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»Ihr urteilt zu schnell«, erklärte Hagen lächelnd. »Vielleicht ist es gerade umgekehrt, und der Traum warnt Euch, nicht allein zu bleiben und zu viele tapfere Jünglinge, die um Eure Hand anhalten, mit gebrochenem Herzen in ihre Heimat zurückzuschicken.« Der sanfte Spott in seiner Stimme entging Kriemhild, doch in Utes Augen blitzte es belustigt auf. Aber laß dir Zeit, fügte Hagen in Gedanken hinzu. Genieße es, ein Kind zu sein, solange man dich noch läßt.

Doch die ganze Zeit, während er dies dachte, hatte er das sichere Gefühl, daß es nicht mehr lange dauern würde.

Als er sich umdrehte und anschickte, die Kemenate zu verlassen, fiel sein Blick aus dem Fenster. Über der Burg kreiste eine schwarze Krähe.

3

Hagen erwachte am nächsten Morgen ungewohnt spät. Es war bereits hell und obwohl die Kälte während der Nacht erneut in seine Kammer gekrochen war und seine Decken mit Feuchtigkeit durchtränkt hatte, spürte er jetzt einen Hauch von Wärme durch die Fensteröffnung hereinwehen. Ja, selbst hier in der engen Turmkammer, die Hagen bewohnte, war es merklich wärmer. Der Frühling schien sich an diesem Morgen mit Macht anzukündigen, und über den Zinnen der Burg hing jener goldene Schimmer, der nur an seltenen Tagen des Jahres zu beobachten war. Die Brünnen und Schilde der Wachen, die auf den halb überdachten Wehrgängen auf und ab schritten, glänzten, als wären sie vergoldet, und selbst der Fluß hatte sich in sein Prachtgewand geworfen und schimmerte wie ein Band aus geschmolzenem Perlmutt. Es war, als wäre dieser Tag eigens geschaffen worden, den Frühling zu begrüßen. Es war warm, schon zu dieser Morgenstunde, und das Land atmete spürbar auf. Hagen erhob sich von seinem harten Lager, tastete mit den Fingerspitzen über seine Stirn, hinter der dumpfer Schmerz saß. Gunther hatte am vergangenen Abend darauf bestanden, daß Hagen blieb, bis das Fest seinen Höhepunkt überschritten hatte, und es war lange nach Mitternacht gewesen, ehe er endlich einen Vorwand gefunden hatte, sich zurückzuziehen. Zudem hatte er zuviel Wein getrunken; zuviel für einen Mann, der tagelang im Sattel gesessen und kaum Schlaf bekommen hatte. Aber wenigstens hatte Gunther nicht mehr über die geplante Reise nach Island gesprochen, und auch von den anderen hatte niemand an dieses Thema gerührt. Man legt keinen Finger in eine offene Wunde. Das Geräusch hastiger Schritte drang in Hagens Gedanken, dann wurde gegen die Tür geklopft, und Ortwein von Metz, Hagens Neffe, stürmte herein, ohne auf Antwort zu warten.

