Hagen setzte sich und lehnte sich mit einem Seufzer zurück Dann nickte er Volker ermutigend zu. »Beginnt«, sagte er.
Der Spielmann war nervös, er gab sich alle Mühe, seiner Stimme die gewohnte Sicherheit zu geben, als er begann. »Ich habe viel von Siegfried von Xanten gehört«, hob er in jenem leichten Singsang an, wie es Spielmannsart war. »Schon zu Hause in Alzei und auch sonst überall, wo ich hinkam, nicht erst hier. Man sagt, er sei der Sohn von Siegmund, dem König der Franken, der zu Xanten am Rhein regiert, und seiner Gemahlin Sieglind.«
»Man sagt es?« unterbrach ihn Kriemhild.
Volker nickte. »Xanten ist nicht weit, doch ich selbst war noch nicht dort«, antwortete er unsicher. »Und ich habe König Siegmund und seine Gemahlin nie gesehen.«
Kriemhild nickte, und Volker fuhr nach einem Zustimmung heischenden Blick in Hagens Richtung, die dieser lächelnd gewährte, fort. »Zu Xanten am Rhein also herrschen Siegmund und Sieglind, die aus dem Geschlecht der Wälsungen stammen, eine Sippe, deren Ahnherr Odin selbst gewesen sein soll, der Oberste der Asen und Vater der Menschen.« Allmählich gewann seine Stimme an Festigkeit Er vermied es zunächst noch, Hagen anzusehen, aber schon bald war er wieder ganz in seinem Element, der alte Volker von Alzei, der Nächte um Nächte singend erzählen konnte, ohne seine Zuhörer auch nur einmal zu langweilen. Selbst Hagen kostete es Mühe, sich nicht in den Bann seiner Erzählung ziehen zu lassen und zu vergessen, daß Volker nicht nur irgendeine Geschichte erzählte, um die langen Stunden eines Winterabends zu verkürzen. »Siegmunds und Sieglinds Sohn ist Siegfried, ein Knabe voller Kraft und Ungestüm, der schon als Kind so stark und wild war, daß niemand ihn zu bändigen wußte. Er war der Stolz seines Vaters und das Glück seiner Mutter, und doch bereitete er ihnen schon früh große Sorgen, denn es gab nichts, was seiner Neugier und seiner Kraft widerstand. Schon bald wurden ihm Land und Burg zu eng, und es zog ihn hinaus in die Welt Und da seine Eltern nicht nur liebevolle, sondern auch weise Menschen waren, ließen sie ihn ziehen, kaum daß er alt genug war, ein Pferd zu reiten und ein Schwert zu führen. - Natürlich«, fügte er mit einem milden Lächeln hinzu, »nicht so allein und unbeaufsichtigt, wie er glaubte. Die besten Recken seines Vaters begleiteten den Knaben stets so, daß Siegfried von ihrer Anwesenheit nichts merkte. Doch sie sahen schon bald, daß Siegfried ihres Schutzes nicht bedurfte und aller Gefahr aus eigener Kraft Herr wurde. So zogen sie Jahr für Jahr durch die Lande, erst am Rhein entlang, dann weiter hinauf in den Norden, weit in die Reiche des Winters und der ewigen Kälte.
Siegfried hatte schon viele Länder durchstreift und viele Heldentaten begangen, als er eines Tages einen Wald erreichte, in dessen Herzen eine Schmiede stand. Schon von weitem hörte er das Klingen und Schlagen der Hämmer, und der Himmel lohte rot im Widerschein der Esse, als wäre er gar in Thors Schmiede selbst geraten. Den Knaben packte die Neugier, und als er näher kam und die kraftvollen Hiebe des Schmiedes und seiner Gehilfen sah, da nahm ihn ihr Tun gefangen, und Stunde um Stunde lag er im Schutz eines Gebüsches und beobachtete, wie sie aus glühendem Eisen Schwerter und Schilde schufen. Erst als die Sonne unterging, trat er hervor und zeigte sich.
›Was suchst du, was stehst du hier müßig herum?‹ fragte der Schmied. Er war ein Zwerg - klein von Wuchs, doch groß an Kraft und an Ruhm, und sein Name war Mime, der Schmied. ›In Mimes Schmiede sind Müßiggänger nicht gerne gesehen.‹ ›Hörte ich richtig?‹ rief Siegfried voll Freude, ›Mime seid Ihr, des Nordlandes Schmied, der Lehrmeister Wielands? Auch ich möchte, gleich Wieland, ein Schmiedemeister werden. Und möchte von Stund an Euer Geselle sein.‹ Mime maß Siegfried mit prüfendem Blick Er wußte von Siegfrieds Kommen, und es war kein Zufall, daß der junge Recke den Wald, in dessen Herzen Mimes Schmiede lag, erreicht hatte. König Siegmunds Männer waren es gewesen, die Siegfried zu diesem Wald geleitet hatten, ohne daß er selbst es merkte, denn der König der Franken und Mime, der Schmied, hatten ein Abkommen getroffen. Das Zwergenvolk und die Wälsungen waren in Freundschaft verbunden, und so hatte Siegfrieds Vater den Schmiedemeister gebeten, den Übermut seines Sohnes zu zügeln und für seine Ausbildung zu sorgen, schien doch das Schmiedehandwerk das einzige, dessen Werkzeuge er nicht zerbrechen mochte mit seiner Kraft.
