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»Du... du bist ein Alb!« stieß Hagen überrascht hervor. Der kleine Mann zog eine Grimasse, stemmte die Fäuste herausfordernd in die Hüften und baute sich wütend vor Hagen auf. »Ich bin nicht ein Alb«, erklärte er mit seiner unangenehmen, krächzenden Stimme. »Ich bin Alberich, der Herrscher aller Alben.«

Hagen wußte nicht, was er sagen sollte. Alben ... Er hatte nicht geglaubt, daß es sie gab; nicht wirklich. Natürlich gehörten sie zu seiner Welt, genauso wie Drachen und Hexen, wie die Asen und die anderen, älteren und finstereren Götter, deren Namen man nicht einmal denken durfte, Wesen aus einer anderen Welt, die in vielen Dingen noch immer die seine war. Verwirrt starrte er den Zwerg an. Alberich schien auf Antwort zu warten. Als diese nicht kam, löste er sich vollends aus dem Schatten, in dem er gestanden und gelauscht und geschaut hatte, und kam mit kleinen, drolligen Schritten näher. Seine Stiefel verursachten unangenehme, klackende Geräusche auf dem Boden, und für einen Moment schien es Hagen, als eilten ihm die Schatten nach wie eine endlose Schleppe aus Dunkelheit, die er hinter sich herzog. Sein Umhang raschelte wie trockenes Laub.

»Und du bist also Hagen«, sagte der Zwerg. Er kicherte. Ein spöttisches Funkeln stand in Alberichs Augen. »Der große, tapfere, starke, heldenmütige, finstere, berühmte Hagen von Tronje.«

Als Hagen wieder nicht antwortete, fuhr Alberich hämisch fort, und seine Stimme war jetzt noch boshafter und unangenehmer. »Ich muß gestehen, daß ich mir dich größer vorgestellt habe«, sagte er lauernd. Aus dem Munde eines Zwerges war dies eine doppelte Unverschämtheit. Hagens Erstaunen schlug plötzlich in Zorn um. »Wie kommst du hierher?« fuhr er den Zwerg an. »Wer hat dich hereingelassen, und was tust du hier?«

Alberich kicherte. »Hereingelassen?« Plötzlich änderte sich seine Stimme. »Hereingelassen?« wiederholte er gedehnt und so, als wäre das Wort eine Beleidigung. »Ich bin Alberich, der König der Alben. Niemand braucht mich herein- oder hinauszulassen. Ich komme und gehe wie die Nacht.« Er kicherte wieder, und als er den Kopf schräg legte, konnte Hagen sein Gesicht deutlicher sehen. Es war ein sehr altes Gesicht, schmal und dürr mit hohen, ergrauten Schläfen, einer schmalen Hakennase und blutleeren Lippen, wie dünne Schnitte, die sein Gesicht in zwei ungleiche Hälften teilten. Es war ein häßliches und abstoßendes Gesicht, und es wurde beherrscht von einem Paar dunkler, tiefliegender Augen, vor deren Blicken Jahrhunderte wie Stunden vorübergezogen waren. »Ich will dir sagen, was ich hier tue«, fuhr Alberich nach einer Pause mit ruhiger Stimme fort. »Ich bin mit meinem Herrn gekommen. Folgst du deinem König nicht, Hagen von Tronje?« »Dein Herr...?« Hagen zögerte. »Siegfried von Xanten?« »Siegfried«, nickte Alberich. »Der Drachentöter, der Erbe des Nibelungenhortes und« - er seufzte - »der Bezwinger Alberichs.« »Dann sind die alten Geschichten also wahr?« entfuhr es Hagen überrascht »Daß er im Blut des Drachen gebadet und dich geschlagen und dir deine Tarnkappe genommen hat?« Alberich wiegte den Schädel. »Er hat mich geschlagen«, sagte er. »Das stimmt Wir haben gekämpft, und ich habe verloren.« »Und jetzt hält er dich, um für ihn zu spionieren.« Alberichs Gesicht verdüsterte sich. »Ich diene ihm, Tronjer«, zischte der Zwerg. »Aber ich tue es freiwillig. Niemand zwingt Alberich, irgend etwas zu tun, was er nicht will. Siegfried von Xanten schenkte mir mein Leben, obwohl er mich besiegt hatte. Dafür schulde ich ihm Dank.«