»Hagen!« begann er ohne Einleitung. »Der König bittet dich zu sich. Sofort.«

Hagen streckte automatisch die Hand nach Schwertgurt und Helm aus, die wie immer griffbereit auf dem Tisch lagen. Den Waffenrock trug er bereits, denn er hatte darin geschlafen, wie fast immer. Die Nächte waren noch empfindlich kalt, zu kalt, um sich nur auf die Decke und das darübergeworfene Bärenfell zu verlassen. »Was ist geschehen?« fragte er. Beim Sprechen spürte er erst, wie schwer seine Zunge war. »Reiter nahem sich dem Burgtor«, berichtete Ortwein, während Hagen den Gürtel umlegte und die schwere, in Form eines Seeadlers gefertigte Fibel schloß. »Mehr als ein Dutzend. An ihrer Spitze reitet ein Recke, wie ich noch keinen gesehen habe.« Ortwein zögerte einen Moment, ehe er hinzufügte: »Einer der Knechte behauptet, es sei Siegfried von Xanten.« »Siegfried von Xanten?« fragte Hagen ungläubig. »Der Drachentöter?« Ortwein nickte. Er war sichtlich nervös. Hinter seiner kaum verhüllten Unruhe verbarg sich Sorge. »Mehr weiß ich nicht«, gestand er. »Keiner von uns hat Siegfried je gesehen. Auch der Knecht glaubt ihn nur aus den Geschichten zu erkennen, die man sich über ihn erzählt« »Dann solltest du den Knecht zum Schweigen bringen, ehe er Dinge behauptet, von denen er nichts weiß«, sagte Hagen. »Geschichten werden viele erzählt. Komm - laß uns diesen Drachentöter einmal in Augenschein nehmen.« Er trat auf den Gang hinaus. Entfernter Lärm war zu hören; das Scharren von Metall, trampelnde Schritte. Stimmen. Obwohl Hagen und Ortwein keiner Menschenseele begegneten, während sie Seite an Seite durch die Gänge eilten, spürte Hagen die fiebernde Unruhe, die von ganz Worms Besitz ergriffen hatte. Die Burg schien sich in ein summendes Bienenhaus verwandelt zu haben, in dem er der einzige war, der vorläufig noch die Ruhe bewahrte. »Siegfried von Xanten«, murmelte Ortwein, während sie die Treppe zum Thronsaal hinabschritten. »Wenn er es wirklich ist - was für einen Grund mag er haben, nach Worms zu kommen? Noch dazu unangemeldet?« »Oh«, murmelte Hagen, »da kann ich mir eine ganze Menge Gründe vorstellen.« Sie erreichten den Thronsaal, ohne auf Wachen zu stoßen. Selbst diese hatten ihre Posten in der Halle verlassen, und als Hagen und Ortwein den Thronsaal betraten, waren alle Recken des Hofes versammelt und drängten sich an den drei schmalen Westfenstern, die auf den Innenhof blickten. Gunther wandte den Kopf, als Hagen und Ortwein eintraten, winkte ungeduldig mit der Hand und trat zur Seite, um Hagen am Fenster Platz zu machen.

Ganz Worms schien auf den Beinen zu sein. Im Burghof wimmelte es von Menschen, die sich vor dem Fallgatter drängten. Selbst am vergangenen Abend, anläßlich des Ostergottesdienstes, waren hier nicht so viele Menschen versammelt gewesen, um auf Gunthers Einladung hin den österlichen Segen zu empfangen und den Frühling zu begrüßen.

Die Reiter, von denen Ortwein gesprochen hatte, galoppierten soeben über die heruntergelassene Zugbrücke. Das Holz dröhnte unter den Hufen ihrer Streitrösser, und für einen kurzen Moment, bevor sie in den Schatten der Mauer eintauchten, ritten sie genau gegen die Sonne und wurden selbst zu gesichtslosen, drohenden Schatten. Das Licht brach sich auf ihren Helmen und Brünnen, auf den metallenen Rändern ihrer Schilde und dem Stahl ihrer Waffen, daß alle, die gebannt auf die Reiter blickten, geblendet die Augen schlössen. Es sah aus, als sprenge eine Armee lichtumflossener Göttergestalten direkt aus Walhalla herab auf die Erde. Es war ein eindrucksvolles Schauspiel. Ein Schauspiel, dessen Eindruck genau vorausberechnet war, fügte Hagen in Gedanken hinzu. Die Reiter passierten das Tor und ritten in den Hof ein. Das Donnern der Pferdehufe klang heller, als nicht mehr Holz, sondern das harte Kopfsteinpflaster des Burghofes unter ihnen war. Die Reiter, es waren ihrer dreizehn, zügelten ihre Tiere, und für einen Moment löste sich die geordnete Formation, in der sie durch das Tor geprescht waren, in ein wildes Durcheinander auf. Aber nur kurz; dann formierten sich die dreizehn Reiter neu und bildeten einen Halbkreis am Fuß der Treppe. Alles geschah schnell und präzise, als wäre es tausendmal geübt worden. »Das sieht nicht nach einem Freundschaftsbesuch aus«, murmelte Sinold, der Mundschenk, leise, aber doch so, daß alle es hörten. Hagen merkte erst jetzt, wie still es im Saal geworden war. Das Unbehagen, das Sinold ausgeprochen hatte, war auf den Gesichtern aller zu lesen. Hagen - der ewige Schwarzseher, wie Gunther ihn nannte - hatte bis jetzt geglaubt, der einzige unter ihnen zu sein, den dieser Besuch mit ernsthafter Sorge erfüllte.

Unten im Hof entstand neue Bewegung. Knechte eilten herbei, um den Gästen aus den Sätteln zu helfen und ihre Tiere in die Ställe zu führen, ihnen Schilde und Schwerter abzunehmen und sie zu bewirten, wie es die Regeln der Gastfreundschaft geboten. Aber die Reiter blieben in den Sätteln, beachteten die hilfreich dargebotenen Hände nicht, ja scheuchten die Knechte sogar mit barschen Worten zurück.