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»Du bist also gekommen«, sagte Kriemhild. Sie war stehengeblieben, so nahe bei dem Scheiterhaufen, daß Hagen fürchtete, ihre Fackel könnte vorzeitig das Holz und sie selbst entzünden. »Ich war es Siegfried schuldig«, sagte Hagen leise. »Schuldig?« Kriemhild lächelte. »Schuldig«, sagte sie noch einmal, aber jetzt mit anderer Betonung. »O ja, du warst es ihm schuldig. Ich habe nicht daran gezweifelt, daß du dem Mann, den du hinterrücks ermordet hast, die letzte Ehre erweisen würdest« Sie lachte; ein Laut, der wie ein unterdrückter Schrei klang und Hagen schaudern ließ. »Es... es war anders, als du glaubst, Kriemhild«, flüsterte er. Er wollte sich nicht verteidigen, weder jetzt noch irgendwann. Aber er war unfähig, die Worte zurückzuhalten.

»Ich weiß, wie es war«, erwiderte Kriemhild kalt »Ich habe die Wunde in seinem Rücken gesehen, Hagen von Tronje.« Sie preßte die Lippen aufeinander. Ihre Hand, die die Fackel hielt, zitterte. »Ihr habt ihn ermordet«, flüsterte sie. »Ich hätte Euch vergeben können, hättet Ihr ihn wirklich in ritterlichem Zweikampf besiegt Aber Ihr habt ihn hinterrücks erstochen wie ein gemeiner Mörder.« Ein dumpfes Murmeln erhob sich aus der Menge. Hagens Blick war unverwandt auf Kriemhild gerichtet, aber er sah trotzdem, wie sich Hände auf Schwerter und Dolche senkten, spürte, wie sich die Menge spannte. Auch seine Hand kroch zum Schwert, obwohl er mit verzweifelter Kraft versuchte, die Bewegung zu unterdrücken.

In Kriemhilds Augen blitzte es auf. »Keine Sorge, Hagen von Tronje«, sagte sie. »Ihr braucht Eure Waffe nicht zu ziehen. Euch wird nichts geschehen. Nicht hier und nicht jetzt Ihr steht unter meinem Schutz, hört Ihr? Und auch ihr anderen«, fügte sie mit erhobener, weiterhin schallender Stimme hinzu. »Merkt es euch gut: Niemand wird Hagen von Tronje auch nur ein Haar krümmen. Ich, Siegfrieds Weib, verbiete es euch. Ich will, daß er lebt«

Sie lachte, jetzt wieder leise und an ihn gewandt. »Sorgt Euch nicht, Hagen. Euch wird nichts geschehen. Nicht heute.«