›Du scheinst ein wackerer Bursche‹, fuhr Mime fort, nachdem er Siegfried eingehend betrachtet und sich über dessen Kraft und Größe gewundert hatte; wußte er doch, daß er einem Knaben gegenüberstand, der kaum die Schwelle zum Jünglingsalter überschritten hatte. ›Und wackere Gesellen kann ich gebrauchen. Ist es dein Ernst?‹ ›Mein Ernst! Lehrt mich das Schmieden der Waffen !‹ Und Siegfried trat ein in die Schmiede und wurde des Meisters jüngster Geselle. Er glühte das Eisen, und Mime gab ihm den schwersten der Hämmer und hieß ihn, das Eisen zu schmieden. Jung Siegfried schwang seinen Hammer und schlug auf den Amboß. Als hätte der Blitz die Schmiede getroffen, erbebte die Erde, der Amboß fuhr in den Klotz und spaltete ihn. Eisen, Zange und Schlägelschaft flogen quer durch die Schmiede. Vor solcher Überkraft erschrak Mime. Er sprach! ›Gemach, mein Knabe, du zertrümmerst mein Werkzeug. Ich furchte, du taugst nicht zum Handwerk. Denn nur wer das Maß hält, der wird einst ein Meister!‹ Siegfried wollte auffahren, doch Mime sprach weiter und redete, obgleich ihn Siegfrieds Kraft erschreckte wie selten etwas zuvor, mit geduldiger Zunge weiter, erinnerte er sich doch an das Versprechen, das er Siegfrieds Vater gegeben; und so - die Sonne ging bereits wieder über dem Wald auf, und Siegmunds Männer waren längst wieder gen Xanten gezogen - gelang es Mime, Siegfried zur Besonnenheit zu überreden. Ein volles Jahr blieb der junge Siegfried in der Schmiede, und er lernte das Handwerk gut. Doch eines vermochte selbst Mime nicht. Siegfried ließ sich nicht zähmen. Das Eisen der Schmiede zerschlug er bis auf die letzte der Stangen, sie war aus härtestem Stahl. Aus ihr schmiedete Siegfried sein Schwert. Hatten bisher des Meisters Gesellen die Kraft Siegfrieds bewundert, so begannen sie bald, sie zu fürchten. Sie hatten schon manchmal im Streit die Faust Siegfrieds zu spüren bekommen, daß Himmel und Erde vor ihnen versank. Und nun schwang der junge Riese, der sich allzu leicht vom Zorne übermannen ließ, ein gewaltiges Schwert. Jagt Siegfried von dannen‹, rieten sie dem Meister. ›Oder wir alle verlassen Euch. Unser Leben ist nicht mehr sicher, seit der Königssohn aus Xanten hier weilt‹ Mime ging mit sich zu Rate, wie er sich Siegfrieds am besten entledigen konnte. Noch immer fühlte er sich an das Versprechen gebunden, das er seinem Vater gegeben hatte, doch spürte er auch mit jedem Tag mehr das Zittern der Furcht vor Siegfried, dessen Kraft immer noch wuchs und wuchs. Unheil droht durch den, so sagte er sich, der sich nicht bändigen kann. Zum Köhler will ich ihn schicken, der bei der Gnitaheide wohnt, auf der Fafnir, der Drache, den Hort der Nibelungen bewacht. Ich will ihn warnen vor der Gefahr, denn ich bin sicher, daß er sie sucht. Und wer die Gefahr sucht, der kommt darin um. - So sann der Schmied auf Siegfrieds Verderben. Er trug dem Arglosen auf, beim Köhler Holzkohle zu brennen, und Siegfried, froh, nach einem Jahr der rußigen Schmiede zu entkommen und in einen sonnigen Maitag entfliehen zu können, zog munteren Schrittes dahin. Der Wald war schön. Froh pfiff Siegfried sein Lied. Doch trat ein Reh in die Lichtung, so hielt er inné. Er fühlte sich wohl wie lange nicht mehr. Die Dämmerung sank schon herab, da sah er über den Wipfeln die blaue Rauchfahne des Kohlenmeilers wehen. Der Köhler saß still am Feuer, als Siegfried ihn grüßte und ihm bestellte, was Mime begehrte. Er wies den Gesellen in seine Hütte und teilte sein kärgliches Brot mit dem Hungrigen. Dann kehrten die beiden zum Feuer zurück, und Siegfried ließ sich erzählen von Fafnir, dem feuerspeienden Drachen, von Recken, die ihn zu zwingen versuchten und die das Untier verschlang. Vom gleißenden Golde des Hortes erzählte der Köhler und von dem Fluch, der auf ihm lastete. Siegfried ließ sich den Weg zur Gnitaheide beschreiben, und keines der Worte des Köhlers vergaß er. Siegfried sah nicht die Sterne und sah nicht den Mond, ihn fieberte heftig - und als die beiden sich im Stroh zur Nachtruhe legten, da konnte Siegfried nicht schlafen, er sah nur den Drachen; nach Kampf und nach Sieg dürstete ihn. Als früh am Morgen der Köhler sich den Schlaf aus den Augen rieb, da suchte er lange vergebens nach dem Gesellen, der im Stroh neben ihm gelegen hatte. Siegfried war längst schon der Hütte entflohen und sah bald im Morgenrot die Gnitaheide vor sich erglühen. Schön war der Morgen, doch sang kein Vogel, kein Blumenkelch öffnete sich, denn Gifthauch lag über der Heide, der Fels war verbrannt, kein Pfad war in der Asche zu finden. Siegfried erklomm einen Steilhang, denn droben sah er den Eingang zur Höhle.