»Dank«, sagte Hagen kopfschüttelnd. »Was nutzt ein geschenktes Leben, wenn man es in den Dienst dessen stellen muß, dem man es verdankt?« »Oh, so schlimm ist es nicht.« Alberich streckte eine dürre Hand unter seinem Umhang hervor und deutete mit dem Zeigefinger wie mit einem Dolch auf Hagen. »Auch du dienst einem anderen.« »Ich diene einem ehrlichen Mann und einem Freund, keinem ...« »Schweig!« unterbrach ihn Alberich wütend. »Siegfried ist mein Herr. Niemand beleidigt ihn ungestraft in meiner Gegenwart.« »Immerhin bist du König - oder warst es -, ehe du in Siegfrieds... Dienste getreten bist.«

»König, ja«, Alberich machte eine wegwerfende Handbewegung, »ich war und bin der König der Zwerge, und mein Reich ist ein Reich der Zwerge, klein an Körper und klein an Geist Eine Höhle, ein feuchtes Loch im Boden, gerade gut genug für Ratten und Würmer. Nein.« Er schüttelte den Kopf. »Ein Königreich der Kälte und Finsternis. Nein, nein, es ist nicht der schlechteste Tausch, den ich gemacht habe.« »Glaubst du das wirklich?« fragte Hagen. »Oder redest du es dir nur ein, weil du den Gedanken nicht ertragen kannst, Siegfrieds Sklave zu sein?« Zu seiner Überraschung reagierte Alberich nicht mit einem neuerlichen Zornesausbruch. »Man hat mir nichts Falsches über dich erzählt«, sagte er. »Deine Zunge ist beinah ebenso scharf wie dein Schwert. Aber du täuschst dich, Hagen. Das Leben in Siegfrieds Nähe bietet auch gewisse Vorteile. Selbst für einen Zwerg wie mich.«

»Solange es währt«, entgegnete Hagen trocken. »Man wird leicht mit verbrannt, wenn man zu nahe beim Feuer steht«

Alberich grinste. »Ich gelobte ihm Treue bis ans Lebensende«, sagte er. »Doch ein Menschenleben währt nicht lange. Vielleicht kehre ich schon bald in mein Königreich zurück.« Er zuckte mit den Achseln. »Vielleicht auch nicht. Ich glaube, ich habe viel versäumt, in all den Jahrhunderten, die ich in Schwarzalfenheim war.«

Beinah gegen seinen Willen mußte Hagen lächeln.

»Vielleicht bleibe ich auch«, fuhr Alberich fort, »bis das Ende der Zeiten gekommen und Ragnarök hereingebrochen ist.«

»Das Ende der Zeiten«, sagte Hagen. »Ihr Alben seid langlebig, doch auch eure Zeit ist begrenzt.«

»So ist es«, sagte Alberich.

»Es wird Zeit«, sagte Hagen abrupt. »Mein König wartet auf mich.«

Alberich nickte. »Ja, geh nur. Man soll seinen König nicht warten lassen.«

4

Es war still in der kleinen Turmkammer. Das Fenster, dessen Läden nur halb geschlossen waren, ließ schmale Streifen goldenen Sonnenlichtes herein, in denen der Staub seinen nie endenden Tanz aufführte, und von unten wehten die Geräusche der Burg herauf: das harte Klappern beschlagener Pferdehufe, Stimmen, die aufgeregt durcheinanderredeten und -riefen, das Knarren von Holz, Rädern, Toren und Läden, alles seltsam gedämpft und unwirklich. Nach dem Unheil, das eine Zeitlang wie eine drohende Wolke über der Burg gehangen hatte, atmete Worms hörbar auf, und wie oft nach einem plötzlichen Schrecken schien die Stimmung jetzt ins Gegenteil umgeschlagen zu sein. Es war mehr Lachen zu hören als an gewöhnlichen Tagen, und zwischen den grauen Mauern herrschten Ausgelassenheit und fröhliches Treiben. Nun, dachte Hagen in einer Mischung aus Spott und Unbehagen, es war kein gewöhnlicher Tag. Es waren Gäste in der Burg, besondere Gäste! Siegfried, der Drachentöter, und seine Männer.