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»Und selbst wenn es so wäre, würde ich Euch vertrauen, Ohm Hagen«, sagte Kriemhild. »Denn ich weiß, daß Ihr Euer Wort trotzdem halten würdet, ganz gleich, was zwischen Euch und Siegfried ist.« Hagen lächelte, fast gegen seinen Willen. »Kriemhild, Kriemhild«, murmelte er kopfschüttelnd. »Du liebst ihn wirklich, fürchte ich.« »Ich liebe ihn, wie jemals eine Frau einen Mann geliebt hat«, antwortete Kriemhild voller Ernst, und obwohl Hagen noch immer mehr das Kind als die Frau in ihr sah, war es ihm unmöglich, ihr zu widersprechen. »Ihr habt mich an meinen Traum erinnert, Ohm Hagen«, fuhr sie fort. »An den Falken, den ich sah. Bitte helft mir, daß er niemals Wahrheit werden muß. Wenn Siegfried etwas zustieße, dann wollte auch ich nicht mehr leben.«

»Jetzt übertreibst du«, murmelte Hagen. Er fühlte sich hilflos, hilflos und verwirrt. Wieder spürte er Zorn, aber diesmal auf sich selbst »Sprich nicht so leichtfertig vom Tod«, sagte er. »Niemand wird sterben, weder Siegfried noch du.« »Versprichst du mir das?«

»Ich... verspreche es«, sagte Hagen stockend. Irgend etwas sagte ihm, daß er im Begriff stand, einen Fehler zu begehen, daß er zum ersten Mal in seinem Leben ein Versprechen gab, das er vielleicht nicht würde halten können.

13

Am Morgen des dritten Tages trafen sie mit Ortwein zusammen. Als dieser aufgebrochen war, um die beiden Boten bis an die Grenzen des Reiches zu geleiten, hatte er ein Dutzend Reiter bei sich gehabt, jetzt überstieg die Zahl der Männer, die mit ihm ritten, die Hundert. Ortwein war, nachdem er seinen Auftrag ausgeführt hatte, nicht sofort zurückgeritten, um sich mit dem Heer zu vereinen, sondern hatte seine Reiter ausschwärmen lassen, um Männer und Schwerter für den Feldzug gegen Lüdegast anzuwerben. Und er hatte Erfolg gehabt. Viele hatten sich ihm angeschlossen, verzaubert vom Klang des Namens Siegfried oder weil sie ahnten, daß Lüdegasts Scharen jedenfalls kommen würden und sie dem Krieg so oder so nicht ausweichen konnten. Weitere drei Tage lang ritten sie nach Norden, über die Grenzen Burgunds hinaus und tief in das Land der Hessen hinein, und ihre Zahl stieg erst auf zwölf-, dann auf dreizehnhundert. Aber sie kamen auch immer langsamer voran. Der Winter hatte sich wohl entschlossen, noch einmal zurückzukehren. Es wurde ständig kälter, und am Mittag des vierten Tages begann es zu schneien und hörte nicht mehr auf, bis sie auf das dänische Heer stießen. Am siebenten Tage ihres Rittes, der als stolzer Heereszug begonnen hatte und mittlerweile zu einem mühevollen Dahinschleppen geworden war, mehrten sich die Zeichen, daß in dem Land, in dem sie sich befanden, der Krieg herrschte. Viele der Gehöfte und einsam daliegenden Häuser, an denen sie vorbeikamen, waren leer, verlassen von ihren Bewohnern, die Hab und Gut zurückgelassen hatten, um das nackte Leben zu retten. Und am Morgen des achten Tages trafen sie auf die ersten Dänen. Hagen, sein Bruder Dankwart, Siegfried selbst und ein halbes Dutzend seiner Nibelungenreiter hatten sich vom Haupttrupp gelöst und waren ein Stück vorausgeritten, um die Umgebung zu erkunden und nach feindlichen Spähern Ausschau zu halten. Ein Heer von solcher Größe wie das ihre konnte sich nicht lautlos durch den Wald schleichen, aber Siegfrieds ganzer Plan beruhte darauf, daß es gelang, Lüdegast zu überraschen. Ein einziger feindlicher Späher, der die Kunde von ihrem Kommen ins Lager der Dänen trug, konnte das Scheitern des Planes und ihren Untergang bedeuten. Sie hatten einen schmalen Streifen Wald durchquert und waren am Rande einer langgestreckten, sichelförmigen Lichtung angelangt, als Siegfried plötzlich die Hand hob und sein Pferd zum Stehen brachte. Schweigend deutete er voraus.

