Выбрать главу

»Und doch habt Ihr zu Kriemhild gesagt, Ihr würdet mich töten, wenn...«

Hagen verhielt sein Pferd mit einem harten Ruck, so daß das Tier erschrocken schnaubte und zu tänzeln begann. »Ihr habt euch also wiedergesehen?«

»Natürlich«, antwortete Siegfried ungerührt und zügelte ebenfalls sein Pferd. »Sie hat mir von eurer Abmachung erzählt. Ihr wißt also alles, Hagen. Was wir getan haben, war nicht sehr klug. Wir hätten uns nicht wie Diebe aus dem Haus schleichen und heimlich treffen sollen.« »Diese Einsicht kommt ein wenig spät, nicht? Immerhin habt ihr dabei nicht weniger als euren Kopf aufs Spiel gesetzt.« »Und doch war es gut so«, fuhr Siegfried fort. »Ich will Euch nicht belügen, Hagen. Ich kam nach Worms, um es zu erobern...« »Und als Ihr gemerkt habt, daß dieser Bissen zu groß für Euch ist und Ihr daran ersticken könntet, habt Ihr Euch an Kriemhild herangemacht, um Burgunds Thron zu heiraten«, stellte Hagen nüchtern fest. »Ich leugne es nicht«, erwiderte Siegfried ruhig. »Ich gebe zu, daß ich so ähnlich gedacht habe - wenn auch nicht ganz so. Aber dann habe ich Kriemhild gesehen. Ich liebe sie, Hagen. Und wenn ich jetzt hier bin, dann, um sie zu verteidigen. Nicht Burgund oder Gunther.« Seine Hand legte sich wie von selbst auf den Schwertgriff.

Hagen spürte, daß Siegfried die Wahrheit sprach. »Und was erwartet Ihr nun von mir?« fragte er. »Eine einfache Antwort auf eine einfache Frage«, sagte Siegfried. »Ich werde um Kriemhilds Hand anhalten, sobald wir zurück sind. Werdet Ihr Euch uns in den Weg stellen?«

Lang sahen sie sich an, ein stummes Duell, das keiner zu verlieren bereit war. »Nein«, sagte Hagen schließlich. »Ich weiß, daß Kriemhild Euch liebt. Und ich bin der letzte, der sich ihrem Glück in den Weg stellen würde. Wenn Ihr ehrlich seid und ihre Gefühle wirklich erwidert, dann werde ich schweigen. Doch lügt Ihr, Siegfried, und tut Ihr Kriemhild nur ein einziges Mal weh, dann töte ich Euch.«

»Das war es, was ich wissen wollte«, sagte Siegfried. Seine Hand löste sich vom Griff des Balmung. »Dann werdet Ihr unserer Hochzeit zustimmen.«

»Ich werde nicht dagegen stimmen«, sagte Hagen. »Das genügt nicht«, erwiderte Siegfried aufgebracht. »Jedermann weiß, Hagen, daß Ihr der wahre Herr von Burgund seid. Gunther ist ein Schwächling, den einzig Euer Arm all die Jahre auf dem Thron gehalten hat. Es gibt keine Entscheidung, vor der er nicht Euren Rat einholen würde.«

Hagen erschrak. War es wirklich so, wie Siegfried behauptete? Ihm selbst war der Gedanke in all den Jahren nie gekommen, und doch wußte er im selben Moment, daß Siegfried recht hatte. Jedenfalls in den Augen der anderen. Ist es das, was ich Gunther angetan habe? fragte er sich. Hatte er Gunther durch seine Freundschaft und Treue vollends zum Schwächling gemacht, statt ihm zu helfen? »Ich bin nicht der Herr Burgunds«, sagte Hagen bestimmt. »Ich bin nur Gunthers Waffenmeister, mehr nicht. Fragt Gunther, wenn Ihr seine Schwester zur Frau nehmen wollt, nicht mich. Meine Antwort kennt Ihr.« Er riß sein Pferd herum. Siegfried wollte ihn zurückhalten, aber Hagen schlug seine Hand beiseite und sprengte los, zurück zum Heer und zum Lager.

