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»Das eine schließt das andere nicht aus«, sagte Hagen. Und unversehens waren sie schon wieder - zum wievielten Mal wohl? - mitten in dem Gespräch, das sie in den letzten zwölf Monaten oftmals geführt und immer an der gleichen Stelle abgebrochen hatten. Vielleicht, weil sie beide Angst hatten, es fortzuführen.

»Ich werde... Euren Bruder unterrichten«, sagte Hagen. »Ihr habt recht, mein König: es ist keine Zeit zu verlieren.« Er ging; so schnell, daß Gunther keine Gelegenheit hatte, ihn zurückzurufen. Sie waren beide erregt und mochten Dinge sagen, die ihnen später leid taten. Draußen in der Halle blieb er stehen und schloß für einen Moment die Augen. Sein Herz schlug schnell. Er war erregter, als er selbst geglaubt hatte.

Als sich sein Herzschlag beruhigt hatte, wandte er sich nach links, um in seine Kammer hinaufzugehen, zögerte kurz und wandte sich dann in die entgegengesetzte Richtung. Er durchquerte die Halle, trat aus dem Haus und ging mit weit ausgreifenden Schritten über den Hof. Der verharschte Schnee knirschte unter seinen Tritten, als er am Gesindehaus vorüberging und dem langgestreckten Rechteck der Stallungen zustrebte. Wärme, der durchdringende Geruch nach warmem Heu und Pferdemist schlugen ihm entgegen, als er den Stall betrat und die Tür hinter sich schloß. Eines der Pferde hob müde den Kopf und sah ihm gleichgültig entgegen. Im ersten Moment erkannte er nichts als Schatten. Aber seine Augen, an das helle Sonnenlicht und das Gleißen des Schnees gewöhnt, stellten sich rasch auf die goldbraune Dämmerung hier drinnen ein. Der Stall war halb leer. Die rohgezimmerten Boxen auf der einen Seite waren verwaist, während sich die Tiere auf der anderen Seite des schmalen Mittelganges drängten, um sich mit ihrer Körperwärme gegenseitig vor der Kälte zu schützen. Kein einziger der Stallburschen war zu sehen, obgleich eigentlich Fütterungszeit war und die Knechte strengsten Befehl hatten, die Tiere nicht einen Augenblick unbeaufsichtigt zu lassen, denn zwei der Stuten waren trächtig. Aber er verschwendete keinen weiteren Gedanken daran, ehe er den Gang entlang zum gegenüberliegenden Ende des Stalles eilte. In der Stirnwand befand sich eine niedrige, aus rohen Brettern gezimmerte Tür, hinter der eine kleine Kammer lag. Früher hatte sie zur Aufbewahrung allerlei Gerümpels gedient: Werkzeuge, Säcke, all die tausend Dinge, die Stallknechte nun einmal brauchten und ständig griffbereit haben mußten. Jetzt diente sie einem anderen Zweck. Hagen öffnete die Tür, trat gebückt hindurch, richtete sich drinnen wieder auf und sah sich mit zusammengekniffenen Augen um. Die Kammer war klein und fensterlos und so dunkel, daß er den Schatten vor sich erst wahrnahm, als er sich bewegte.

»Hagen?« Alberichs Stimme klang wie das heisere Krächzen einer Krähe in der Dunkelheit »Was verschafft mir die Ehre deines unerwarteten Besuches? Übst du dich im Herumschleichen?« Hagen machte eine unwillige Bewegung. »Komm heraus, Zwerg«, sagte er. »Ich habe etwas mit dir zu besprechen.« »Warum tust du es dann nicht?« fragte Alberich. Hagen trat ohne ein weiteres Wort in den Stall zurück und wartete, bis der Zwerg geräuschvoll aufgestanden und ihm nachgekommen war. Alberichs Gesicht wirkte verschleiert; der Blick seiner Augen war nicht ganz so stechend wie gewohnt. Hagen mußte ihn aus dem Schlaf gerissen haben. Es war heller Tag, aber so, wie der Alb selbst etwas von einem Schatten an sich hatte, lebte er vorzugsweise in der Dunkelheit »Nun?« »Ich habe eine Aufgabe für dich«, sagte Hagen.

Alberich blinzelte. »Eine Aufgabe?« fragte er. »Ich wüßte nicht, daß ich in deinen Diensten stehe.« Hagen drängte den Ärger über den Spott in Alberichs Worten zurück. »Es ist etwas, was dir Spaß machen wird«, sagte er. »Eine Sache, die einen geborenen Schleicher wie dich erfordert, Zwerg.« Alberich lachte. »Ich soll jemanden bespitzeln? Eine Intrige vielleicht? Mit dem größten Vergnügen, Hagen. Um wen geht es?« »Ich dachte, du wüßtest es bereits«, versetzte Hagen anzüglich. »Es sind zwei fremde Reiter angekommen, Boten aus Dänemark und Sachsen.« Alberich schwieg einen Moment. »Haben sie also endlich ihr Auge auf Burgund geworfen?«

»Ja.« Hagen nickte ungeduldig. »Die beiden Boten sind im Gasthaus in der Stadt Gunther hat ihnen das Gastrecht gewährt« »Wie unbequem«, spöttelte Alberich. »Wo sie doch sicher so vieles wissen, was dich zu erfahren dürstet, nicht wahr?«

