist noch nicht vorbei, Hagen!« rief er ihm nach. »Wir werden uns wiedersehen!«

15

Fluchtartig stürmte er die Treppe hinunter, durch die Halle und aus dem Haus und wandte sich nach rechts, den Ställen zu. Dieses Mal erregte er Aufsehen, denn es gab niemanden in Worms, der die schwarzgekleidete Gestalt mit dem mächtigen Adlerhelm und dem zerschrammten Schild nicht erkannte. Aber es war ihm gleich. Er mußte fort, jetzt, auf der Stelle, solange er noch die Kraft dazu hatte. Gunther und alle anderen würden enttäuscht sein und sich von ihm verraten fühlen, und Kriemhild würde bittere Tränen vergießen, wenn sie von seinem Weggang hörte, aber auch das zählte nicht. Alberichs Versuch, ihn gegen Siegfried aufzubringen, war vergeblich gewesen, aber das Gespräch hatte ihm klargemacht, daß er es nicht ertragen würde, Siegfried mit Kriemhild zum Altar schreiten zu sehen, daß er ihn töten würde, vor aller Augen, wenn er blieb. Er erreichte den Stall, stieß einen Krieger beiseite, der zu überrascht war, ihm aus dem Weg zu gehen, und packte einen der Stallknechte am Arm. »Mein Pferd!« befahl er in rüdem Ton. »Sattle es. Sofort!« Der Mann wollte etwas erwidern, aber Hagen versetzte ihm einen Stoß, der ihn in den Stall hineintaumeln ließ, und er versuchte kein zweites Mal, Hagen zu widersprechen. Hastig eilte er zwischen den grob gezimmerten Boxen hindurch und begann, Hagens Rappen Zaumzeug und Sattel aufzulegen.

Hagen sah ihm voller Ungeduld zu. Er war unfähig, stillzustehen, und schließlich trat er hinzu, um dem Burschen zu helfen. Der letzte Sattelgurt war kaum befestigt, als Hagen auch schon auf den Rücken des Tieres sprang, den Knecht aus dem Weg scheuchte und aus dem Stall sprengte. Aufgeregte Rufe folgten ihm. Ein erboster Schirrmeister versuchte, sein Pferd am Zügel zu packen und ihn aufzuhalten, ehe er Hagen erkannte und erschrocken zurückwich.

Kurz bevor er das Tor erreichte, schaute er noch einmal auf, ungewollt suchte sein Blick das schmale Fenster im obersten Stockwerk des Frauenhauses. Ein blasses Gesicht, eingerahmt von goldfarbenem Haar, war in dem finsteren Rechteck erschienen, neugierig angelockt von dem Lärm, der plötzlich vom Hof heraufgeschallt war. Hagen sah mit einem Ruck weg. Er wollte nicht wissen, ob es Kriemhild oder Ute war, die seine Flucht beobachtete. Er durfte es nicht wissen. Ein Blick in Kriemhilds Augen, und es wäre ihm unmöglich geworden, zu gehen. Hagen ritt schneller, nachdem er das Tor und die Zugbrücke passiert hatte. Ein Wagen, bis zum Bersten beladen mit Gemüse und gezogen von zwei Männern und einem halbverhungerten Ochsen, blockierte den Weg, aber Hagen hielt nicht an, sondern versetzte seinem Pferd im Gegenteil einen Hieb mit der flachen Hand, der das Tier mit einem halsbrecherischen Satz über den Karren hinwegspringen ließ. Der Aufprall auf der anderen Seite schleuderte ihn fast aus dem Sattel Einer seiner Steigbügel, in der Hast nicht richtig befestigt, löste sich, so daß er im letzten Moment gerade noch Halt an Zügel und Mähne des Tieres fand. Es kostete Hagen seine ganze Kraft, den Willen des Tieres zu brechen und es wieder unter seinen Befehl zu zwingen. Etwas langsamer, aber noch immer in sehr scharfem Tempo, ritt er weiter. Er ließ das Lager der Gaukler und Worms weit zur Linken liegen, ritt den Rhein flußabwärts und wandte sich schließlich, ohne bestimmtes Ziel und den instinktiven Bewegungen seines Pferdes folgend, nach Norden. Langsam beruhigte sich der Aufruhr hinter seiner Stirn und machte ruhigeren Überlegungen Platz.