16

Es war der Morgen der Schlacht. Der Schnee war die ganze Nacht hindurch gefallen, nicht sehr dicht, aber beständig, so daß die Pferde jetzt bis weit über die Fesseln in dem weißen Teppich versanken, und hinter dem Vorhang aus sanft fallenden Flocken wirkte das Heer unwirklich und geisterhaft Siegfrieds Nibelungenreiter, er selbst und Hagen hatten sich an die Spitze des Zuges gesetzt und ritten ein Stück voraus. Der Morgen dämmerte. Der Himmel im Osten begann sich grau zu färben, und wären nicht die Bäume auf dem Hügel vor ihnen gewesen, hätten sie jetzt schon den Schein der Lagerfeuer sehen müssen. Das dänische Heer war nur noch durch einen Hügel und einen Streifen Wald, den ein Läufer in wenigen Minuten durchqueren konnte, von ihnen getrennt. Ihre Kundschafter waren zurückgekommen und wieder ausgeschwärmt, um ihrerseits nach dänischen Spähern Ausschau zu halten, und das Tempo ihres Vorrückens hatte sich im gleichen Maße verlangsamt in dem sie sich dem feindlichen Lager näherten. Die Dunkelheit und der Schnee schützten sie, machten sie unsichtbar und verschluckten alle Geräusche. Sie waren zwölfhundert Mann, und trotzdem hätten sie dicht am Lager der Dänen vorüberziehen können, ohne vom schlafenden Feind bemerkt zu werden. Die Männer hatten auf Siegfrieds Geheiß alles Metall mit Stoff umwickelt, damit kein unbedachter Laut sie verriet Eine Armee von Schattenwesen, gespenstisch, lautlos, die die Nacht ausgespien hatte, die Lebenden zu verderben und in ihr finsteres Reich hinabzuzerren... Hagen versuchte diese beklemmende Vorstellung abzuschütteln, aber es gelang ihm nicht Vielleicht lag es an Siegfrieds Begleitern, jenen zwölf riesenhaften Gestalten, die ihn und den Nibelungenherrscher in weitem Kreis umgaben, daß ihm so sonderbare Gedanken kamen. Jene hatten sich verändert, seit sie Worms verlassen hatten. In der Stadt waren sie schweigsam und düster gewesen, hier draußen, in der Nacht und im Angesicht des Feindes, waren sie bedrohlich geworden; als hätten sie ihre Tarnung abgelegt und wieder ihr wahres Wesen angenommen. Der Wald zog sich wie ein schwarzes Band um die Kuppe des Hügels und hörte auf der Höhe des Kammes auf, eine harte, gerade Linie, an der sich die Schwärze der Nacht vom dämmernden Morgen schied. »Es wird bald hell«, murmelte Hagen. »Zu rasch. Lüdegast wird Wachen am Rand des Waldes postiert haben. Es sei denn, er wäre ein Narr.«

»Das ist er nicht«, antwortete Siegfried. »Natürlich hat er welche aufgestellt.« Er wandte sich an den Reiter an seiner Seite. »Wie viele?« Der Mann wandte flüchtig den Kopf. »Acht, Herr«, sagte er. »Dazu noch zwei, die von Osten kamen und über den Hügel wollten.« Hagen sah fragend zwischen dem Reiter und Siegfried hin und her. Sie waren fast die ganze Nacht zusammen gewesen, und keiner von Siegfrieds Männern hatte sich für längere Zeit entfernt. Siegfried bemerkte Hagens Verwunderung. »Auch ich bin kein Narr, Hagen«, sagte er halblaut. »Aber Ihr habt recht - es wird hell. Wir müssen uns beeilen, wenn wir rechtzeitig dort sein wollen, um ihnen den Morgengruß zu entbieten.« Er überlegte einen Moment und wandte sich dann wieder an den Reiter zu seiner Linken. »Reite zurück und sage Gernot, daß er das Tempo des Heeres beschleunigen soll. Wenn es hell wird, müssen wir den Hügel überschritten haben. Ich reite mit meinen Männern voraus, falls Lüdegast auf den Gedanken kommen sollte, im letzten Moment seine Wachen abzulösen.« Er wandte sich an Hagen. »Begleitet Ihr uns?«

Hagen nickte nach kurzem Zögern. Der Streifen Wald dort oben bereitete ihm ernsthafte Sorgen. Er würde das Heer tarnen und ihnen vielleicht im letzten Moment Deckung bieten, aber er war auch dicht genug, Hunderte von neugierigen Augenpaaren zu verbergen. Spätestens in dem Augenblick, wo sie die weite, ungeschützte Flanke des Hügels hinaufzureiten begannen, mußte der Feind sie erspähen. Undenkbar, daß Siegfrieds Männer alle Wachen aufgespürt und unschädlich gemacht haben sollten. Und doch schien der Xantener davon fest überzeugt zu sein. »Was ist, Hagen?« fragte Siegfried, als er Hagens Zögern bemerkte. »Ihr seht besorgt aus. Bisher ist doch alles nach Plan gelaufen.« »Vielleicht ist es gerade das, was mir zu denken gibt«, murmelte Hagen. »Ich verstehe nicht, wie wir unbemerkt so dicht an das feindliche Lager herankommen konnten.«