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»Was nicht geschehen wird«, unterbrach ihn Siegfried kalt. »Ich nehme Eure Herausforderung an, Hagen von Tronje«, sagte er. »Morgen früh bei Sonnenaufgang. Und wie Ihr es gesagt habt, Mann gegen Mann, bis zum Tode.« Er streckte die Hand aus. »Und jetzt gebt mir mein Schwert!« Hagen legte die Hand auf den Balmung und schüttelte den Kopf. »Euer Schwert? Nein. Wie Ihr selbst sagt, Siegfried - ich bin ein alter Mann, Ihr hingegen seid jung und stark, viel stärker, als ich es jemals war. Laßt mir einen kleinen Vorteil.«

Siegfried zögerte. Hagen war sicher, daß er einen Moment lang überlegte, ob er sich auf ihn stürzen und ihm die Waffe mit Gewalt entreißen sollte. Aber dann nickte er.

»Wie Ihr meint, Hagen«, sagte er. »Es macht keinen Unterschied, ob ich den Balmung jetzt oder morgen zurückbekomme. Eine Stunde nach Sonnenaufgang.«

Sie starrten sich an. Der Blick des Nibelungen enthielt nichts als Kälte und Verachtung.

Hagen wandte sich ruckartig um und verließ das Gemach, das Frauenhaus und wenig später die Burg.

18

Hagen fror. Es war noch früh, die Sonne war noch nicht vollends aufgegangen, und im Moos und auf den Wetterseiten der Bäume glitzerte Tau. Ein Teil von ihm hatte erbärmliche Angst, und ein anderer war von einer Kälte erfüllt, die fast schlimmer war. Er versuchte vergeblich, seine Gedanken auf den bevorstehenden Kampf zu konzentrieren, seinen Schädel leerzufegen und die Bilder vom vergangenen Abend zu verscheuchen. All seine Erfahrungen, all die kleinen Kunstgriffe, die tausend winzigen Unterschiede, die in ihrer Gesamtheit seine Überlegenheit ausmachten und die er so lange geübt und sich immer und immer wieder eingehämmert hatte, bis sie ihm in Fleisch und Blut übergegangen waren wie die Instinkte eines Raubtieres, waren dahin. Er fühlte sich hilflos, und er war nervös, zum ersten Mal vor einem Kampf. Es war sonderbar: Hagen hatte sich stets eingebildet, keine Angst vor dem Tod zu haben. Angst - das hatte er sich oft selber sagen hören - hatte er allenfalls vor dem Sterben, nicht vor dem Tod. Jetzt begriff er, daß es keinen Unterschied machte.

Hinter ihm knackte ein Zweig, und Hagen fuhr erschrocken herum. Aber es war nur Alberich, der auf die Lichtung hinausgetreten war und am jenseitigen Ufer des kleinen Quellsees stehenblieb. Alberich bemerkte Hagens Unsicherheit wohl, überging sie jedoch. Auch der Zwerg war nervös. Und auch er hatte Angst »Er kommt«, sagte er leise.

»Schon?« Hagen betrachtete prüfend den Himmel, der noch immer mehr grau als blau war, und blickte dann in die Richtung, in der Worms lag. »Er hat es eilig.« Alberich lächelte schmerzlich. Er lief mit kleinen trippelnden Schritten um den See herum und ließ sich auf einer abgestorbenen Baumwurzel nieder. »Er erträgt das Warten so wenig wie Ihr, Hagen von Tronje«, murmelte er.

Hagen antwortete nicht. Er hockte sich am Ufer nieder, tauchte die Hände bis über die Gelenke in das eiskalte Wasser und wartete darauf, daß die Kälte die Taubheit aus seinen Gliedern - und aus seinen Gedanken - vertrieb. Alberich war die ganze Nacht über bei ihm gewesen und hatte Wache gehalten, und wenn er, oft genug, aus unruhigem Schlaf erwacht war, hatten sie geredet. Hagen erinnerte sich nicht mehr, was sie geredet hatten. Sie waren sich nähergekommen in dieser Nacht, näher als in den zwei Jahren zuvor, und deutlicher denn je spürte Hagen jetzt, wie ähnlich sie sich, bei aller Verschiedenheit, waren. Er haßte den Zwerg allein deshalb, weil er mit Siegfried gekommen war und mit seiner Düsternis und seiner finsteren Erscheinung alles versinnbildlichte, was Siegfried von Xanten für Hagen war. Zugleich empfand er eine tiefe, fast brüderliche Zuneigung zu Alberich. Vielleicht war es auch nur die Angst, die sie zusammenschmiedete.

