Выбрать главу

Giselher seufzte, sagte aber nichts mehr, und auch Volker und Ekkewart schwiegen. Hagen bedauerte, daß Gernot nicht anwesend war. Gernot hätte Gunther zur Vernunft bringen können. Vielleicht. Wenn es überhaupt jemand konnte, so er.

Mehr um auf ein anderes Thema zu kommen, denn aus wirklichem Interesse fragte Hagen laut in das lastende Schweigen: »Wo sind Eure Mutter und Eure Schwester, mein König?«

Wenn Gunther die Absicht verstanden hatte, so ließ er sich nichts anmerken. »Kriemhild fühlt sich nicht wohl«, antwortete er. »Und Ute ist bei ihr geblieben, um sie zu trösten.«

Hagen erschrak »Ist Kriemhild krank?« Er war ein wenig enttäuscht gewesen, Gunthers Schwester noch nicht gesehen zu haben. »Ein Traum.« Gunther zuckte mit den Achseln und sah zur Seite, wie um zu zeigen, wie lästig es ihm war, über dieses Thema zu reden. »Du kennst sie. Kriemhild ist noch ein Kind, und auch sie gibt zu viel auf die Bedeutung von Träumen und derlei dummem Geschwätz.« So wie ich, meinst du wohl, fügte Hagen in Gedanken hinzu. Aber natürlich sprach er es nicht aus. Gunther war gereizt, und ein falsches Wort konnte ausreichen, ihn vollends die Beherrschung verlieren zu lassen. Gunther hatte sich von Hagen Unterstützung erhofft und fühlte sich in gewissem Sinn in seiner Hoffnung betrogen und zugleich verunsichert. Vielleicht, überlegte Hagen, hatte er den richtigen Moment schon verpaßt; vielleicht hätte ein einziges Wort von ihm genügt, Gunther von seinem Entschluß abzubringen. Vielleicht konnte er es noch. Aber nicht jetzt. Nicht, bevor sie allein waren.

»Ich bin müde«, sagte er. »Der Ritt war anstrengend, und ich spüre jede Stunde, die ich im Sattel gesessen habe, in meinen alten Knochen. Darf ich mich zurückziehen?«

»Geh nur«, sagte Gunther plötzlich weich. Und lächelnd fügte er hinzu: »Aber ruh dich gut aus. Heute abend kommst du mir nicht so leicht davon. Und ich warne dich: wenn du dann nicht ein paar gute und kurzweilige Geschichten zum besten gibst, wird dich Volker von Alzei bei lebendigem Leib fressen.« Der Spielmann nickte bekräftigend und bemühte sich, ein möglichst finsteres Gesicht zu machen. Hagen spürte seine Erleichterung. Für sie alle war der Streit der beiden Brüder in höchstem Maße peinlich gewesen, und der Spielmann schien Hagen dankbar zu sein, daß er aufstand und damit auch ihm Gelegenheit gab, sich zurückzuziehen, ohne Gunther vor den Kopf zu stoßen. Hagen verneigte sich gegen den König, wandte sich um und ging mit schnellen Schritten zum Ausgang. Er verließ den Thronsaal, ging jedoch nicht direkt in seine Kammer, sondern lenkte seine Schritte in die entgegengesetzte Richtung, zum Westturm, wo die Kemenate Kriemhilds und ihrer Mutter lag. Seine Schritte hallten zwischen den leeren Mauern. Dieser Teil der Burg war wie ausgestorben, nur wie aus weiter Ferne drang der Lärm der Festesvorbereitungen herüber. Für einen Moment erinnerte ihn die Einsamkeit und Dunkelheit der fensterlosen, nur von wenigen, halb heruntergebrannten Fackeln erhellten Gänge und Treppen an seine Heimat, an Tronje und die endlosen stillen Winterabende auf seiner Burg hoch im Norden, wenngleich die eisige Kälte, die ebenso zu Tronje gehörte wie der graue Fels seiner Mauern, und das Heulen des Windes und der Polarwölfe fehlten. Es war nicht das erste Mal, daß er dieses sonderbare Gefühl verspürte, und es war nicht das erste Mal, daß er sich fragte, was es wohl zu bedeuten hatte. Heimweh? Kaum. Worms war ebenso seine Heimat wie Tronje, und ein Mann konnte durchaus mehr als nur ein Zuhause haben.

Nun, vielleicht würde er seine Heimat eher wiedersehen, als er noch bei Tagesanbruch gedacht hätte. Wenn es ihm nicht gelang, Gunther zur Vernunft zu bringen ...

