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Aber wieder war es Gernot, der sich zwischen sie warf, ehe es zum Kampf zwischen den beiden ungleichen Gegnern kam. »Laß die Waffe, Ortwein«, sagte er beschwörend. »Ich bitte dich. Noch ist kein Blut geflossen, und es soll auch keines fließen. Siegfried von Xanten ist ein tapferer Ritter und ein Kämpfer, dessen Taten weithin berühmt sind. Er hat es nicht nötig, seinen Mut unter Beweis zu stellen. Männer wie er und wir sollten sich die Hand in Freundschaft reichen, nicht im Streit das Schwert gegeneinander führen.«

»Gernot hat recht«, mischte sich Hagen ein. »Burgund ist ein friedliches Reich. Wir tragen nicht Krieg und Leid in die Länder unserer Nachbarn. Warum tut Ihr es mit uns?«

»Worte!« entgegnete Siegfried. Seine Stimme verriet Unsicherheit. Er hatte den Augenblick, in dem er noch das Schwert hätte sprechen lassen können, versäumt. Er war mit der Waffe in der Hand hierhergekommen, aber Gernot - und zu seiner Verwunderung auch Hagen, der gefürchtete, finstere Hagen von Tronje - hatten ihn mit Waffen angegriffen, die er nicht so gut beherrschte: mit Worten. »Worte!« sagte er noch einmal verächtlich. »Ist das Eure Stärke, Hagen von Tronje? Die Waffe, mit der Ihr Eure Gegner besiegt? Nehmt Euer Schwert in die Hand, und wir wollen sehen, wer der wahrhaft Stärkere ist! Oder seid Ihr plötzlich zu feige dazu?«

»Ist es feige, den Kampf gegen einen Mann zu scheuen, der nicht durch Schwert oder Speer zu verwunden ist?« fragte Hagen ruhig. »Oder mutig, einen Gegner herauszufordern, wenn man durch Zauberei vor dessen Waffen gefeit ist?«

Siegfried zuckte zusammen. Hagen hatte mit diesen Worten seine verwundbarste Stelle getroffen. Es war wie ein Angriff aus dem Hinterhalt Hagen konnte sicher sein, daß Siegfried die Mär von seiner Unverwundbarkeit nicht fremd und wohl auch nicht unlieb war; daß man sie auch gegen ihn verwenden konnte, erfuhr er zum ersten Mal. »Seid uns in Frieden willkommen, Siegfried von Xanten«, sagte nun Giselher. »Ihr und Eure Männer. Hört auf meinen Bruder - laßt das Schwert und nehmt als Gast, was des Gastes ist.« Siegfried sah ihn scharf an. »Du mußt Giselher sein«, sagte er nach einer Weile. »Ich habe von dir gehört - ein Knabe, der wie ein Mann zu kämpfen versteht und auch wie ein solcher zu sprechen weiß.« Er zögerte. »Ist es Sitte in Worms, eine Einladung zum Kampf mit einer Einladung zum Gastmahl zu beantworten?« Er lächelte und schob sein Schwert, wenn auch mit einer etwas zu heftigen Bewegung, in die Scheide zurück Hagen spürte, wie die Spannung, die über dem Hof gelegen hatte, in einem erleichterten Aufatmen entwich. Aber Hagen war auch - vielleicht mit Ausnahme Ortweins - der einzige, der die allgemeine Erleichterung nicht vollkommen zu teilen vermochte. Siegfrieds Nachgeben war für Hagens Gefühl zu schnell gekommen. Die plötzliche Friedfertigkeit des Xanteners war nicht echt; war nur ein weiterer Zug in dessen Spiel. Aber König Gunther gab Hagen keine Gelegenheit, seine Bedenken zu äußern. »Knechte!« rief er mit erhobener Stimme. »Diener! Herbei! Nehmt den Herren die Tiere ab und versorgt sie. Und dann geleitet sie zu ihren Gemächern und sorgt für Speise und Trank!« Er wandte sich wieder an Siegfried und fuhr, ein wenig leiser, fort: »Erweist Ihr uns die Ehre, einen Becher Wein mit uns zu trinken, Siegfried von Xanten?« Er lächelte. »Ihr werdet sehen, daß die Güte von Sinolds Wein der Schärfe Eurer Klinge nicht nachsteht«

»Ich hoffe nur, er ist nicht ebenso tödlich«, erwiderte Siegfried trocken. Einen Moment lang blickte ihn Gunther verständnislos an, dann brach er in schallendes Gelächter aus, in das nach kurzem Zögern alle anderen - mit Ausnahme von Hagen und Ortwein, der den Xantener finster anstarrte - einfielen. Aber ihr Lachen hatte einen falschen Klang. Sie lachten nur, weil der König lachte.