»Werdet Ihr Siegfried besiegen?« fragte Alberich unvermittelt. Hagen sah ihn nicht an, sondern fuhr fort, die Hände im Wasser aneinanderzureihen und seine Finger geschmeidig zu machen, aber er sah das Spiegelbild Alberichs im klaren Quellwasser des Sees, und obwohl es verzerrt war und sich seine Züge immer wieder in zuckende Splitter auflösten, schien es ihm menschlicher und vertrauter denn je. »Ich weiß nicht«, antwortete er nach einer Weile. Er richtete sich auf, rieb die Hände an seinem Mantel trocken und legte die Rechte auf den goldenen Knauf des Balmung. »Mit dieser Waffe vielleicht«, sagte er. »Warum fragst du? Du weißt, wie die Chancen stehen.«

»Und es macht mir Angst.« Alberichs Gesicht verzog sich zu einer Grimasse, die Hagen nur zu gut kannte. »Ihr habt gestern abend nicht nur Euer Schwert weggeworfen, sondern wahrscheinlich Euer Leben. Ihr wißt, daß Ihr Siegfried im offenen Kampf nicht gewachsen seid.« »Vielleicht«, antwortete Hagen auch jetzt. »Aber wovor hast du Angst, Zwerg? Ich spiele dein Spiel.«

Alberichs Augen funkelten. »Das mag sein«, sagte er. »Aber Ihr habt den Einsatz eigenmächtig erhöht.« »Um dein Leben, ich weiß.«

»Nicht nur um mein Leben!« sagte Alberich zornig. »Sondern auch um das Gunthers und seiner Brüder. Glaubt Ihr wirklich, Siegfried könnte sie am Leben lassen, wenn er Euch erschlägt?« Hagen erschrak Das war etwas, woran er noch nicht gedacht hatte. Alberich hatte recht. Gleich, wie dieser Kampf ausging, er würde mehr als nur ein Leben fordern, denn weder konnte Siegfried Gunther und seine beiden Brüder am Leben lassen, wenn Hagen fiel, noch würden, falls Siegfried getötet würde, seine Nibelungen den Tod ihres Herrn ungerächt lassen. Hagen begriff nicht, daß er Alberich dazu gebraucht hatte, um sich das klarzumachen. Aber er antwortete nicht, sondern schüttelte nur stumm den Kopf. Mit Bedacht löste er die Spange seines Umhanges, zog den Balmung aus dem Gürtel und machte ein paar spielerische Ausfälle gegen einen Baum, um sich an das Gewicht der Klinge zu gewöhnen. Es war wie beim ersten Mal, als er den Balmung in der Hand gehabt hatte, damals in der kleinen Kapelle im Wald, in der er um ein Haar Siegfried und Kriemhild überrascht hätte: Nach ein paar Augenblicken spürte er das Schwert kaum noch; die Klinge schien vielmehr eine natürliche Verlängerung seines Armes zu sein statt eines Stückes geschliffenen Stahles, und sie schien viel besser und schneller seinem Willen zu gehorchen als dem Druck seiner Hand. Selbst im harmlosen Ausprobieren schien sich der Balmung in einen flirrenden Lichtstrahl zu verwandeln, der wie ein gefangener Blitz hin und her zuckte, schneller, als ihm das Auge zu folgen vermochte. Welche Wunder mochte diese Klinge in der Hand Siegfrieds vollbringen?

Nach einer Weile steckte er das Schwert wieder ein, ging um den See herum auf die andere Seite der kleinen Lichtung und drehte sich einmal um seine Achse. Aufmerksam tastete sein Blick über jeden Zweig, jede Wurzel, die sich unter losem Blattwerk verbergen mochte, über jede Unebenheit des Bodens, und mit einem Male war Hagen wieder er selbst, der Kämpfer; er prägte sich jedes noch so winzige Detail seiner Umgebung ein, erkannte, was für den Kampf von Vorteil war und worauf er achten mußte, in welche Richtung er Siegfried treiben und wohin er sich von ihm lenken lassen konnte, um einen noch immer winzigen, aber vielleicht entscheidenden Vorteil zu haben. Jener reißende Wolf in ihm, der die Kontrolle über sein Denken und über seinen Körper übernahm, wenn er kämpfte, war längst nicht so stark wie früher, aber er war da, und Hagen spürte, daß er ihm beiseite stehen würde, wenn es ernst wurde. Er wußte nur nicht, ob er stark genug sein würde. »Er kommt«, sagte Alberich.

Hagen lauschte, hörte jedoch weder Schritte noch sonst ein verdächtiges Geräusch. Aber er glaubte Alberich. Der Zwerg hatte mehr als einmal bewiesen, um wieviel schärfer seine Sinne waren als die eines Menschen. »Ist er allein?« fragte er. Alberich nickte. »Ja. Und er geht sehr schnell.«

Hagen sah den Zwerg an. Auch auf Alberichs Zügen malte sich Furcht. »Warum gehst du nicht?« fragte er. »Wenn Siegfried dich bei mir findet, wird er dich töten.«