«Geht in Ordnung. Sonst noch was?«
«Nein. «Ich überlegte kurz.»Chico, hör mal, hattest du den Eindruck, daß Paddy Young die Erkrankung der Pferde irgendwie seltsam fand?«
«Kann ich eigentlich nicht sagen. Schien ihm relativ egal zu sein. Ich hab ihn nur so ganz beiläufig gefragt, wo sie denn hingekommen seien, und er erzählte es mir und gab den Rest einfach so dazu. Man könnte vielleicht sagen, daß er das alles eher philosophisch sieht.«
«Na schön«, sagte ich,»dann also erst einmal vielen Dank.«
Wir legten auf, und schon eine Stunde später rief er mich erneut an, um mitzuteilen, daß Brothersmith tatsächlich George Caspars Tierarzt war, und mir seine Adresse durchzugeben.
«Wenn das alles ist, Sid… also, in ungefähr einer halben Stunde fährt ein Zug, und irgendwo in der Gegend von Wembley wartet eine muntere Mieze auf mich, der ich den Samstagabend verderbe, wenn ich nicht rechtzeitig da bin.«
Je länger ich über Chicos Bericht und Bobby Unwins Bemerkungen nachdachte, desto weniger einleuchtend erschien mir Rosemarys Verdacht. Aber ich hatte ihr nun mal versprochen, der Sache nachzugehen, und das würde ich eben noch ein Weilchen tun. Zumindest so lange, wie ich benötigte, um das Schicksal von >Bethesda<, >Gleaner< und >Zingaloo< zu klären und mit Brothersmith, dem Tierarzt, zu sprechen.
Aynsfords gereifte Sandsteinschönheit war unverändert, aber die narzissengesprenkelte Ruhe, die herrschte nur draußen vor dem Haus. Ich brachte das Auto zum Stehen und wünschte, ich müßte nicht hineingehen.
Als spüre er, daß ich noch in diesem Augenblick wieder umkehren und davonfahren könnte, kam Charles eilends aus dem Haus und über den Kiesweg auf mich zu. Er hatte nach mir Ausschau gehalten, dachte ich. Gewartet. Gewollt, daß ich komme.
«Sid«, sagte er, öffnete die Fahrertür und beugte sich lächelnd herab.»Wußte doch, daß du kommen würdest.«
«Du hast’s gehofft«, sagte ich.
Ich stieg aus.
«Also gut. «Das Lächeln verschwand nicht aus seinen Augen.
«Gehofft. Aber ich kenne dich doch auch.«
Ich blickte am Haus empor und sah nur leere Fenster, in denen sich ein grauer Himmel spiegelte.
«Ist sie da?«erkundigte ich mich.
Er nickte. Ich drehte mich um, ging zum Kofferraum und holte meinen Koffer heraus.
«Na los«, sagte ich,»bringen wir’s hinter uns.«
«Sie ist ziemlich durcheinander«, sagte er, neben mir auf das Haus zugehend.»Sie braucht dein Verständnis.«
Ich sah ihn an und sagte:»Hm. «Wir beendeten unseren kurzen Gang schweigend und betraten das Haus.
Jenny war da, stand im Flur.
Ich hatte mich noch immer nicht an den Schmerz gewöhnt, der mich jedesmal durchzuckte, wenn ich sie wiedersah, was allerdings seit unserer Trennung nicht sehr häufig der Fall gewesen war. Ich sah sie stets so, wie ich sie am Anfang unserer Beziehung gesehen hatte — ein Mädchen von nicht eben klassischer Schönheit, aber doch sehr hübsch mit dem braungelockten Haar, der sehr ansprechenden Figur und der ganz eigenen Art, den Kopf erhoben zu halten wie ein Vogel, der wachsam um sich blickt. Das Lächeln auf ihren leicht geschwungenen Lippen und die Wärme in ihrem Blick waren dahin, aber ich erwartete noch immer mit hoffnungsloser Nostalgie, daß beides wieder erscheinen würde.
«Da bist du also doch gekommen«, sagte sie.»Ich wollte es einfach nicht glauben.«
Ich stellte den Koffer ab und holte — wie immer — tief Luft.»Es war Charles’ Wunsch«, sagte ich. Ich ging die paar Schritte auf sie zu, und wir küßten uns — wie immer — flüchtig auf die Wange. Wir hatten diese Angewohnheit beibehalten — als äußeres, allen sichtbares Zeichen einer zivilisierten Trennung. Insgeheim aber kam es mir eher vor wie das Begrüßungsritual vor einem Duell.
Charles schüttelte angesichts des offensichtlichen Mangels an echter Zuneigung ungeduldig den Kopf und ging uns ins Wohnzimmer voran. Er hatte in der Vergangenheit alles getan, uns zusammenzuhalten, aber der Kitt, der Eheleute verbindet, muß nun mal von innen kommen — und unserer war spröde geworden und zerbröselt.
