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Er trat ans Fenster und schob die Läden ganz auf. Sein Blick ging über den Hof. Gunther hatte für den Abend zu Ehren des Nibelungenherrschers wieder ein Fest befohlen, und die Vorbereitungen waren in vollem Gange. Männer waren in die Stadt und die umliegenden Dörfer gesandt worden, um von den Bauern Wein und Fleisch einzuhandeln, denn die Vorratskammern der Burg waren vom Winter geleert und nicht auf ein neuerliches großes Gelage vorbereitet, und ein Trupp Reiter war ausgeschickt worden, um die Gaukler und Spielleute, die schon geraume Zeit in der Umgebung von Worms umherzogen, für den Abend einzuladen. Hagen lehnte sich ein wenig weiter vor, um den Hof zur Gänze zu überblicken. Weder von Siegfrieds Begleitern noch von ihren Pferden war etwas zu sehen. Die Tiere waren fortgebracht worden, wie Gunther es befohlen hatte, damit man sie versorgte und nach dem langen und anstrengenden Ritt gut fütterte und tränkte, und auch die Männer hatten sich zurückgezogen. Alles wirkte friedlich und heiter, und selbst der Tag hatte sich in sein Festgewand gekleidet und verwöhnte das Land mit einer für die Jahreszeit ungewohnten Fülle von Wärme und Licht. Einen Augenblick lang fühlte sich Hagen beinah angesteckt von der gelösten Stimmung. Aber sie verflog so schnell, wie sie gekommen war, und zurück blieb das dumpfe Gefühl der Bedrohung, das seit dem heutigen Morgen für ihn einen Namen hatte.

Eine Bewegung hinter einem Turmfenster erregte seine Aufmerksamkeit. Ein Sonnenstrahl brach sich blitzend an Gold oder einem Zierat Hagen hob den Blick, sah einen Moment lang stirnrunzelnd zu dem Fenster hinauf und wandte sich dann mit einem Ruck um. Mit schnellen Schritten verließ er seine Kammer, trat auf den Gang hinaus und wandte sich nach links.

Er eilte die Treppe hinab, trat auf den breiten, umlaufenden Säulengang hinaus und umrundete ihn zur Hälfte, lief auf der gegenüberliegenden Seite die Treppe zum Haupthaus hinauf und betrat die Halle. Er blieb stehen, als er Stimmen aus dem Thronsaal hörte. Einen Moment überlegte er. Gunther und seine Brüder hatten sich zurückgezogen, und auch Siegfried war in das Gemach gegangen, das ihm zugewiesen worden war - so jedenfalls hatte er gesagt. War es möglich, daß Gunther noch einmal zurückgekehrt war, um noch einige Anordnungen für das Fest am Abend zu treffen? Vielleicht fand sich eine, in diesen Tagen immer seltener werdende Gelegenheit, allein mit ihm zu reden.

Entschlossen wandte sich Hagen zum Thronsaal. Die Stimmen wurden lauter, und Hagen glaubte die eines Mannes und einer Frau zu erkennen. Sie klangen erregt.

Der Saal war noch so, wie Hagen ihn verlassen hatte. Auf dem Tisch standen die Reste des Mahles, das zu Siegfrieds Begrüßung aufgetragen worden war, dazwischen Krüge mit Wein und Met. Es waren Volker von Alzei, Frau Ute und Kriemhild, deren Stimmen er gehört hatte. Hagen vermochte selbst nicht genau zu sagen, warum - aber diese Zusammenstellung gefiel ihm nicht. Vielleicht, weil Volker für Hagens Geschmack zu sehr - und zu blind - im Banne Siegfrieds von Xanten stand.

Volker von Alzei hatte Hagens Schritte gehört und wandte sich um. Seine Hände erstarrten mitten in der Bewegung, es war, als hätte er gerade etwas erklärt. Hagen war sich nicht sicher, ob der Ausdruck in seinen Augen Unmut oder bloße Überraschung war. Frau Ute saß auf Gunthers Stuhl an der Stirnseite der Tafel. Kriemhild stand an einem der schmalen Fenster und spielte unruhig mit einem Kamm, den sie aus ihrem Haar gezogen hatte. Obwohl Gäste in der Burg waren, trug sie keinen Schleier, wie es sich geziemt hätte, sondern hatte das graue Seidenruch unter dem Kinn geknotet. Wie ihre Schönheit, hatte sie auch das Haar ihrer Mutter geerbt, und für einen kurzen Moment sah Hagen Kriemhild völlig neu, sah in ihr die Frau, die ihre Mutter einmal gewesen war und die Kriemhild bald sein würde. »Hagen.« Ute stand auf und kam ihm ein paar Schritte entgegen. Unentschlossen blickte sie zwischen Hagen, ihrer Tochter und Volker von Alzei hin und her.

»Störe ich?« fragte Hagen spöttisch.

