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»Der Vertrag mit Rom!« platzte Giselher heraus. »Dieser Pakt wird uns Unruhe bringen statt Frieden!«

Gunther ging mit einer Handbewegung über den Einwurf seines Bruders hinweg. »Ich plane eine Reise in den Norden, und ich bitte dich, Freund Hagen, mich zu begleiten. Du wirst deine Heimat wiedersehen. Wir werden nach Tronje kommen - und darüber hinaus.« »Darüber hinaus? Es gibt nicht mehr viel nördlich von Tronje, außer Polarfüchsen und Wölfen.« »Und Island.« »Island!«

Gunther nickte. »Es ist ein weiter Weg, aber mit einem schnellen Schiff und einem guten Führer ist er zu bewältigen, ehe der Winter zurückkehrt.«

»Vielleicht. Aber es gibt nichts auf Island, was den weiten Weg lohnte. Natürlich begleite ich Euch, wenn es Euer Wunsch ist...« »Es ist mein Wunsch.« Es klang wie ein Befehl. »Schon seit Jahren.« Hagen sah prüfend in die Runde, aber der einzige, auf dessen Gesicht sich irgendeine Regung abzeichnete, war Giselher. Giselher war unverkennbar wütend.

»Und was ist der Grund für diese Reise?« forschte Hagen. Gunther lächelte. »Auch ein König ist ein Mann, Freund Hagen«, sagte er. »Und jetzt, wo das Reich ruhig ist wie seit Jahren nicht mehr, habe ich endlich Zeit, auch einmal an mich zu denken.« Er nahm einen Schluck Wein. »Ich will mich verheiraten.« Hagen starrte ihn an.

»Das willst du nicht«, behauptete Giselher kühn. »Was du in Wirklichkeit willst, ist...«

»Schweig!« befahl Gunther zornig. »Ich glaube nicht, daß du alt genug bist, zu wissen, worüber du da redest.«

»Alt genug jedenfalls, meinen Bruder davor zu bewahren, mit offenen Augen ins Unglück zu rennen«, sagte Giselher. »Das Land ist voll von edlen Töchtern, die viel darum geben würden, deine Frau zu werden. Du hättest die Wahl unter Hunderten.«

»Meine Wahl ist längst getroffen.« Gunthers Stimme klang jetzt wieder ruhig, doch entschieden. »Und ich habe lange genug gewartet.« »Ich... verstehe nicht«, murmelte Hagen.

»Dann geht es dir nicht anders als uns allen«, schnaubte Giselher. »Ich dachte immer, ich wäre das Kind hier, aber mein Bruder...« »Der auch noch dein König ist, Giselher«, sagte Gunther drohend. »Muß ich dich wirklich daran erinnern?«

»Das mußt du nicht. Aber ich glaube, ich muß dich daran erinnern, daß du die Verantwortung für ganz Burgund trägst, mein Bruder. Nicht nur für diese Stadt, sondern für das Reich. Dein Leben gehört dir nicht allein, und du hast kein Recht, es wegen eines Hirngespinstes aufs Spiel zu setzen!«

»Brunhild ist kein Hirngespinst«! sagte Gunther. »Sie lebt, und ich werde sie freien.«

»Brunhild!« Ein plötzliches Erdbeben hätte Hagen nicht mehr überraschen können als die Nennung dieses Namens. »Ihr wollt... die Herrscherin des Isensteines ... Ihr wollt um ihre Hand anhalten?« Gunther nickte mit Entschlossenheit. »Ich will, und ich werde.« »Aber es ist unmöglich, sieh das doch ein«, sagte Giselher. »Niemand hat sie je gesehen, und...« Er brach ab und wandte sich beistandheischend an Hagen. »Sag du es ihm, Ohm Hagen! Wenn er auf jemanden hört, dann auf dich! Sag ihm, daß es diese Brunhild nicht gibt. Er jagt einem Hirngespinst hinterher.« Hagen schüttelte betrübt den Kopf. »Ich fürchte, das kann ich nicht, Giselher«, sagte er. Giselhers Augen weiteten sich in einer stummen Bitte. Warum tue ich es nicht? dachte Hagen. Warum lüge ich nicht, nur dieses eine Mal? Wahrscheinlich wäre es der einzige Weg, Gunther von dieser Wahnsinnsidee abzubringen.

