«Einmal angenommen, ich fände ihn«, sagte ich.»Was wollen Sie denn machen, wenn gar keine Beweise gegen ihn vorliegen?«
Quayle blickte aufmerksam in meine Richtung.»Ich hoffe doch, daß Sie, wenn Sie ihn finden, auch entsprechendes Beweismaterial entdecken.«
Jenny setzte sich gerader als gerade auf und sagte mit einer Stimme, die vielleicht vor Angst, mit Sicherheit aber vor Wut scharf klang:»Das ist doch alles Blödsinn, Sid. Warum sagst du nicht gerade heraus, daß du dem Job nicht gewachsen bist?«
«Das weiß ich doch noch gar nicht.«
«Es geht einem wirklich zu Herzen«, sagte sie, an Quayle gewandt,»wie er, seit er diese Behinderung hat, dauernd beweisen muß, daß er ein ganz Schlauer ist.«
Der Spott in ihrer Stimme verursachte Quayle und Charles sichtliches Unbehagen, und ich dachte traurig, daß ich das wohl in ihr zum Vorschein gebracht hatte — dieses geradezu zwanghafte Bedürfnis zu verletzen. Viel mehr als ihre Worte ging mir nahe, daß sie Quayle gegenüber nicht der fröhliche Mensch sein konnte, der sie nach wie vor sein würde, wenn ich nicht dabei wäre.
«Sollte ich Nicholas Ashe finden«, sagte ich grimmig,»werde ich ihn an Jenny ausliefern. Armer Kerl.«
Keiner der Anwesenden fand das sonderlich passend. Quayle sah desillusioniert aus, Toby ließ erkennen, daß er mich verachtete, und Charles schüttelte bekümmert das Haupt. Nur Jenny war unbeschadet ihrer Verärgerung insgeheim befriedigt. Es gelang ihr inzwischen nur noch selten, mich zu einer Reaktion auf ihre Kränkungen zu provozieren, und sie rechnete es sich wohl als Sieg an, daß ich diesmal schwach geworden war — und mir nichts als Mißbilligung eingehandelt hatte. Meine eigene Schuld. Es gab nur eine Möglichkeit, sie nicht sehen zu lassen, daß ihre Stiche saßen, nämlich zu lächeln… aber der Gegenstand unseres Gesprächs war nun mal nicht im geringsten komisch.
Etwas ruhiger bemerkte ich:»Vielleicht gibt es ja Ansatzpunkte, wenn ich ihn finde. Ich werde mein Bestes tun. Wenn ich in irgendeiner Weise hilfreich sein kann. dann stehe ich zur Verfügung.«
Jenny sah überhaupt nicht versöhnt aus, und die anderen schwiegen. Ich stieß innerlich einen Seufzer aus.»Wie sah er denn eigentlich aus?«fragte ich.
Charles sagte nach einer Weile:»Ich habe nur einmal mit ihm zu tun gehabt, etwa dreißig Minuten lang, vor vier Monaten. Habe allenfalls einen sehr allgemeinen Eindruck von ihm, mehr nicht. Jung, von angenehmem Äußerem, dunkelhaarig, glattrasiert. Für meinen Geschmack ein bißchen zu schmeichlerisch. Ich hätte ihn nicht gern als jungen Offizier bei mir an Bord gehabt.«
Jenny preßte die Lippen zusammen und sah von ihm weg, konnte aber gegen dieses Urteil keinen Einspruch erheben. Ich spürte die ersten, schwachen Regungen von Mitleid mit ihr und versuchte sofort, sie zu ersticken, denn sie würden mich nur verwundbarer machen, und darauf konnte ich gern verzichten.
«Haben Sie ihn mal kennengelernt?«fragte ich Toby.
«Nein«, antwortete er hochnäsig,»nein, das habe ich nicht.«
«Toby war in Australien«, fügte Charles erklärend hinzu.