Die Frage war an Volker gerichtet, aber es war Ute, die antwortete: »Man scheint uns Frauen vergessen zu haben, seit die Sonne aufgegangen ist und diese Reiter in der Stadt sind«, sagte sie. »Deshalb sind Kriemhild und ich heruntergekommen; nur, damit ihr Männer nicht gänzlich vergeßt, daß es uns gibt.« Sie seufzte. »Ganz Worms scheint auf den Beinen zu sein«, sagte sie. »Selbst die Mägde haben es ungewöhnlich eilig, hinunterzukommen und die Hände zu rühren.«

»Welche Stadt hat schon die Ehre, Siegfried von Xanten in ihren Mauern zu beherbergen?« Der unverhohlene Spott in Hagens Stimme brachte ein belustigtes Glitzern in Utes Augen, und Hagen sah aus den Augenwinkeln, wie Volker zusammenfuhr. »Wie ist er, Ohm Hagen?« fragte Kriemhild aufgeregt Hagen ließ absichtlich einige Zeit verstreichen, ehe er unschuldig fragte: »Wer?«

»Siegfried!« antwortete Kriemhild ungeduldig. Sie schüttelte ihr Haar zurück, und unter ihren blonden Locken kam ein breites, mit kostbaren Edelsteinen besetztes Stirnband zum Vorschein - das Blitzen, das Hagen von seinem Fenster aus wahrgenommen hatte! Kriemhild mußte erst vor wenigen Augenblicken von oben heruntergekommen sein. »Der Drachentöter! Ist er es wirklich? Habt Ihr ihn gesehen? Wie sieht er aus?« Hagen wollte Volker von Alzei einen wütenden Blick zuwerfen. Aber er beherrschte sich. »Er ist es«, antwortete er. »Ich weiß nicht, ob er wirklich einen Drachen getötet hat, aber dieser Mann ist Siegfried von Xanten.« Kriemhild sah fragend zu Hagen auf. »Eure Stimme hört sich... seltsam an«, sagte sie. »Ihr scheint nicht sein Freund zu sein, Ohm Hagen.« Sie warf einen hilfesuchenden Blick zu Volker hinüber. Der Spielmann sah weg.

»Freund?« Hagen wählte seine Worte sehr behutsam. »Mit dem Wort Freund sollte man vorsichtig sein, Kriemhild. Ich weiß eine Menge über ihn, und auch wenn manches davon gewiß nicht der Wahrheit entspricht, so gefällt mir nicht alles an ihm.«

»Ihr mißtraut ihm«, stellte Kriemhild fest. Ihre Stimme klang traurig. Nein - verbesserte sich Hagen in Gedanken. Nicht traurig. Enttäuscht. Wie die eines Kindes, dem man sein neues Spielzeug weggenommen hat Er streckte die Hand aus und zog Kriemhild zu sich heran. »Ich mißtraue ihm nicht«, sagte er. »Aber ich traue ihm auch nicht. Er beeindruckt dich, nicht wahr? Sein Mut und seine Kraft haben ihn schon zu Lebzeiten zu einer sagenumwobenen Gestalt werden lassen, aber du solltest dich nicht vom Schein täuschen lassen, Kriemhild.« »Erzählt mir von ihm, Ohm Hagen«, bat Kriemhild. »Ihr kennt die Geschichten, die man sich über ihn erzählt, besser als irgendein anderer.«

»Ich bin kein Spielmann«, wehrte Hagen ab. »Warum fragst du nicht Volker? Er war doch gerade dabei, dir von Siegfrieds Heldentaten zu berichten, oder?«

»Aber ich möchte die Geschichte aus Eurem Mund hören, Ohm Hagen«, beharrte Kriemhild. »Erzählt mir von Siegfried und dem Kampf mit dem Drachen.« Sie drängte ihn, sich zu setzen, zog sich ein Kissen heran, um sich zu seinen Füßen niederzulassen. Aber Hagen schüttelte entschieden den Kopf. »Laß Volker erzählen«, sagte er. »Der Spielmann versteht sich besser darauf als ich.« Der spöttische Unterton in seiner Stimme entging Kriemhild, aber Volker hörte ihn sehr wohl. Man sah ihm an, daß er am liebsten davongelaufen wäre.

»Erzählt, Volker«, bat nun auch Ute. »Vielleicht ist es eine kleine Abwechslung im täglichen Einerlei. Ich fürchte, solange der Xantener und seine Männer in Worms weilen, werden die Tage in unserer Kemenate noch einsamer und länger werden als sonst.« - Und was er nicht weiß oder was er vergißt, das werde ich erzählen, dachte Hagen. Utes Blick sagte ihm, daß sie genau das von ihm erwartete. Kriemhild würde in den nächsten Tagen so oder so alles hören, was es über den Xantener zu berichten gab, und vielleicht war es besser, sie erfuhr es von Volker und ihm als von anderen.