Hagen wollte antworten, aber in diesem Moment erscholl vom anderen Ende des Hofes ein schmetternder Posaunenstoß, und abermals erhob sich aus der Menge ungläubiges, erschrockenes Murmeln und Raunen. Hagen wandte sich um, konnte aber im ersten Augenblick nichts erkennen als quirlende Bewegung und die zuckenden roten Lichter der Fackeln. Metallischer Hufschlag näherte sich, und plötzlich wurden Schreie laut; die Menschenmenge stob erschreckt auseinander, bildete zum drittenmal eine breite, quer über den Hof führende Gasse. Die einzige, die sich nicht bewegte, war Kriemhild. Über den Köpfen der auseinanderweichenden Menge blitzte es golden und rot auf. Ein Chor entsetzter Schreie und Verwünschungen eilte den drei Reiterinnen voraus, die im rasendem Galopp über den Hof gesprengt kamen, goldenen Dämonen gleich, die ihre Pferde rücksichtslos durch die Menge trieben. Es mußte Verletzte und vielleicht Tote geben, dachte Hagen entsetzt Aber nicht einer von Gunthers Kriegern rührte sich, niemand machte auch nur den Versuch, Brunhild und ihre beiden Begleiterinnen aufzuhalten. Und auch er selbst regte sich nicht, sondern stand wie gelähmt, bis die Walküre herangekommen war und ihr Pferd mit einem harten Ruck am Zügel zum Stehen brachte. Es war ein Moment, den Hagen für den Rest seines Lebens nicht vergessen sollte. Er wußte nicht, was er fühlte, als er Brunhild und ihre beiden Begleiterinnen wie furchtbare Rachegeister vor sich aufragen sah. Er wußte nicht, was er erwartet hatte. Aber nichts von allem, was möglich gewesen wäre, geschah. Einen Augenblick lang starrte die Walküre auf ihn herab, und obwohl sie jetzt wie ihre Kriegerinnen eine goldene Maske trug, die ihr Gesicht vollkommen bedeckte, spürte Hagen ihren Blick wie die Berührung einer glühendheißen Hand. Brunhild zog das Schwert, hielt die Klinge mit der linken hoch über den Kopf und streckte die freie rechte Hand fordernd in Kriemhilds Richtung aus. Ohne die Walküre anzusehen, trat Kriemhild einen halben Schritt zurück und reichte Brunhild die Fackel. Die blakenden Flammen streiften Brunhilds Arm; sie schien es nicht zu spüren. Ihre linke Hand hielt das Schwert noch immer hoch über den Kopf. Die Klinge zitterte leicht »Bei allen Göttern - was habt Ihr vor?« rief Hagen. Erschrocken hob er die Hand und wollte die Walküre zurückhalten, aber eine von Brunhilds Kriegerinnen lenkte ihr Pferd zwischen ihn und ihre Herrin und trieb ihn selbst mit einem derben Schildstoß zurück.

Hagen war nicht der einzige, den die Reiterinnen aus der unmittelbaren Nähe des Scheiterhaufens vertrieben und ein Stück zurückgedrängt hatten. Auch Kriemhild war bis hinter die unsichtbare Grenze zurückgewichen, die die Reiterinnen rings um den gewaltigen Holzstapel gezogen hatten. Kriemhild blickte Hagen noch immer unverwandt an. Ein düsterer, böser Triumph glomm in ihren Augen. Brunhild hatte ihr Pferd auf die andere Seite des Scheiterhaufens gelenkt. Das Tier tänzelte auf der Stelle, warf den Kopf hin und her und versuchte immer wieder auszubrechen, aber Brunhild brachte es mit einem festen Ruck am Zaumzeug zur Ruhe, zwang es, den begonnenen Kreis zu vollenden, und hielt erst an, als sie am Kopfende von Siegfrieds aufgebahrtem Leichnam angelangt war. Ihre beiden Kriegerinnen folgten ihrer Herrin und lenkten dann ihre Tiere neben sie. Eine Zeitlang verharrte die Walküre in völliger Reglosigkeit, und ihre Vasallinnen mit ihr.

Dann senkte Brunhild ihr Schwert, legte die Waffe auf Siegfrieds Brust, indem sie den Griff wie ein zweites, barbarisches Kreuz in seine über dem silbernen Kruzifix gefalteten Hände schob, hob die lodernde Fackel hoch über den Kopf, hielt sie eine Sekunde reglos erhoben - und stieß das brennende Holz mit aller Kraft in den Scheiterhaufen. Funken stoben, brennende Holzsplitter flogen wie kleine Feuerkäfer empor, dann leckte eine erste, noch winzige Flamme aus dem Scheiterhaufen, sprang auf kleinen lodernden Füßen weiter, breitete sich aus ... Für einen kurzen Moment schien der gewaltige Holzstapel wie unter einem unheimlichen, inneren Licht aufzuglühen.