Er verscheuchte den Gedanken, öffnete eine niedrige, eisenbeschlagene Tür und fand sich unversehens auf einem schmalen, zum Innenhof hin offenen Gang wieder. Eine kurze, nur aus einem halben Dutzend Stufen bestehende Treppe führte zum eigentlichen Turm hinauf. Hagen öffnete eine weitere Tür, senkte den Kopf, um nicht gegen den niedrigen Sturz zu stoßen, und betrat den dahinterliegenden Raum. Er war kühl, kühl und dunkel, aber die Luft roch nach Rosenöl und anderen Düften, mit denen sich die Frauen gerne umgeben, und wenn die Einrichtung auch kaum wohnlicher war als sonstwo in der Burg, so verriet sie doch die Hand einer Frau, ein Kissen hier, ein buntes Tuch dort, die der Kammer ein wenig Behaglichkeit und Wärme verliehen, die in den anderen Räumen fehlte. Hagen kam nicht oft hierher. Die kleine Kemenate dicht unter dem Dach des Turmes war wohl der bei weitem heimeligste Ort in ganz Worms, und er erfüllte Hagen stets mit einem eigentümlichen Gefühl der Wehmut, als spürte er den Verlust von etwas, was er niemals kennengelernt hatte und was sein Leben um vieles ärmer machte als das des geringsten Knechtes unten in den Ställen. Einen Moment lang blieb er stehen, dann räusperte er sich und schloß die Tür, lauter, als nötig gewesen wäre. Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Der trennende Vorhang auf der gegenüberliegenden Seite des Raumes wurde zurückgeschlagen, und eine schmale Frauengestalt trat heraus. Unwillen, ja Zorn spiegelte sich auf ihrem Gesicht, doch als sie in dem unangemeldeten Besucher Hagen erkannte, glätteten sich ihre Züge, der Zorn verflog, und Freude blitzte in ihren Augen. »Hagen! Mein lieber Freund - Ihr seid zurückgekehrt!« Hagen eilte ihr entgegen und schloß sie in die Arme, ehe er sie sanft ein Stück von sich schob. »Frau Ute«, sagte er, »Ihr seid noch schöner geworden, während ich fort war. Obgleich ich das kaum für möglich gehalten hätte!«

Ute errötete; wohl weil sie Komplimente dieser Art aus Hagens Mund am allerwenigsten gewohnt war. Er kam sich selbst ein wenig töricht vor, und er ertappte sich dabei, daß er verlegen wurde. »Ihr seid ein Schmeichler, Hagen«, tadelte Ute lächelnd. »Aber Ihr vergeudet Euren Atem. Einer Frau meines Alters steht Eitelkeit nicht wohl an.«

»Schönheit hat nichts mit Alter oder Eitelkeit zu tun«, antwortete Hagen ernst. »Außerdem seid Ihr nicht alt, Frau Ute.«

»Nur nicht mehr jung«, entgegnete Ute. »Doch Ihr seid sicher nicht nur gekommen, um mir den Hof zu machen.« Sie löste sich von ihm und strich sich etwas verlegen über die Stirn.

Hagen leugnete es nicht. »Ich höre, Kriemhild hatte einen bösen Traum«, sagte er. »Ich hoffe, es war nicht mehr als nur ein Traum.« Ute antwortete nicht gleich, und Hagen meinte einen Schatten der Besorgnis auf ihrem Gesicht zu sehen. »Ja«, sagte sie. »Es war nur ein Traum. Aber Ihr kennt sie ja.« Sie seufzte. »Ich bin froh, daß Ihr zurück seid, Hagen. Ehr habt mit Gunther gesprochen?« Hagen nickte. Er hatte diese Frage erwartet.

»Dann wißt Ihr, daß es Schlimmeres gibt als die Träume eines Kindes.« Ja, dachte Hagen. Die eines Mannes.

Er räusperte sich. »Ich muß gestehen, ich begreife es nicht«, murmelte er. »Verzeiht mir die Offenheit, aber Euer ältester Sohn...« »Benimmt sich wie ein unvernünftiges Kind«, beendete Ute den Satz. Ihre Augen wurden dunkel vor Sorge. »Glaubt Ihr, daß Ihr ihn zur Vernunft bringen könnt?«

»Ich fürchte, es ist ihm ernst«, sagte Hagen nach kurzem Überlegen. Die Direktheit von Utes Frage überraschte ihn. »Wie kam es überhaupt dazu? Und was ist das für eine Geschichte, daß er vom Pferd gestürzt ist?« »Das eine hat mit dem anderen zu tun«, antwortete sie seufzend. »Er hat versucht, Gurna zu reiten.«

»Gurna?« Hagen erschrak. Die gescheckte Stute war ein wahres Teufelspferd. Mit Ausnahme von Giselher war es noch keinem gelungen, sie zu reiten, und auch er hatte sich nur wenige Augenblicke auf ihrem Rücken halten können. »Aber warum?«

»Warum?« Ute lächelte traurig. »Warum müssen Männer ständig wetteifern, Hagen? Warum müssen sie sich wie Kinder benehmen und unentwegt versuchen, einander zu übertreffen? Giselher hatte die Stute geritten, und Gunther konnte natürlich nicht zurückstehen.« »Und ist prompt abgeworfen worden.«