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»Nein«, antwortete Hagen ernst. »Aber ich habe Siegfried im Kampf erlebt. Ihn und seine Nibelungenreiter.« »Das haben wir alle«, antwortete Gernot. »Mehr als einmal.« »Das ist nicht dasselbe, Gernot«, unterbrach ihn Hagen. »Wir reiten nicht zum Zeitvertreib in einen ritterlichen Zweikampf, wie wir ihn in Worms abhalten, sondern in die Schlacht. Fragt Dankwart, wenn Ihr an meinen Worten zweifelt, Gernot. Keiner von uns hat diesen Mann jemals wirklich kämpfen sehen, bis heute.«

Gernot schwieg. Sein Gesicht war ausdruckslos, aber Hagen wußte, daß Gernot - wenn überhaupt jemand, dann er - verstand, was er mit seinen Worten meinte. Es hatte nichts mit seinen persönlichen Gefühlen gegenüber Siegfried zu tun.

»Ich werde es versuchen«, sagte Gernot schließlich. »Aber ich kann es Euch nicht versprechen, Hagen. Ihr kennt Giselher.« »Leider nur zu gut«, antwortete Hagen. »Aber mit etwas Glück wird es keinen langen Kampf geben...«

Der Blick, den Gernot und Hagen tauschten, sagte, daß sie beide dasselbe dachten. Siegfrieds Plan war ihre einzige Möglichkeit, aber der Waffengang, der ihnen bevorstand, hatte nichts mit ritterlichem Kräftemessen zu tun, nicht einmal mit ehrlichem Kampf. Einen solchen konnten sie sich nicht leisten. Sie standen einer gegen drei oder vier oder auch fünf, die Meinungen gingen hierin auseinander. Trotzdem, was sie vorhatten, war wenig besser als gemeiner Mord; ein Überfall aus dem Hinterhalt, bei dem sie über ein Heer schlafender Feinde herfallen würden, um sie zu erschlagen. Aber sie hatten keine Wahl. Nach einer Weile wandte sich Gernot schweigend um und verließ das Zelt. Es gab nichts mehr zu sagen. Hagen ging zum westlichen Ende des Lagers hinüber, wo ihre Pferde abgestellt waren. Mit der Dämmerung brach eine neue Welle eisiger Kälte über das Lager herein, die die Männer sich schneller bewegen und lauter sprechen ließ, als notwendig gewesen wäre. Trotzdem fühlte sich Hagen inmitten des Aufbruchs auf bedrückende Weise allein; ausgeschlossen. Vielleicht, weil er trotz allem nicht dazugehörte, weil diese Männer Fremde für ihn waren und es ewig bleiben würden. Hagen wußte, daß auch Grimward, der schweigsame Langobarde, mit dem er mehr als einmal geritten war, unter ihnen war und ihn vielleicht gerade jetzt aus der Dunkelheit heraus beobachtete; aber er wußte auch, daß er ihn niemals ansprechen würde, nicht jetzt, wo sie nicht mehr zwölf, sondern mehr als zwölfhundert waren und wo er selbst Teil dieser gewaltigen gehorsamen Masse geworden war, aufgesogen von jenem Etwas, das eigentlich gar nicht mehr aus Menschen, sondern nur aus Schwertern und Schilden und Speeren bestand - und Leibern, um diese Waffen zu führen.

Dankwart erwartete ihn bei den Pferden. Es waren andere Tiere als die, die sie am Nachmittag geritten hatten, und auf ihren Rücken lagen frische Decken, soweit er das im rasch abnehmenden licht der Dämmerung erkennen konnte; leuchtend in den Farben Burgunds, und auch Dankwart hatte seinen braunen Mantel gegen den blutroten Umhang der burgundischen Reiterei getauscht.

Hagens Bruder war schweigsam wie immer, und als einzigem war ihm keine Erregung oder sonst irgendein Gefühl anzumerken. Nur seine Bewegungen schienen ein wenig abgehackter als sonst, aber das mochte auch an der Kälte liegen. Das erste, was Siegfried nach ihrer Rückkehr befohlen hatte, war, alle Feuer zu löschen, und die Kälte war wie ein Raubtier über das Lager und die schutzlosen Männer hergefallen. Vielleicht war es sogar gut, daß sie weiterritten. Es konnte sein, daß einige nicht mehr aufstanden, wenn sie sie im Schnee übernachten ließen. »Wurfspeer oder Lanze?« fragte Dankwart.

