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»Ihr täuscht Euch, Ohm Hagen«, widersprach Kriemhild mit fester Stimme. »Denn jetzt bin ich kein Kind mehr, sondern eine Frau. Und was den Traum angeht, so bedeutete er vielleicht ich sollte auf Siegfried warten. Falken waren in genügender Zahl hier, und ich habe sie abgewiesen. Aber Siegfried ist ein Adler. Ihm wird nichts geschehen. Es gibt niemanden auf der Welt, den er fürchten müßte.« Hagen schwieg, und Kriemhild fuhr etwas leiser fort: »Warum haßt Ihr Siegfried, Ohm Hagen? Er ist ein wunderbarer Mann und ein Held dazu. Habt Ihr Angst, er könnte Euch den Platz in meinem Herzen streitig machen?«

Hagen erschrak. Er wollte schon auflachen und eine höhnische Bemerkung machen, aber ein Gefühl hielt ihn davon ab - das Gefühl, daß in Kriemhilds Worten mehr Wahrheit steckte, als er zuzugeben bereit war. »Eure Angst ist unbegründet«, sagte Kriemhild. »Ihr wart mein Freund, solange ich denken kann, und Ihr werdet es bleiben, solange ich lebe. Aber Siegfried ist der Mann, den ich liebe. Und der mich liebt« »Das hoffe ich, Kind«, sagte Hagen leise.

Kriemhild sah ihn fragend an, und er fuhr fort: »Ich hoffe für dich, daß du dich nicht täuschst, und ich hoffe für Siegfried, daß seine Absichten ehrenvoll sind.«

»Ihr werdet Gunther nichts verraten?« fragte Kriemhild hoffnungsvoll. »Nein. Weder ihm noch sonst jemandem. Ich werde schweigen, bis der Krieg vorüber und die Entscheidung so oder so gefallen ist Doch wenn Siegfried danach nicht in aller Form beim König um deine Hand anhält werde ich ihn töten. Das schwöre ich.«

10

Es kam Hagen vor, als wären Stunden vergangen, ehe er den Thronsaal erreichte. Kriemhilds Worte gingen ihm nicht aus dem Sinn, und er begann mit dumpfem Schrecken zu begreifen, daß sie viel mehr Wahrheit enthielten, als Kriemhild ahnen mochte. Es war ein Gutteil Eifersucht in seinen Gefühlen, Neid auf diesen strahlenden Helden, der sich mit dem Körper eines jungen Gottes, den ihm eine launische Natur geschenkt hatte, und mit einer Unverfrorenheit, die verblüffte, über alle Hindernisse hinwegsetzte und von Sieg zu Sieg eilte.

Hagen war der letzte, der den Thronsaal betrat Schon von weitem hörte er das Gewirr lauter und aufgeregter Stimmen. Auf den Gesichtern der beiden Wachen zu beiden Seiten der Tür lag ein angespannter Zug, und als Hagen an ihnen vorüberging, streiften ihn fragende und besorgte Blicke. Im Saal waren bereits alle versammelt: Gunther selbst, als einziger scheinbar ruhig und beherrscht, der mit unbewegtem Gesicht am Kopfende der Tafel saß, rechts und links von ihm Giselher und Gernot, weiters Sinold, Rumold, der Spielmann Volker, Ekkewart und Gere, am unteren Ende der Tafel, und somit dem König gegenüber, Siegfried von Xanten, Dankwart und Ortwein.

Das Reden verstummte, als Hagen eintrat. Der Tronjer verneigte sich gegen den König. »Seid gegrüßt, Hagen. Wir haben auf Euch gewartet«, sagte Gunther. Der tadelnde Unterton in seiner Stimme war nicht zu überhören.

Hagen lächelte entschuldigend. »Ich wurde aufgehalten«, erklärte er und zwang sich, nicht in Siegfrieds Richtung zu blicken. »Verzeiht mein König.«

Gunther winkte ungeduldig ab und deutete mit einer Kopfbewegung auf den freien Platz neben Dankwart. Hagen blieb nichts anderes übrig, als der Aufforderung nachzukommen und sich in Siegfrieds Nähe niederzulassen.

Gunther verschaffte sich mit einer Geste Aufmerksamkeit und legte die Schriftrolle vor sich hin. »Ihr alle wißt, weswegen ihr hier versammelt seid«, begann er. »Ich habe die Botschaft gelesen, die uns Lüdeger und Lüdegast überbringen ließen. Ihr Inhalt bestätigt, was uns die Boten gesagt haben. Binnen zwölf Wochen werden die sächsischen und dänischen Heere vor den Toren vonWorms stehen, wenn wir ihre Forderung, ein Lösegeld zu bezahlen, ablehnen.«

»Lösegeld?« Siegfried spuckte das Wort aus. »Ihr erwägt doch nicht etwa, auf dieses entehrende Ansinnen einzugehen, Gunther?« »Natürlich nicht!« kam Hagen Gunther zuvor. »Aber man sollte darüber nachdenken. Vielleicht gelingt es uns, Lüdegers Beweggründe herauszufinden. Ich kenne Lüdeger nicht, wohl aber seinen Bruder Lüdegast und diese Forderung...«

»Ist ein Schlag ins Gesicht Burgunds!« fiel ihm Siegfried hitzig ins Wort »... ist vielleicht ein Fehler«, fuhr Hagen unbeeindruckt fort. »Ein Fehler, der uns zum Vorteil gereichen kann, Siegfried.« »Und wie?« schnappte Siegfried.

