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Hagen erwiderte seinen Händedruck und wandte sich um, um Gunther zu begrüßen. Der König des Burgunderreiches hatte sich bis jetzt nicht von seinem holzgeschnitzten Thron erhoben, auf dem er schweigend saß. Er war barhäuptig - wie fast immer, die Krone trug er nur bei offiziellen Anlässen und selbst dann nur, wenn es sich gar nicht vermeiden ließ - und zum Schutz vor der Kälte, die selbst durch die mannsdicken Mauern gekrochen war und sich in allen Winkeln und Ritzen eingerastet hatte, in einen dicken, mit Schaffell gefütterten Mantel gehüllt, der ihn massiger - und älter - erscheinen ließ, als er war. Er lächelte, aber sein Gesicht wirkte müde, und um seinen Mund lag kaum merklich ein leidender Zug. Seine Haltung war ein wenig verkrampft, und seine linke Hand schien nicht auf dem Schwertgriff zu ruhen, sondern sich daran festzuklammern.

Hagen trat zu ihm. Zwei Schritte vor den Stufen des Thrones blieb er stehen, legte die linke Hand gegen die Brust und verbeugte sich leicht. »Mein König«, sagte er, »ich bin zurück.«

Gunther nickte, richtete sich ein wenig auf und sank mit einem unterdrückten Schmerzenslaut zurück. Seine Lippen zuckten. »Hagen von Tronje«, begann er. »Dein König ist froh und stolz, dich wieder in Worms zu wissen. Verzeih mir, daß ich nicht aufstehe, um dich zu begrüßen, wie du es verdient hättest, aber mein Rücken schmerzt zu sehr.«

»Ihr seid verletzt?« fragte Hagen.

Gunther lächelte gequält. »Ich fürchte, nicht nur am Leibe, sondern auch in meinem Stolz«, gestand er. »Das ganze Land wird über mich lachen, wenn bekannt wird, daß Gunther von Burgund vom Pferd gestürzt ist Noch dazu«, fügte er mit einem übertriebenen Seufzer hinzu, »vom Rücken einer Stute.« Um Giselhers Mundwinkel zuckte es spöttisch, aber er schwieg, wenn auch sicher nicht aus Respekt vor dem Thron oder dem Mann darauf. Hagen blieb ernst. »Ist es schlimm?«

Gunther winkte ab. »Ich kann mich seit drei Tagen kaum bewegen, doch es wird von Stunde zu Stunde besser.« Er versuchte aufzustehen, sank abermals, diesmal mit einem nicht ganz unterdrückten Schmerzenslaut, zurück und streckte Hagen die Hand entgegen. In seinen Augen blitzte es zornig auf. »Sei so gut und hilf einem Mann, der sich im Augenblick doppelt so alt fühlt wie du, Hagen von Tronje.«

Hagen stieg die zwei Stufen zu Gunthers Thron hinauf und wartete, bis sich der König erhoben und schwer auf seine linke Schulter gestützt hatte. Unwillkürlich streckte er die Hand aus, um auch seinen Arm zu stützen, aber Gunther zog seine Hand hastig zurück. Für einen Moment trafen sich ihre Blicke, und Hagen sah das schmerzliche Flackern in Gunthers Augen. Dies und die Art, wie er sich auf ihn stützte, während sie langsam zur Tafel hinübergingen - Schwerfällig, müde und so, daß Hagen fast sein ganzes Körpergewicht zu spüren bekam - sagten ihm, daß der König schwerer verletzt war, als er zugab. Hagen war bestürzt Und ratlos. Ein Mann wie Gunther fiel nicht einfach vom Pferd. Aber in Gunthers Blick hatte auch noch etwas anderes gelegen. Etwas, was vielleicht nur Hagen zu deuten imstande war und was ihm sagte, daß sie später darüber reden würden - wenn überhaupt. Behutsam führte er Gunther zum Kopfende der niedrigen Tafel, wartete, bis der König sich gesetzt hatte, und nahm ebenfalls Platz. Nach sechzig Tagen im Sattel und auf dem nackten Boden oder allenfalls einem Sack Stroh erschien ihm der Stuhl ungewohnt, hart und unbequem; er rutschte ein paarmal unruhig hin und her, fand aber keine bequemere Stellung.