Auf einen Wink von Siegfried schwangen sich seine Begleiter wie ein Mann aus den Sätteln und nahmen im Halbkreis um den Xantener Aufstellung. Hagen beobachtete sie. Erst jetzt fiel ihm auf, wie sehr sie einander glichen, sowohl in Größe und Statur als auch in ihren Gesichtszügen. Sie waren allesamt sehr hellhäutig und hellhaarig. Siegfried sagte etwas zu ihnen. Er sprach laut und betonte jedes Wort; aber er redete in einer Sprache, die weder Hagen noch einer der anderen verstand. Nun, dachte Hagen wütend, nach allem, was bisher geschehen war, kam es auf diese Unhöflichkeit wohl nicht mehr an. Sie gingen ins Haus, Siegfried, Gunther und seine Getreuen. Nicht jedoch Siegfrieds Begleiter. Sie blieben wie auf Verabredung im Hof zurück. Hagen sah es mit Verwunderung und Mißtrauen. Er selbst folgte dem König und seinem Gast als letzter. Als sie die Halle betraten, hielt er Ortwein, der vor ihm ging, am Arm zurück »Warte«, bat er, so leise, daß keiner der anderen es hörte. Ortwein runzelte ungeduldig die Stirn, gehorchte aber. Hagen wartete, bis sie beide allein waren. Ortwein wirkte äußerlich gefaßt und ruhig. Aber Hagen kannte seinen Neffen zu gut, um nicht zu wissen, daß er die Demütigung, die Siegfried dem König und ihm selbst zugefügt, nicht vergessen hatte. Ortwein von Metz vergab nicht so schnell.

»Was willst du?« fragte er ungeduldig.

»Auf ein Wort, Ortwein«, sagte Hagen. »Ich möchte dich um einen Gefallen bitten.«

Ortwein machte seinen Arm los. »Ich muß zu Gunther«, sagte er. »Ich traue diesem Xantener nicht. Mir ist wohler, wenn ich in seiner Nähe bin.«

Und mir, wenn du es nicht bist, dachte Hagen. Ortwein war unbeherrscht genug, sich im Eifer zu etwas hinreißen zu lassen, was er später bereuen würde. Aber er sprach es nicht aus.

»Gerade darum geht es ja«, sagte Hagen mit einer Kopfbewegung zum Hof hin. »Behalte seine Männer im Auge. Ich traue ihnen nicht Ich würde es selbst tun, aber mein Fehlen bei Tisch würde auffallen.« »Du glaubst doch nicht etwa, der ruhmbedeckte Held würde den Frieden brechen?« Der beißende Spott in Ortweins Stimme war unüberhörbar, aber Hagen ging nicht darauf ein. Er traute Siegfried ebensowenig wie Ortwein. Aber jetzt war nicht der Moment, darüber zu reden. Und Ortwein nicht der richtige Mann. Hagen wünschte sich, Dankwart wäre hier. Aber sein Bruder weilte in Tronje, zwölf Schiffstage entfernt und unerreichbar.

»Nein. Aber ich spüre, daß er etwas vorhat Und ich werde es herausfinden.«

Ortwein zögerte noch einen Moment, dann nickte er. »Gut. Ich werde seine Männer im Auge behalten.«

Hagen bedankte sich, und Ortwein ging. Hagen blieb noch eine Weile sinnend stehen. Das Unbehagen, das er empfand, breitete sich wie ein übler Geschmack in seinem Mund aus.

Er ließ sich selten von Gefühlen leiten, drängte sie im Gegenteil meist zurück, damit sie nicht sein nüchternes Denken vernebelten. Aber diesmal gelang es ihm nicht, die warnende Stimme in seinem Inneren zum Schweigen zu bringen. Es war mehr als nur ein Gefühl. Es war Gewißheit. Die plötzliche, durch nichts begründete, doch unerschütterliche Gewißheit, daß dieser Mann ihm und vielleicht dem ganzen Burgundergeschlecht den Untergang bringen würde.

Mit einer unwilligen Bewegung verscheuchte Hagen den Gedanken aus seinem Kopf. Plötzlich hatte er es eilig, zu Gunther zu kommen. Es war nicht gut, den König mit Siegfried allein zu lassen. Hagen hatte kaum ein paar Schritte zurückgelegt, da hörte er leises, unterdrücktes Lachen. Er blieb stehen und sah sich um, konnte aber niemanden entdecken. Gleich darauf hörte er es wieder; ein leises, meckerndes Lachen, das wie das Wispern des Windes von den rohen Steinwänden widerhallte und aus keiner bestimmten Richtung zu kommen schien. Als er sich noch einmal genauer umsah, gewahrte er in einer Ecke eine schattenhafte Gestalt Unwillkürlich legte er die Hand auf den Schwertgriff. »Du bist ein mißtrauischer Mann, Hagen von Tronje«, sagte die Stimme. Sie klang wie das Lachen zuvor: leise, unwirklich und so, als käme sie aus allen Richtungen zugleich. Als sich der Schatten bewegte, erkannte Hagen eine kaum kindgroße, in einen schmutzigbraunen Umhang gehüllte Gestalt, die jetzt mit trippelnden Schritten auf ihn zukam. Der Fremde war im schwachen licht der Halle nur undeutlich zu erkennen, als wäre er wirklich nicht mehr als ein Schatten, aber Hagen sah trotzdem, daß er sehr dürr war und ihm kaum bis zur Brust reichte. Der Fremde lachte wieder, blieb einen Moment stehen, wie um Hagen Gelegenheit zu geben, ihn mit Muße zu betrachten, und kam dann noch näher, hielt aber weiterhin fünf, sechs Schritte Abstand zu ihm. Im ersten Moment glaubte Hagen, einen Krüppel vor sich zu haben, eines jener bedauernswerten Geschöpfe, die von einer grausamen Natur mit zu kurzen Beinen und Armen und manchmal - als wäre dies nicht genug - mit einem übergroßen Schädel geschlagen waren. Aber dann erkannte er, daß das nicht zutraf: der Mann war vollkommen normal gewachsen, nur eben klein. Und es war auch kein Kind. Es war ein Zwerg. »Mach den Mund wieder zu und nimm die Hand vom Schwert«, sagte der Zwerg. »Du siehst recht, Hagen von Tronje.«