Hagen lehnte sich zurück und griff nach einem Becher mit Wein, trank aber nicht, sondern blickte Siegfried über seinen Rand hinweg abschätzig an. »Wie gesagt, ich kenne Lüdegast, Lüdegers Bruder. Tronje liegt näher an den Grenzen Dänemarks als an denen Burgunds; wir sind beinahe Nachbarn.«

»Wenn auch keine sehr guten«, fügte Dankwart hinzu. »Lüdegast ist ein übler Raufbold, der es dem Zufall verdankt, daß er auf dem Thron sitzt.« Siegfried sah Dankwart ungeduldig an. Hagen beobachtete die beiden und stellte eine Gereiztheit zwischen Siegfried und seinem Bruder fest wie sie ihm schon oft aufgefallen war, seit Dankwart im vergangenen Sommer von Tronje zurückgekehrt war. Es war nicht zu übersehen, daß Dankwart Siegfried ebensowenig mochte wie er selbst »Das stimmt«, sagte Hagen. »Aber Lüdegast ist auch ein Streiter - nenne ihn einen Raufbold, Dankwart -, der den Kampf um des Kampfes willen sucht; nicht aus Gier nach Gold. Und nach allem, was ich gehört habe, ist sein Bruder noch kriegslüsterner.«

Siegfried schwieg und schien zu überlegen, worauf Hagen hinauswollte. »Wenn er jetzt für den Preis eines Lösegeldes auf einen Heereszug gegen uns zu verzichten bereit ist, bedeutet das, daß er Geld braucht«, zog Hagen seine Schlußfolgerung. »Lüdeger und Lüdegast sind seit mehr als einem Jahr auf Kriegszug. Krieg zu führen kostet Geld, und ihre Kriegskassen müssen leer sein. Ich habe die beiden Boten belauschen lassen. Sie sind nicht sehr gesprächig, aber einige ihrer Äußerungen bestätigen meine Vermutung. Lüdeger und Lüdegast brauchen dringend Geld, um ihre Truppen zu bezahlen.«

»Aber selbst wenn es so ist«, sagte Siegfried, »was nutzt das? Söldner, die nicht bezahlt werden, sind vielleicht schlechte Krieger. Aber sie kämpfen um so besser, wenn ihnen mit dem Sieg reiche Beute winkt.« »Und es würde uns nichts nützen, selbst wenn wir zahlen«, fügte Gernot hinzu. »Ihr wißt es, Hagen. Sie würden das Gold nehmen und uns trotzdem angreifen; wenn nicht jetzt, dann im nächsten oder übernächsten Jahr.«

»Es war nicht die Rede davon, der Erpressung nachzugeben«, erwiderte Hagen gereizt. »Aber wir sollten überlegen, wie wir ihre Schwäche zu unserem Vorteil nutzen können.«

»Ich fürchte, gar nicht«, sagte Gunther. »Ich werde also nicht auf ihr Angebot eingehen, nicht einmal zum Schein, um Zeit zu gewinnen.« »Dann also Krieg«, sagte Giselher.

»Ein Krieg, den wir nicht gewinnen können«, ergänzte Gernot. Gunther wollte auffahren, aber Gernot ließ sich nicht beirren und sprach auf seine ruhige, überlegte Art weiter. »Du weißt es so gut wie ich, Gunther. Lüdegasts und Lüdegers Heere zusammen zählen mehr als vierzigtausend Mann, und...«

»Diese Schätzung ist viel zu hoch«, unterbrach ihn Hagen. »Lüdeger hat zur Zeit kaum mehr als fünftausend Mann unter Waffen und sein Bruder vielleicht halb so viele. Außerdem sind ihre Heere getrennt. Sie brauchen zwei Wochen, um sie zu vereinen.«

Gernot wollte etwas erwidern, aber Gunther kam ihm zuvor. »Diese Zahlen scheinen mir wahrscheinlich«, sagte er. »Aber sie ändern nicht viel an den Gegebenheiten. Wir können gegen achttausend Feinde so wenig bestehen wie gegen vierzigtausend. Unsere Truppen sind über das ganze Land verteilt, und uns bleibt nicht viel Zeit, ein Heer aufzustellen. Der Frieden hat sehr lange gedauert.« »Wir haben zwölf Wochen«, wandte Ekkewart ein. »Wohl kaum, mein Freund«, sagte Gunther. »Nach allem, was wir über Lüdeger wissen, müßte er ein Narr sein, wenn er uns zwölf Wochen gäbe, um ein Heer zu sammeln und unsere Städte zu befestigen.« Er lachte bitter. Seine Finger spielten mit dem Trinkbecher. Hagen fiel auf, daß er nur noch den Siegelring Burgunds trug und allen anderen Schmuck abgelegt hatte. »Wenn er zwölf Wochen sagt, so meint er sechs und wird versuchen, in vier Wochen anzugreifen. Seine Fahnen werden am Ufer des Rheins auftauchen, während wir noch die Waffen schärfen und Kriegsröcke nähen.« Er schüttelte den Kopf und trank einen Schluck Wein. »Nein, Ekkewart«, sagte er. »Wir haben keine zwölf Wochen. Wir haben nicht einmal zwölf Tage. Die Entscheidung muß heute fallen.« »Ist sie das nicht bereits?« fragte Siegfried. Hagen sah auf. Siegfried hatte sich bis jetzt, von seiner kurzen Einmischung abgesehen, auffallend zurückgehalten. Vielleicht hatte er nur auf ein passendes Stichwort gewartet.