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Er fuhr herum, stieß einen Mann beiseite, der nicht rasch genug auswich, und eilte auf das Zelt der Gaukler zu. Schreckensrufe wurden laut. Gunther zischte Hagen zornig zu: »Bist du von Sinnen?«

»Wenn hier jemand von Sinnen ist, so ist er es«, antwortete Hagen ruhig. »Er hat mich herausgefordert. Nicht ich ihn.«

»Er ist betrunken und ein ungestümer Narr! Was, wenn dieser Abend blutig endet?«

Hagen antwortete nicht darauf. Er folgte der Menge, die zum Zelt drängte, und Gunther folgte ihm. Siegfried hatte bereits das hölzerne Podest erklommen, auf dem die Gaukler ihre Kunststücke gezeigt hatten. Zwei Soldaten führten den Bären herbei, während ein dritter mit seinem Speer den Besitzer zurückdrängte, der laut zeternd und jammernd um das Leben seines Tieres bangte.

Siegfried lachte, eine Spur zu überlegen, wie Hagen fand. »Keine Sorge, Alter!« rief er. »Dein Tier wird dir ersetzt werden, wenn es zu Schaden kommt. Bringt den Bären!«

Die beiden Knechte mühten sich ab, den Bären die hölzernen Stufen zur Plattform hinaufzuzerren, aber das Tier war nervös und gereizt und sträubte sich. Es schien zu spüren, daß dies hier etwas anderes als sein gewohnter Auftritt war, und die beiden Männer mußten mit aller Kraft an seiner Kette zerren, um es zum Weitergehen zu bewegen. »Tut es nicht, Siegfried«, rief Gunther, »ich bitte Euch!« Der Xantener mußte die Bitte gehört haben, denn trotz der mehr als hundert Menschen, die sich um das Podest drängten, herrschte plötzlich eine fast geisterhafte Stille auf dem Hof. Aber Siegfried tat so, als hätte er nichts gehört Langsam zog er sein besticktes Wams aus, behielt jedoch das dünne Kettenhemd an, das er darunter auf der nackten Haut trug, und trat dem Bären entgegen.

Hagen betrachtete das Tier voller Interesse. Der Bär war größer, als er geglaubt hatte. Er war alt, sehr alt sogar, aber Hagen wußte, daß ihn das nur um so gefährlicher machte. Seine tödlichen Fänge waren hinter einem Maulkorb verborgen, aber an seinen Vordertatzen blitzten dolchscharfe Krallen, und als er sich aufrichtete und Siegfried aus seinem einen trüben Auge tückisch musterte, war er nur ein wenig kleiner als der blonde Hüne aus Xanten.

Die beiden Knechte ließen die Ketten los und brachten sich eilig in Sicherheit. Aber der Bär blieb, aufrecht stehen und musterte den Menschen, der auf ihn zukam. Er schien instinktiv zu spüren, daß er einem Feind gegenüberstand, einem Zweibeiner, der anders war als die, die ihm zu fressen gaben und die ihn gelehrt hatten, im Kreis herumzugehen und sinnlose Sprünge zu vollführen. Etwas mußte an Siegfried sein, das seine Instinkte weckte. Vielleicht erkannte er das Raubtier, das tief in dem Xantener schlummerte. Der Kampf begann.

Siegfried umkreiste den Bären und täuschte ein paarmal rasche Angriffsbewegungen mit den Händen vor, sprang jedoch immer wieder schnell zurück, wenn der Bär zur Antwort die Tatzen hob und nach ihm hieb. Er suchte wohl nach einer schwachen Stelle, einer Möglichkeit, den Kampf zu beenden, ehe er wirklich gefährlich werden konnte. Hagen sah sich flüchtig um und entdeckte Giselher hinter sich. Die Blicke des jungen Königs hingen gebannt an Siegfried, wie die der anderen, aber in seinen Augen war ein Glanz, der Hagen nicht gefiel. Er wollte etwas sagen, aber in diesem Moment erhob sich aus der Menge ein vielstimmiges Raunen, und er drehte den Kopf zurück Siegfried ging zum Angriff über. Er hatte den Bären weiter umkreist; das Tier wirkte gereizt, aber auch unentschlossen, und seine Prankenhiebe dienten mehr zur Warnung als dazu, wirklich zu treffen. Siegfried wartete, bis er in einer günstigen Position war, sprang dann mit einer Behendigkeit vor, die Hagen bei einem Mann seiner Größe niemals vermutet hätte, und schmetterte dem Bären die Faust zwischen die Augen. Es war ein Hieb, wie Hagen nie zuvor einen gesehen hatte. Ein Schlag, gewaltig genug, einen Ochsen zu fällen oder einen Mann auf der Stelle zu töten, der Faustschlag eines zornigen Gottes, nicht eines Menschen. Der Bär brüllte vor Schmerz und Wut und schlug mit den Tatzen nach seinem Gegner, aber Siegfried brachte sich mit einer behenden Bewegung in Sicherheit und holte zu einem zweiten, nicht minder kraftvollen Hieb aus.