Jenny sagte:»Was diese gräßliche Geschichte anbetrifft, so möchte ich keine schulmeisterlichen Belehrungen von dir hören, Sid.«
«Nein.«
«Du bist auch nicht vollkommen, auch wenn du dir das gern einredest.«
«Laß es gut sein, Jenny«, sagte ich.
Ganz abrupt schritt sie ins Wohnzimmer davon, und ich folgte ihr langsam. Sie würde mich einmal mehr benutzen und dann wieder fallenlassen, dachte ich, und um Charles’ willen würde ich mitspielen. Es überraschte mich, daß ich nicht den geringsten Wunsch verspürte, sie zu trösten. Es hatte ganz den Anschein, als sei die Verbitterung doch noch stärker als das Mitgefühl.
Sie und Charles waren nicht allein. Als ich das Wohnzimmer betrat, hatte sie es schon durchquert und stand nun neben einem großgewachsenen, blonden Mann, dem ich schon begegnet war. Und neben Charles stand ein Fremder, ein untersetzter, altersloser Mensch mit dem rosigen Gesicht des Landbewohners, das allerdings so gar nicht zu dem harten Blick seiner Augen passen wollte.
Charles sagte mit größtmöglicher Verbindlichkeit:»Du kennst Toby, nicht wahr, Sid?«, und Jennys Schutz und Schirm und ich nickten einander zu, wobei wir beide das schwächliche Lächeln einer Bekanntschaft hervorbrachten, auf die wir nur zu gern verzichtet hätten.»Und das, Sid, ist mein Anwalt Oliver Quayle, extra vom Golfplatz hergekommen. Sehr nett von ihm.«
«Sie sind also Sid Halley«, sagte der alterslose Mann und reichte mir die Hand. Seine Stimme verriet nichts, aber sein Blick glitt an mir hinunter und zur Seite, versuchte, die halb verborgene Hand zu erspähen, was mir verriet, daß er im Bilde war. Ich erlebte das sehr häufig. Quayle blickte mir wieder in die Augen — und sah, daß ich wußte, was ihn bewegt hatte. Seine unteren Augenlider zuckten kaum wahrnehmbar, das war alles. Beide Seiten hatten ihr Urteil ausgesetzt, dachte ich.
Charles’ Mund verzog sich ein wenig, als er begütigend meinte:»Ich habe Sie ja gewarnt, Oliver. Wenn Sie nicht wollen, daß er Ihre Gedanken errät, dürfen Sie mit keiner Wimper zucken.«
«So wie du«, sagte ich zu ihm.
«Ich habe diese Lektion ja auch schon vor Jahren gelernt.«
Er lud uns zum Sitzen ein, und wir ließen uns alle fünf in bequemen, mit blaßgoldenem Brokat bezogenen Sesseln nieder.
«Ich habe Oliver gesagt«, fuhr Charles nun fort,»daß, wenn überhaupt jemand, nur du diesen Nicholas Ashe finden kannst.«
«Ist schon wahnsinnig praktisch«, sagte Toby gedehnt,»einen Klempner in der Familie zu haben, wenn man einen Rohrbruch hat.«
Das war schon beinahe eine Beleidigung, aber ich entschied auf Zweifelsfall und somit zugunsten des Beklagten, obwohl ich eigentlich nicht den geringsten Zweifel hatte. Dann fragte ich niemand Bestimmten, ob die Polizei das nicht viel schneller bewerkstelligen könne.
«Das Problem ist«, sagte Quayle,»daß es rein rechtlich gesehen allein Jenny ist, die unter Vorspiegelung falscher Tatbestände anderen Leuten Geld abgeknöpft hat. Die Polizei hat sich unsere Geschichte natürlich angehört, und der leitende Beamte scheint Jenny bemerkenswert gewogen zu sein, aber. «Er zuckte langsam mit den schweren Schultern — und dies in geschickter Weise so, daß sich in seiner Geste Anteilnahme und Resignation miteinander verbanden,»… es ist anzunehmen, daß sich die Polizei im Endeffekt lieber an das hält, was sie in Händen hat.«
«Aber dieser Ashe hat das doch alles ausgeheckt«, protestierte Toby.
«Können Sie das beweisen?«fragte Quayle.
«Fragt doch Jenny«, erwiderte Toby, als sei Jennys Aussage Beweis genug.
Quayle schüttelte den Kopf.»Wie ich schon zu Charles gesagt habe, lassen alle von ihr unterzeichneten Schriftstücke den Schluß zu, daß sie von dem betrügerischen Charakter der ganzen Unternehmung gewußt hat. Und Unwissenheit schützt nun mal, selbst wenn sie echt ist, kaum oder gar nicht vor Strafe.«