»Unbequem nicht nur für mich«, sagte Hagen. »Ich fürchte, auch für dich sind die fetten Tage vorbei, wenn dein Herr und Gebieter die Kunde von der Kriegserklärung vernimmt.«

Alberich seufzte. »Da kannst du recht haben«, murmelte er. »Siegfried wird kaum zusehen, wie die Sachsen Burgund erobern. Xanten liegt zu nahe bei Worms. Und Lüdeger ist ein gieriger alter Raffzahn. Du brauchst also meine Hilfe?«

Hagen nickte. »Ich muß alles erfahren, was sie wissen. Wo ihre Truppen stehen. Wie stark ihr Heer ist, wie viele Reiter sie haben und wie viele Gemeine, und wie die Moral der Truppe ist. Alles.« »Das werden sie mir kaum freiwillig erzählen«, sagte Alberich und zog eine Grimasse.

»Hast du dich gerühmt, unsichtbar sein und jedes Geheimnis ergründen zu können, oder nicht?«

»Man rühmt sich schnell dieser oder jener Sache«, sagte Alberich. »Der eine behauptet, unverwundbar zu sein, und der andere ...« Er zuckte mit den Achseln und seufzte. »Was du verlangst, ist nicht leicht, Hagen. Aber ich werde sehen, was ich tun kann. Die Menschen reden viel, wenn sie sich ungestört glauben. Diese beiden Fremden sind im Gasthaus in der Stadt, sagst du?«

Hagen nickte. »Im Kerker wären sie mir lieber«, sagte er. »Aber sie stehen unter dem Schutz des Gastrechtes.«»Was vielleicht nicht das schlechteste ist«, murmelte Alberich nachdenklich. »Ich nehme an, du läßt sie bewachen?« »Natürlich.«

»Dann zieh deine Wachen wieder ab. Nicht ganz, sondern nur aus ihrer unmittelbaren Nähe. So daß sie keinen Verdacht schöpfen, sich aber ungestört wähnen.« Hagen nickte abermals.

»Gib mir Zeit bis zum Abend«, sagte Alberich. »Und jetzt geh. Ich habe gewisse... Vorbereitungen zu treffen.«

8

Der Wind fauchte ihm ein eisiges Willkommen entgegen, als er, tief über den Hals seines Pferdes geduckt, aus der Stadt sprengte. Die Wachen beiderseits des Tores traten hastig zurück, um ihm Platz zu machen, und Hagen glaubte ihre überraschten und verwunderten Blicke im Rücken zu spüren. Das eisverkrustete Holz der Brücke dröhnte unter den Hufen seines Tieres, und schon nach wenigen Augenblicken begann er die Kälte, die hier draußen, wo die mächtigen Mauern der Burg keinen Schutz mehr vor dem böigen Wind boten, doppelt grimmig schien, schmerzhaft zu spüren. Die Stadt kam rasch näher, aber Hagen galoppierte in unvermindertem Tempo weiter, ließ die Häuser der Stadt rechter Hand liegen und ritt quer über das verschneite Feld auf den Fluß und die Uferböschung zu. Mancher, der ihn aus der Stadt oder auch von den Zinnen der Festung herab beobachten mochte, wunderte sich vielleicht über die scheinbar grundlose Hast, mit der er sein Pferd zum Rhein hinab und dann weiter nach Norden trieb, ohne freilich zu ahnen, daß er diesmal wirklich und nicht nur scheinbar der finstere Unglücksbote war, als den man ihn oft scherzhaft bezeichnete. Noch wußten außer Gunther, ihm selbst und einer Handvoll Männer, die auf das Geheiß des Königs hin unterrichtet und zur Beratung zusammengerufen worden waren, niemand, was geschehen war. Aber es würde nicht mehr lange dauern, bis die Menschen in der Stadt die Wahrheit erfuhren und das Grauen des Krieges in ihre Herzen drang.

Hagen trieb sein Pferd zu noch schnellerer Gangart an. Das Flußufer flog an ihm vorüber, und schon bald verschmolzen die Dächer von Worms und der schwarze Schatten der Burg hinter ihm mit den weißen Hügeln der Winterlandschaft. Gunther würde zornig werden, wenn er erfuhr, daß Hagen sich selbst auf den Weg gemacht hatte, Siegfried zurückzuholen. Aber ganz gleich, was Gunther sagen oder denken mochte - Siegfried von Xanten war wahrscheinlich der einzige Mensch, der ihnen beistehen konnte. Burgund war ein starkes Reich, und an seinen Festungen hatte sich schon manch übermütiger Eroberer den Kopf blutig gerannt; aber Dänen und Sachsen zusammen waren stärker. Ihre vereinigten Heere waren zahlreich und stark genug, jeden Widerstand zu brechen - auch den Burgunds. Und Hagen teilte Gunthers Zuversicht nicht. Insbesondere die sächsischen Krieger waren für ihre Grausamkeit bekannt. Niemand würde ihnen freiwillig gegen sie beistehen. Niemand, der stark genug wäre, dem Morden und Brennen Einhalt gebieten zu können. Selbst die Kommandanten der römischen Kohorten, die noch immer hier und da beiderseits des Rheines lagen, drehten die Köpfe weg und sahen in eine andere Richtung, wenn die Banner der Sachsen am Horizont erschienen.