Angestrengt blickte Hagen in die Richtung. Am gegenüberliegenden Rand der Lichtung lag eine strohgedeckte Hütte, aus der sich Rauch kräuselte. Hagen lauschte und glaubte außer den Atemzügen der Tiere und den Lauten des Waldes auch Stimmen zu vernehmen. »Da sind Pferde«, flüsterte Siegfried. »Dänen?«

Hagen zuckte die Achseln. Er sah die Pferde auch; acht oder zehn, die hinter dem Haus angebunden waren, aber durch die dichtfallenden weißen Schwaden waren sie nichts als verschwommene Umrisse, deren Sattelzeug nicht zu erkennen war. »Vielleicht«, murmelte er. »Wahrscheinlich sogar. Besser, wir nehmen es an. Wenigstens bis wir uns vom Gegenteil überzeugt haben.«

Einer der Krieger in Siegfrieds Begleitung wollte losreiten, aber der Xantener rief ihn mit einem gedämpften Befehl in einer Hagen unverständlichen Sprache zurück. »Wartet«, sagte er nachdenklich. »Wenn es Dänen sind und nur ein einziger von ihnen entkommt, dann ist alles verloren. Wir müssen vorsichtig sein.« Er drehte sich halb im Sattel um und wandte sich an Dankwart. »Dankwart - Ihr nehmt die Hälfte der Männer und umgeht die Lichtung. Hagen und ich werden warten, bis Ihr in ihrem Rücken seid. Wenn es Dänen sind, dann wißt Ihr, was zu tun ist.« Er sprach nicht aus, was er meinte, aber sie wußten es alle. Dankwart nickte. Keinem von ihnen gefiel der Gedanke, aber sie hatten weder genug Männer noch Zeit, sich mit Gefangenen abzugeben. Jedes Schwert, das zur Bewachung eines Gefangenen diente, würde ihnen in der Schlacht bitter fehlen.

»Gebt uns ein Zeichen, wenn Ihr bereit seid«, sagte Siegfried. Dankwart nickte erneut, zwang sein Pferd auf der Stelle herum und wandte sich nach rechts. Vier von Siegfrieds Reitern folgten ihm; die beiden anderen blieben bei Hagen und ihrem Herrn zurück. Die Zeit schien dahinzukriechen, während sie auf Dankwarts Zeichen warteten. Hagen blickte aufmerksam zu der kleinen Hütte am anderen Ende der verschneiten Lichtung hinüber. Er war ziemlich sicher, daß es Dänen waren - aber wenn, was taten sie dann hier, so weit von ihrem Heer entfernt? Natürlich würde der Dänenkönig Späher aussenden, genau wie sie - aber so viele und so weit voraus? Siegfried schien die gleichen Überlegungen anzustellen. »Es scheint, als wären wir Lüdegast näher, als wir angenommen haben«, murmelte er. Hagen schwieg. Sie harten keine Zeit gehabt, den genauen Standort von Lüdegasts Heer auszukundschaften, sondern mußten sich auf das verlassen, was ihnen ihre Sinne und ihr Verstand sagten. Nicht mehr als Mutmaßungen, überlegte Hagen. Es war durchaus möglich, daß sie sich um ein bis zwei Tage verschätzten. Und es konnte auch sein, daß sich das Heer der Dänen ihnen entgegenbewegte.

»Wir müssen einen von ihnen gefangennehmen«, spann Siegfried seinen Gedanken fort, mehr für sich selbst als zu Hagen gewandt. »Es wäre dumm, unversehens Lüdegasts ganzem Heer gegenüberzustehen.« Vom anderen Ende der Lichtung ertönte ein Vogelruf, und Siegfried richtete sich augenblicklich im Sattel auf. Dankwarts Zeichen. Sie sprengten los.

Ihre Pferde brachen mit einem einzigen, gewaltigen Satz aus dem Unterholz und jagten mit weit ausgreifenden Hufen auf die Hütte zu; gleichzeitig teilte sich das verschneite Grün auf der anderen Seite, und Dankwart und zwei seiner Begleiter galoppierten auf die Lichtung heraus. Alles ging unglaublich schnell und beinahe lautlos vor sich - und trotzdem nicht schnell genug.

Die Tür der Hütte flog auf, als sie die halbe Strecke zurückgelegt hatten. Eine Gestalt trat ins Freie, erstarrte für die Dauer eines Atemzuges und stieß einen erschrockenen Ruf aus. Alles schien gleichzeitig zu geschehen: Hagen zog sein Schwert und beugte sich im Sattel vor, gleichzeitig sah er aus den Augenwinkeln, wie Siegfried seinen Schild hochriß und den Speer aus dem Steigbügel löste. Die Gestalt unter der Tür trat einen Schritt zur Seite und zog ein Schwert unter dem Mantel hervor, und Siegfried schleuderte seinen Speer.

Hagen hatte noch nie einen Wurf von solcher Kraft gesehen. Der Speer schien sich, von Siegfrieds Hand geschleudert, in einen flitzenden Schatten zu verwandeln und wie ein schwarzer Blitz auf den Dänen zuzufahren. Der Mann versuchte eine Armbewegung zu machen und gleichzeitig zur Seite zu springen, aber beides kam zu spät. Siegfrieds Speer traf seine Brust, zerschmetterte seinen ledernen Harnisch und nagelte ihn regelrecht an die Wand. Für einen Moment war noch Leben in ihm; er schrie, ließ sein Schwert fallen und zerrte mit beiden Händen an dem Speer, der aus seiner Brust ragte. Dann erschlaffte er. Sein Kopf fiel zur Seite, aber sein Körper stand, in grotesker, halb aufrechter Haltung, noch immer gegen das Haus gelehnt, nur von der Waffe gehalten, die ihm das Leben genommen hatte. Der Schnee zu seinen Füßen begann sich rot zu färben. In seinem weiten, buntbestickten Mantel sah er aus wie ein seltsamer Schmetterling.