Hagen merkte erst jetzt, daß Dankwart nicht nur die Pferde frisch gesattelt, sondern auch schon die Waffen bereitgelegt hatte; den gewaltigen, leicht gebogenen Schild in der für Gunthers Leibwache typischen dreieckigen Form, einen kurzstieligen Morgenstern, den er am Sattel befestigen würde, um eine Ersatzwaffe zu haben, sollte sein Schwert zerbrechen oder ihm aus der Hand geschlagen werden, und die Lanzen. Hagen überlegte. Es war nicht von der Hand zu weisen, daß er neben seinem Schwert, von dem er sich niemals trennte, noch eine zweite, weiter reichende Waffe brauchte. Eine Tunierlanze erschien ihm kaum passend für einen Überfall, wie sie ihn planten. Sicher - ihre enorme Länge und die ungeheure Wucht ihres Stoßes machte sie zu einer fürchterlichen Waffe, gegen die ein ungeschützter Reiter oder gar ein Mann zu Fuß praktisch hilflos war. Aber sie zerbrach leicht, und ihre Länge und ihr Gewicht ließen sie rasch zu einer Behinderung werden, wenn es zum Nahkampf kam. Und der kleinere und handlichere Ger? Hagen sah, ohne es zu wollen, ein Bild vor sich: das Bild eines Mannes, der von einem geschleuderten Speer an die Wand einer kleinen Hütte genagelt worden war. Bei dem Gedanken, eine solche Waffe zu führen, sträubte sich etwas in ihm. Vielleicht würde er sie nie wieder benutzen können, ohne dieses Bild vor sich zu sehen.

»Keines von beiden«, sagte er. »Einen Bogen. Oder besser gleich zwanzig.«

Dankwart sah ihn verwirrt an. »Du meinst...«

»Tu mir einen Gefallen, Dankwart«, unterbrach ihn Hagen. »Es gibt einen Langobarden unter den Reitern. Sein Name ist Grimward - du kennst ihn. Ich bin schon öfter mit ihm geritten.« Dankwart nickte, und Hagen fuhr fort: »Suche ihn und richte ihm aus, daß ich seinen und die zwanzig treffsichersten Bögen brauche, die er weiß.« Dankwart nickte wieder, aber seine Verwirrung wuchs. »Tu es«, bat Hagen noch einmal. »Und wenn du ihn gefunden hast, dann komm mit ihm und seinen Männern hierher. Und ...« er zögerte merklich, »sieh zu, daß niemand etwas davon merkt. Vor allem Siegfried nicht.« »Siegfried?«

Hagen lächelte. »Keine Sorge, Dankwart. Grimwards Pfeile sind nicht für Siegfrieds Rücken bestimmt. Geh. Ich erkläre dir alles, wenn ihr zurück seid.«

Dankwart zuckte mit den Achseln und ging. Hagen sah ihm nach, bis seine Gestalt mit den Schatten der anderen verschmolzen war. »Bravo, Tronjer«, sagte eine dünne Fistelstimme hinter ihm. Hagen drehte sich um und gewahrte den Zwerg in einem zerschlissenen Mantel. »Bravo«, wiederholte Alberich spöttisch. Er hob die Arme unter dem Umhang hervor und tat so, als klatsche er in die Hände. »Wie ich sehe, hältst du deine Versprechen. Du bist wirklich ein Mann von Ehre.« Hagen starrte ihn finster an.

»Keine Sorge, Dankwart«, äffte der Zwerg Hagen nach. »Grimwards Pfeile sind nicht für Siegfrieds Rücken bestimmt.« Er lachte meckernd und spuckte aus. »Natürlich sind sie das, bloß anders, als dir lieb ist«, behauptete er. »Du spielst den Schutzgeist, wie? Gib nur acht, daß Siegfried nichts davon merkt. Er könnte es übelnehmen.« »Wovon sprichst du überhaupt?« fragte Hagen zornig. »Spiel nicht den Dummen«, sagte Alberich. »Glaubst du, ich wüßte nichts von dem närrischen Versprechen, das du Kriemhild gegeben hast? Wie sehr muß es dich schmerzen, ausgerechnet Siegfried beschützen zu müssen. Armer Hagen.«

Hagens Hände zuckten. »Du hast uns belauscht«, zischte er. »Aber natürlich. Dazu bin ich doch da«, antwortete Alberich kichernd. »Hast du schon vergessen, daß du selbst mich vor ein paar Tagen zum Spionieren ausgeschickt hast? Aber keine Sorge«, fügte er hämisch hinzu. »Ich behalte euer kleines Geheimnis für mich.«

»Irgendwann drehe ich dir doch den dürren Hals um«, versprach Hagen. Aber Alberich kicherte bloß. »Warum bist du so zornig?« fragte er. »Jeder tut nur das, was er am besten kann. Der eine läuft herum und erschlägt Leute, der andere spioniert Geheimnisse aus.«

»Ich frage mich, auf wessen Seite du überhaupt stehst«, murmelte Hagen. Wieder kicherte Alberich. »Vielleicht auf meiner?« »Und was verstehst du darunter?«

»Du bist langweilig, Hagen«, sagte Alberich. »Fragen, Fragen, Fragen. Warum gibst du nicht ab und zu ein paar Antworten?« Er kam plötzlich zur Sache. »Aber ich bin nicht hier, um mit dir zu streiten, auch wenn ich zugeben muß, daß es anfängt, mir Spaß zu machen.« »Weshalb dann?«