Diesmal wankte der Bär.

Beifallsrufe wurden laut, verstummten aber sofort wieder, als sich der Bär mit einem zornigen Brüllen erneut aufrichtete und nun seinerseits zum Angriff überging. Mit wiegenden Schritten und weit ausgebreiteten Vorderbeinen drang er auf Siegfried ein. Siegfried wich hastig zurück, duckte sich unter einem mörderischen Prankenhieb und stieß dem Bären ein drittes Mal die Faust zwischen die Augen.

Der Bär brüllte auf, trat mit einem überraschenden Satz vor und schloß die Pranken zur tödlichen Umarmung um Siegfrieds Leib. Die Zuschauer hielten entsetzt den Atem an. Von einem Augenblick auf den anderen legte sich erneut geisterhafte Stille über den Hof, eine gebannte, angsterfüllte Stille ... Siegfried keuchte. Die gewaltigen Pranken des Tieres preßten die Luft aus seinen Lungen und versuchen, seine Rippen zu brechen, während es sich wütend, doch vergeblich bemühte, sein Opfer durch das metallene Gitter des Maulkorbes zu beißen. Siegfried spreizte die Beine, drängte die Arme zwischen sich und den Bären und versuchte, seinen Kopf zurückzuzwängen. Gleichzeitig krachte seine Rechte immer wieder zwischen die Ohren des Tieres. Aber er befand sich in einer ungünstigen Position, und seine Kräfte begannen zu erlahmen, da ihm der Bär noch immer die Luft abschnürte. »Er erwürgt ihn!« rief Gunther entsetzt. »Wir müssen ihm helfen! Bogenschützen!«

»Nicht!« Hagen hob warnend die Hand und deutete zur Plattform hinauf. Siegfried hatte seine Taktik geändert. Er schlug nicht mehr auf den Bären ein, sondern hatte nun seinerseits die Arme um ihn geschlungen und die Hände hinter seinem Rücken verschränkt. Langsam, ganz langsam drückte er die Knie durch - und hob den Bären vom Boden hoch! Ungläubiges Raunen lief durch die Menge, als sie sah, wie Siegfried den gewaltigen Bären anhob und erst wenige Fingerbreit, dann eine halbe Armeslänge in die Höhe stemmte. Der Bär brummte zornig und lockerte erschrocken und verwirrt seinen tödlichen Klammergriff. Siegfried konnte wieder atmen. Mit einer letzten gewaltigen Anstrengung riß er das Tier noch ein Stück in die Höhe, drehte sich zur Seite und schleuderte es von sich.

Das hölzerne Podest erbebte in seinen Grundfesten, als der Bär aufprallte, ungeschickt auf die Füße zu kommen suchte und mit einem schmerzhaften Keuchen erneut zur Seite kippte. Siegfried setzte ihm nach, riß die Arme hoch und schlug ihm die verschränkten Fäuste in den Nacken. Der Bär zuckte noch einmal und lag dann still. Für einen endlosen Augenblick war es totenstill; jedermann auf dem weiten Platz schien den Atem anzuhalten, und selbst Hagen ertappte sich dabei, wie er mit ungläubig aufgerissenen Augen zu dem Xantener hinaufstarrte.

Dann begann der Jubel. Zuerst einzelne, dann mehr und mehr Stimmen begannen Siegfrieds Namen zu schreien, bis das weite Rechteck des Innenhofes von einem gewaltigen, an- und abschwellenden Chor widerhallte.

»Gott sei gelobt«, sagte Gunther, gerade laut genug, daß Hagen es hören konnte. »Ihm ist nichts geschehen.«

»Habt Ihr daran gezweifelt, mein König?« fragte Hagen schroff. »Er ist unverwundbar. Wer einen Drachen tötet, der wird wohl auch einen Bären bezwingen.« Ein halbes Dutzend Knechte schleifte den Bären fort. Das Tier erwachte, blinzelte benommen mit seinem einen Auge, und seine Bewegungen waren fahrig und abgehackt. Sein Besitzer eilte herbei und fing von neuem an, lauthals zu jammern und zu zetern. Die Knechte wollten ihn davonjagen, aber Hagen gebot ihnen mit einer raschen Geste, ihn gewähren zu lassen. Der Alte kniete neben dem Bären nieder, aber das Tier schlug nach ihm, und er mußte sich hastig in Sicherheit bringen. Hagen sah auf, als Siegfried mit einem Satz vom Podest sprang. Sein Gesicht war verzerrt vor Anstrengung und glänzte vor Schweiß. Sein Atem ging keuchend.