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»Ja. Wir dachten, er sei schwer verletzt, und er war es wohl auch, jedenfalls schlimmer, als er zugibt. Aber er hat niemanden an sich herangelassen und selbst den Wundscher davongejagt«

Hagen war nicht ganz klar, was dies alles mit Brunhild zu tun hatte. Ute fuhr in ärgerlichem Ton fort: »Niemand hat ein Wort darüber verloren, Hagen. Niemand außer Giselher.«

Hagen runzelte die Stirn. Er begann zu ahnen, was sich zugetragen hatte. »Am Tage darauf kam die Rede aufs Heiraten, wie, weiß ich nicht. Du kennst Giselher - er läßt keine Gelegenheit aus, Gunther zu reizen.« Hagen nickte. Giselher war trotz allem noch ein Kind, auch wenn er glaubte, ein Mann zu sein. »Und was geschah?«

»Oh, nichts Besonderes«, sagte Ute niedergeschlagen. »Jemand bemerkte, daß Burgund noch keinen Thronfolger hat und Gunther allmählich in das Alter käme, sich nach einem Weib umzusehen. Und Giselher sagte, Gunther hätte wohl noch keine gefunden, die sanftmütig genug sei, ihn nicht abzuwerfen, wenn er sich nicht einmal auf einem Pferd halten könne. Das war alles.«

Hagen seufzte. Es war nicht schwer, sich Gunthers Reaktion vorzustellen. Gunther - ausgerechnet ihm, und noch dazu in Anwesenheit anderer - so etwas zu sagen, hieß Öl ins Feuer zu gießen. »Redet es ihm aus, Hagen«, sagte Ute. »Ich bitte Euch bei unserer Freundschaft, redet es ihm aus.«

»Wenn nicht einmal Ihr es könnt, Frau Ute...« erwiderte Hagen leise. »Ihr seid seine Mutter.« Er starrte nachdenklich zu Boden und fuhr dann lauter fort: »Aber ich werde mit ihm reden. Morgen, wenn das Fest vorüber ist.« Lächelnd fügte er hinzu: »Und er einen Brummschädel hat vom Wein. Es ist noch viel Zeit, um aufzubrechen.«

»Er trifft bereits Vorbereitungen«, sagte Ute. »Es sind Schiffe auf dem Weg hierher...«

»Sie werden lange brauchen, ehe sie Worms erreichen«, beruhigte sie Hagen. »Und wenn sie hier sind, wird es noch länger dauern, bis uns das Wetter günstig ist Gunther weiß das. Euer Sohn ist ein vernünftiger Mann.«

»Ich hoffe, Ihr habt recht, Hagen«, sagte Ute seufzend. Dann lächelte sie. »Aber Ihr seid nicht gekommen, um Euch die Sorgen einer Mutter anzuhören, sondern um Kriemhild zu sehen.« Sie deutete mit dem Kopf auf den Vorhang, durch den sie gekommen war. »Kriemhild wird sich freuen, Euch gesund und wohlbehalten wiederzusehen. Wißt Ihr, daß sie jeden Tag nach Euch gefragt hat?« Sie machte eine einladende Handbewegung und schlug den Vorhang beiseite. Hagen folgte ihr. Der Raum, den sie betraten, war größer und heller und von behaglicher Wärme erfüllt In dem gemauerten Herd prasselte ein Feuer, und die kleine Fensteröffnung an der Südseite, durch die der Rauch abzog, ließ gleichzeitig die wärmenden Sonnenstrahlen ein, nicht aber den kalten Wind, der aus der entgegengesetzten Richtung blies. Kriemhild saß in einem hochlehnigen Stuhl gegenüber dem Fenster und stickte, aber sie war nicht bei der Sache. Als Hagen hinter Ute eintrat, sah das Mädchen von seiner Handarbeit auf, ließ Nadel und Faden fallen und lief ihm entgegen.

»Ohm Hagen! Ihr seid zurück! Endlich!« Ehe es sich Hagen versah, hatte sie die Arme um seinen Hals geschlungen und ihm einen Kuß auf die Wange gedrückt. Hagen räusperte sich verlegen. Kriemhild trat einen Schritt zurück und betrachtete ihn kritisch von Kopf bis Fuß. Hagen warf einen Blick zu Ute hinüber, aber auf ihrem Gesicht lag ein verzeihendes Lächeln. Kriemhild war ein Kind und hatte das Recht, sich von ihren Gefühlen hinreißen zu lassen.

»Es war einsam in Worms ohne Euch, Ohm Hagen«, sagte Kriemhild. Hagen hatte, was seine eigene Person betraf, für Schmeicheleien nichts übrig, er ärgerte sich höchstens darüber. Doch bei Kriemhild war das anders. Überhaupt war dieses Mädchen etwas Besonderes. Er empfand eine seltsame, ihm selbst nicht ganz erklärliche Wärme und Zuneigung in ihrer Nähe. Liebe, ja - aber nicht die Liebe zu einer Frau, auch nicht die, die man einer Tochter oder Schwester entgegenbrachte, sondern ... ja, was? Er hatte nie wirklich darüber nachgedacht, was es war, was ihn mit Kriemhild verband. Vielleicht fürchtete er, der Zauber könnte vergehen, wenn er versuchte, ihn zu erklären.