Dann fing das ölgetränkte Holz mit der Wucht einer Explosion Feuer. Flammen schössen zehn, fünfzehn Fuß weit in die Höhe. Ein dumpfes, machtvolles Krachen und Splittern ertönte, und dann war alles voll Rauch und stiebenden Funken und gleißendem licht. Ein hundertstimmiger entsetzter Schrei ließ den Hof erzittern. Rings um den brodelnden Höllenkessel brach Panik aus, als Männer und Frauen vor der grausamen Hitze zurückzuweichen versuchten und doch nicht von der Stelle kamen. Hagen sah und hörte von alledem nichts. Er spürte auch die Hitze nicht, die wie ein glühender Atem sein Gesicht rötete und sein Haar und seine Brauen verbrannte. Er stand da, betäubt, starr, gelähmt von dem entsetzlichen Anblick, der sich ihm bot, und starrte mit tränenden Augen in die Flammen. Die Gestalten von Brunhild und ihren beiden Kriegerinnen waren als zuckende, finstere Schatten hinter der Feuerwand auszumachen, hoch aufgerichtet in ihren Sätteln sitzend, vernebelt vom schwarzen Rauch, der die Flammen floh. Die Hitze dort drinnen mußte Gold zum Schmelzen bringen, aber die drei Reiterinnen standen reglos, auch dann noch, als das Feuer sie erfaßte, Dämonen gleich, eingehüllt in lodernde Flammen.

Irgendwann, nach Ewigkeiten, merkte Hagen, daß er nicht allein war. Der Hof begann sich zu leeren. Hitze und Rauch und wohl auch das Entsetzen über das grausige Schauspiel hatten die Menge nach und nach fluchtartig zerstreut. Hinter ihm stand Kriemhild.

Der Widerschein des Feuers lag auf ihrem Gesicht. Ihr Haar war versengt, ihr Kleid voll schwarzer, rußiger Flecken, ihr Schleier angesengt und zerfetzt »Nun, Hagen?« sagte sie. »Seid Ihr zufrieden?« Ihre Stimme war fremd und unerreichbar. »War es das, was Ihr wolltet? Ihr und mein Bruder? Ihr habt ihn vom ersten Tag an gehaßt, so, wie Ihr Brunhild vom ersten Moment an gefürchtet habt. Jetzt sind sie tot, beide.« Hagen schwieg. Für einen Moment war er versucht, Kriemhild die Wahrheit über Siegfrieds Tod zu sagen. Aber er verdrängte den Gedanken sofort wieder. Es hätte nichts mehr genutzt. Die Zeit der Wahrheit für ihn war endgültig vorbei. Er hatte gelogen, dies eine, einzige Mal, und diese Lüge veränderte alles. »Sie hat ihn geliebt, Hagen«, sagte Kriemhild. »Mehr, als ich ihn jemals lieben konnte.« »Ich weiß«, sagte Hagen. »Und Ihr habt ihn getötet Ihr habt sie beide getötet. Ihr werdet dafür bezahlen, Hagen. Einen höheren Preis, als Ihr Euch jemals denken könnt.« Hagen zog dem Balmung aus dem Gürtel und hielt ihn Kriemhild hin, aber sie folgte der wortlosen Aufforderung nicht, beachtete das Schwert nicht einmal. Sie schüttelte den Kopf. »O nein, Hagen. Schwert und Dolch oder Speer, das sind deine Waffen. Ich kann und will sie nicht führen. Und ich will nicht deinen Tod. Du irrst dich. Du sollst leben, Hagen, noch lange. Ich werde dir alles nehmen, was du hast. Alles, was du liebst. Du sollst alles verlieren, was du jemals besessen hast. Ich werde dir jeden Freund nehmen. Ich werde dafür sorgen, daß dich die hassen, die du liebst, daß die Häuser, die dir offenstanden, verschlossen sind. Haß und Furcht werden alles sein, was dir entgegenschlägt. Du sollst leiden. Ein Leben lang leiden. Das ist meine Waffe, Hagen. Und ich schwöre dir, daß ich sie so gut zu führen weiß wie du deine Klinge.«