Aber er hatte geschworen, Gunther so treu zu dienen wie zuvor seinem Vater. Er würde nicht leben können mit dieser Lüge. »Brunhild lebt, und es hieße zu lügen, behauptete ich, daß es sie nicht gibt«, sagte er schweren Herzens. »Es tut mir leid, Giselher.« Er wandte sich an Gunther und sagte ernst: »Trotzdem hat Giselher recht. Es ist unmöglich, sie zum Weib zu nehmen.«

»Und warum?« brauste Gunther auf. »Ich bin ein König und ihr gleichgestellt, und die Geschichten, die man sich über sie erzählt, erschrecken mich nicht.« Er blickte Hagen herausfordernd an, ballte plötzlich die Faust und schlug so heftig auf den Tisch, daß sein Becher umstürzte. Der Wein breitete sich wie vergossenes Blut auf der Tischplatte aus. Hagen schauderte. »Ich bin es leid, von allen hier wie ein unmündiges Kind behandelt zu werden, nur weil ich einmal mehr an mich als an das Reich denke. Burgund!« Gunther spie das Wort gleichsam aus. »Ich bin Burgund! Und ich brauche meine Entscheidungen vor niemandem zu rechtfertigen.«

Hagen fühlte sich angesichts dieses Wutausbruchs ratlos und verwirrt. »Brunhild«, murmelte er. »Warum sie? Ich meine... Dir habt Eure Entscheidung sicher gut bedacht...« »Das habe ich«, unterbrach ihn Gunther.

»Und es steht mir nicht zu, sie in Frage zu ziehen«, setzte Hagen behutsam fort. »Aber bisher ist noch keiner, der nach Island fuhr, um Brunhild zu freien, zurückgekommen.«

»Hagen hat recht«, fiel Giselher ein. »Wenn es sie gibt - und ich glaube immer noch nicht daran -, dann kann kein Sterblicher sich mit ihren Kräften messen. Sie wird dich töten, wie die, die es vor dir versucht haben, Gunther. Sie kämpft mit Zauberei und Hexenwerk.« Hagen nickte zustimmend. »Man sagt, es sei Odin selbst, der ihr ihre Kraft gibt.« Gunthers Miene verfinsterte sich. Seine Hand löste sich vom Schwert, das sie die ganze Zeit umklammert hatte, und legte sich rasch auf das kleine silberne Kreuz, das er an einer Kette über seinem Waffenrock trug. »Gewäsch«, antwortete er gereizt. »Odin! Zauberei! Ich will nichts von diesem heidnischen Geschwätz hören. Mein Entschluß steht fest Sobald der Schnee gewichen ist, breche ich auf. Und du, Hagen, wirst mich begleiten, zusammen mit hundert unserer besten Männer.« Er lachte hart. »Wir wollen sehen, was Odins Kräfte gegen hundert burgundische Schwerter ausrichten.«

Hagen schwieg. Plötzlich fror er, aber es war nicht die äußere Kälte, die ihn frösteln ließ. Gunthers Worte erfüllten ihn mit eisigem Schrecken. Gunther lästerte die Götter - und ob es sie gab oder nicht, es war nicht gut, das zu tun. Aber er fühlte, daß jeder Widerspruch zwecklos war und Gunthers Zorn nur noch steigern würde. Er war zu lange fort gewesen. Wäre er dagewesen, als Gunther seinen Entschluß faßte, hätte er vielleicht - vielleicht - etwas ändern können. Jetzt war es zu spät. Irgend etwas war während seiner Abwesenheit geschehen. »Wir reisen«, sagte Gunther mit Nachdruck. »Ich habe bereits nach Schiffen geschickt. Bei gutem Wind und mit Gottes Hilfe sollten wir in zwei Wochen in Tronje sein. Dort warten wir, bis sich das Eis weiter zurückgezogen hat und der Seeweg nach Island frei ist Wenn der Sommer kommt, stehen wir am Fuße des Isensteines.«

Die Worte drangen nur wie von fern in Hagens Gedanken. Hundert burgundische Schwerter waren genug, ein Königreich zu erobern, aber nicht einmal hundert mal hundert waren imstande, das Eis und die brennenden Ebenen Islands zu besiegen.

Brunhild! Allein der Klang dieses Namens ließ ihn erstarren. Er wußte nicht, was ihn am Isenstein wirklich erwarten mochte. Vielleicht war dieser nichts als eine zerbröckelnde Ruine, in der der Tod auf den ahnungslosen Reisenden wartete, vielleicht war er wirklich die uneinnehmbare Festung der Odinstochter - Hagen wußte es nicht, und es spielte auch keine Rolle. Aber es war auch nicht die Furcht, in den eisigen Weiten Islands auf die letzte der Walküren zu treffen und sich mit Odins Macht messen zu müssen. Was ihn erschreckte, war Gunthers Verbohrtheit Hagen erkannte den Mann, der ihm gegenübersaß, kaum wieder. Und zum ersten Mal begann er ernsthaft an Gunthers Verstand zu zweifeln. »Begleitest du mich?« Es war keine Frage. Nicht einmal eine Bitte. Es war ein Befehl. »Ja, mein König.«

Gunther hatte Mühe, ein triumphierendes Lächeln zu unterdrücken. »Ich wußte, daß ich mich auf deine Freundschaft verlassen kann, Hagen.« Er nahm seinen Becher auf, füllte ihn neu und trank ihm zu. Hagen griff nach seinem eigenen Becher und erwiderte die Geste. Aber der Wein schmeckte mit einemmal schal.