»Nun«, begann Gunther nach einer kleinen Pause, die er dazu benutzte, so wie Hagen auf dem ungepolsterten hochlehnigen Stuhl eine Haltung zu suchen, die für seinen schmerzenden Rücken halbwegs erträglich war, »berichte, treuer Freund - was ist dir widerfahren auf deiner Reise zu den Grenzen des Reiches?«

Hagen überlegte sich seine Antwort gut; er ahnte, daß jetzt nicht der Moment war, mit Botschaften von Todesdrohungen und Unheil aufzuwarten, aber es widerstrebte ihm auch, die Antwort zu geben, die Gunther erwartete; seine Sorgen mit einem Lächeln abzutun oder einem der rauhen Scherze, für die er bekannt war, und spannende Abenteuer zum besten zu geben. Es würde schwer genug sein, später, wenn er mit Gunther allein war, die Wahrheit zu berichten.

»Viel«, antwortete er ausweichend. »Aber nichts, was so wichtig wäre, daß es nicht warten könnte, bis ich erfahren habe, was sich in Worms zugetragen hat. - Außer der Tatsache«, fügte er nach einer genau bemessenen Pause hinzu, »daß der König der Burgunder von seinem Pferd abgeworfen wurde.« Plötzlich war es still, und Hagen spürte - obwohl sein Blick unverwandt auf Gunther gerichtet blieb -, wie sich auf den Gesichtern von Ekkewart, Giselher und Volker fast so etwas wie Erschrecken abzeichnete. Hagen war in Worms vielleicht der einzige, der sich eine solche Bemerkung erlauben konnte, eher noch als Gunthers eigene Brüder, aber für einen Moment sah es so aus, als hätte er den Bogen überspannt. Dann lächelte Gunther, und die Spannung entlud sich in einem erst zaghaften, dann brüllenden Gelächter.

»Wohl gesprochen, Hagen von Tronje«, sagte Gunther, als sich der Lärm wieder gelegt hatte. »Es muß wohl wirklich so sein, daß der, der den Schaden hat, für den Spott nicht zu sorgen braucht. Das« - fügte er mit einem halb belustigten, halb drohenden Blick in die Runde hinzu - »übernehmen schon andere für ihn.« Wieder wollte Gelächter aufkommen, aber Gunther sorgte mit einer raschen Handbewegung für Ruhe. »Im Ernst, Freund Hagen«, fuhr er fort. »Welchen Eindruck hattest du vom Land auf deiner Reise?« Hagen wich seinem Blick aus. Er glaubte zu spüren, daß Gunthers Frage nicht reiner Neugier entsprang, sondern einen ganz bestimmten Grund hatte, und jetzt fühlte er sich in die Enge gedrängt. Gunther wollte eine Geschichte von ihm hören, nicht die Wahrheit, aber Hagen war nicht in der Stimmung, Geschichten zu erzählen. »Keinen besonderen«, antwortete er ausweichend, »nichts, was nicht schon lange bekannt wäre. Die Zeiten sind schlecht, aber ruhig.« Gunther zog die linke Augenbraue hoch, und Hagen sah, daß sich seine Finger ein wenig fester um den silbernen Trinkbecher schlössen. An zwei der Finger entdeckte er große, mit Edelsteinen besetzte Ringe, die neu waren. Hagen gefiel das nicht. Er verabscheute Schmuck dieser Art an Männern, und bei Gunther besonders. Ein Mann wie er, mit Zügen, die eine Spur zu weich waren, und Bewegungen, aus denen eher Sanftmut als königliche Würde sprach, sollte keinen Schmuck tragen. Nicht solchen. »Trotzdem«, sagte Gunther. »Berichte, Hagen. Wir alle sind begierig darauf, zu erfahren, was du erlebt hast. Und manchmal klingt in den Ohren der Daheimgebliebenen auch das Vertraute neu.« Er lächelte. »Hast du einen Drachen getötet, Freund? Die Männer in deiner Begleitung boten ein Bild des Jammers, und der Wundscher wird eine Woche zu hin haben, sie wieder zusammenzuflicken. Sie werden das Osterfest versäumen.«

Hagen dachte an die Festesvorbereitungen, die er im Hof beobachtet hatte, und daran, wie Giselher sie erklärt hatte. Aber er ging nicht darauf ein, obwohl er spürte, daß Gunther es erwartete. Ostern - auch dies war einer der neuen Bräuche des Christentums, die er nicht verstand und nicht verstehen wollte. »Ein Drache war es nicht«, antwortete er lachend. »Sondern nur ein Bär. Aber ein kleiner. Er hatte mehr Angst vor uns als wir vor ihm.« »Und ein gutes Dutzend Räuber«, fügte Gunther hinzu. Hagen nickte. Der Klatsch war schneller gewesen als er selbst. »Richtig«, sagte er. »Doch für sie gilt das gleiche wie für den Bären - sie waren nicht sehr stark, und als sie merkten, daß sie es nicht mit harmlosen Kaufleuten, sondern mit Kriegern zu tun hatten, suchten sie ihr Heil in der Flucht.«»Die aber keinem gelungen ist.«