»Ich kam gerade zur rechten Zeit, wie mir scheint«, sagte er. »Ich hörte. Ihr hättet Kummer.« Ein Schatten huschte über Kriemhilds Gesicht. »Ich hatte einen Traum.« »Nur einen Traum?« Hagen lachte, ein wenig zu laut und zu herzhaft. Er trat zu Kriemhild, streckte die Hand aus und widerstand mit Mühe der Versuchung, sich zu setzen und sie auf seine Knie zu ziehen, um sie zu schaukeln, wie er es früher so oft getan hatte.

»Es war mehr als nur ein Traum«, sagte Kriemhild ernst. »Es war ein Omen. Ein böses Omen.«

»Erzählt mir davon«, bat Hagen. »Vielleicht weiß ich den Traum zu deuten.«

Kriemhild zögerte. Für einen Moment schien ihr Blick durch Hagen hindurchzugehen, und er sah Furcht in ihren Augen. »Oh, es war...« Kriemhild rang darum, ihre Fassung zu bewahren. »Es war ein Falke. Mir träumte, ich hätte einen Falken gezogen, ein junges, wunderbares Tier. Er war stark und schnell, und er war schon in jungen Jahren ein wundervoller Jäger.«

Sie schwieg. Hagen wollte eine Frage stellen, fing aber einen warnenden Blick von Ute auf und geduldete sich, bis Kriemhild von sich aus weitersprach. Als sie es tat, klang ihre Stimme verändert, und ihr Blick schien seltsam leer, als wäre sie gar nicht mehr wach, sondern allein durch die Erinnerung wieder in der bedrückenden Welt ihres Traumes gefangen.

Selbst die Wahl ihrer Worte war anders als gewohnt. »Eines Tages war ich mit ihm auf der Jagd. Er schlug Bussarde und Hasen und brachte gar einen Fuchs als Beute heim, und es gab kein Wild, das ihm an Kraft und Schnelligkeit gewachsen gewesen wäre. Es war eine Freude, ihm zuzusehen.« Trotz dieser Worte war ihre Stimme voller Trauer, und Hagen meinte, ein leises Zittern darin zu vernehmen. »Doch dann wurde alles anders. Gerade als mein treuer Vogel sich wieder in die Lüfte geschwungen hatte, eine neue Beute zu schlagen, tauchte ein Adler am Himmel auf, ein gewaltiges, schwarzes Tier voller Wildheit und Kraft.« Sie sah Hagen an, und obwohl sie versuchte, ihren nächsten Worten einen scherzhaften Klang zu verleihen, lief Hagen ein kalter Schauer über den Rücken, als sie fortfuhr: »Er ähnelte Euch, Ohm Hagen, so groß und finster und voller Kraft, wie er war. Unverzüglich griff er meinen Falken an, und sie kämpften. Oh, und wie sie kämpften! Wohl eine Stunde oder länger umkreisten sie sich, schlugen mit Fängen und Flügeln aufeinander ein und hackten mit den Schnäbeln, bis beide voller Blut und Wunden waren.«

Wieder schwieg sie, überwältigt von der Erinnerung. Doch diesmal ließ sich Hagen nicht abhalten zu fragen. »Und wer gewann?« forschte er. »Die beiden Kämpfer wurden müde«, berichtete Kriemhild. »Aber mein Falke raffte sich noch einmal zu neuer Kraft auf, um seinen Gegner zu schlagen. Doch gerade, als er sich emporschwingen wollte, erschien ein zweiter Adler und stürzte sich auf das prachtvolle Tier, heimtückisch und hinterrücks. Zu zweit krallten sie meinen tapferen Vogel und zerrissen ihn.«

»Das ist... ein trauriger Traum«, sagte Hagen nach einer Weile. »Und doch nichts weiter als ein Traum. Ihr solltet ihm nicht mehr Bedeutung zumessen, als gut ist.«

»O nein, Ohm Hagen«, widersprach Kriemhild traurig. »Es war mehr als ein bloßer Traum. Es war ein Omen, eine Warnung.« - »Sie glaubt«, erklärte ihre Mutter, »der Falke aus ihrem Traum sei ein Mann, der ihr genommen wird, nachdem er sie gefreit hat.« Sie lächelte. »Kriemhild ist ein Kind, Hagen« - Kriemhild warf ihr einen zornigen Blick zu, aber sie beachtete ihn nicht -, »Kinder geben viel auf Träume, denn sie wissen noch nicht, was sie erwartet. Es ist die Sehnsucht nach einem Mann, die aus ihr spricht. Sehnsucht nach etwas, was sie gar nicht kennt« »Und was ich niemals kennenlernen will«, fügte Kriemhild hinzu. »Wenn es dieser Schmerz ist, der mich erwartet, so will ich für immer verzichten. Niemals will ich einem Manne gestatten, mich zu freien und Hand an mich zu legen.« Aber du wirst es müssen, dachte Hagen traurig. Weil du nicht irgendeine, sondern die Schwester des Königs bist. Und weil es den Schwestern - oder Töchtern - von Königen nicht anders ergeht als denen von Bauern. Beide werden verkauft. Nur der Preis ist ein anderer. Dennoch war Kriemhild kein Kind mehr; trotz ihrer gerade fünfzehn Jahre war sie körperlich bereits voll zur Frau erblüht, und ihre sanften, noch etwas flachen, kindlichen Züge versprachen eine Schönheit, die kommen würde; schon bald. Mehr als ein Freier hatte bereits um ihre Hand angehalten, doch alle waren abgewiesen worden. Aber irgendwann würde einer kommen, der nicht abgewiesen werden würde. Und es würde nicht Kriemhilds Wahl sein.