Alle warteten. Es ließ sich nicht vermeiden. Ich wandte mich an Jenny und sagte möglichst ausdruckslos:»Jenny?«
«Er war amüsant«, brach es unerwartet heftig aus ihr hervor.
«Mein Gott, was war er amüsant! Und nach dir…«Sie verstummte. Sie wandte sich mir zu und sah mich mit bitterem Blick an.»Er war so voller Leben und immer zu Scherzen aufgelegt. Er brachte mich zum Lachen. Er war großartig, machte alles hell und leicht. Es war wie… war wie…«Sie fing plötzlich an zu stottern, schwieg — und ich wußte, daß sie an unsere erste Zeit dachte. Jenny, dachte ich verzweifelt, sprich’s nicht aus, bitte nicht.
Vielleicht war das selbst für sie zuviel. Wie konnten Menschen, fragte ich mich sinnloserweise zum x-ten Mal, die sich einmal sehr geliebt hatten, einander so fremd werden? Doch die Veränderung in uns war nicht rückgängig zu machen, und keiner von uns beiden würde es auch nur versuchen. Es war nicht möglich, das Feuer war erloschen. Nur noch ein paar Scheite glommen in der Asche, flammten bei unvorsichtiger Berührung plötzlich auf.
Ich schluckte.»Wie groß war er?«fragte ich.
«Größer als du.«
«Alter?«
«Neunundzwanzig.«
Genauso alt wie Jenny. Zwei Jahre jünger als ich. Vorausgesetzt, er hatte die Wahrheit gesagt. Ein Betrüger log unter Umständen schon aus bloßer Vorsicht grundsätzlich immer.
«Wo wohnte er, während er. äh. seine Geschäfte einfädelte?«
Jenny war zu keiner Auskunft bereit, weshalb Charles für sie einsprang:»Er hat Jenny erzählt, er wohne bei einer Tante, aber nach seinem Verschwinden haben Oliver und ich das überprüft. Seine Tante stellte sich als Hausbesitzerin im Norden von Oxford heraus, die Zimmer an Studenten vermietet. In jedem Falle aber«- er räusperte sich —»ist er wohl schon bald von dort in die Wohnung umgezogen, die sich Jenny zusammen mit einer anderen jungen Frau gemietet hat.«
«Er hat bei dir gewohnt?«fragte ich Jenny.
«Und wieso nicht?«Sie war bockig und irgendwie.
«Hat er, als er verschwand, etwas zurückgelassen?«
«Nein.«
«Überhaupt nichts?«
«Nein.«
«Möchtest du eigentlich, daß er gefunden wird?«fragte ich weiter.
Für Charles und Quayle und Toby lautete die Antwort ganz zweifellos ja, aber Jenny sagte nichts, und die Röte, die ihr vom Hals her ins Gesicht stieg, bildete auf ihren Wangen zwei leuchtende Flecken.
«Er hat dir großen Schaden zugefügt«, sagte ich.
Mit trotzig steifem Nacken sagte sie:»Oliver meint, ich käme dafür nicht ins Gefängnis.«
«Aber, Jenny!«Ich war fassungslos.»Eine Verurteilung wegen Betrugs wird dein ganzes Leben auf alle mögliche, schlimme Weise verändern. Mir ist schon klar, daß du ihn gemocht, vielleicht sogar geliebt hast. Aber er ist doch nicht einfach nur ein ungezogener kleiner Junge, der sich einen dummen Streich erlaubt hat. Nein, der hat alles mit Bedacht so gedeichselt, daß nicht ihn, sondern dich die Strafe trifft. Deshalb will ich ihn zu fassen kriegen, selbst wenn dir das nicht recht sein sollte.«
Charles erhob erregt Einspruch.»Aber das ist doch lächerlich, Sid. Natürlich will sie, daß er seine gerechte Strafe bekommt. Sie war ja auch damit einverstanden, daß du den Versuch unternimmst, ihn zu finden. Sie will es, das ist doch gar keine Frage.«
Ich seufzte und zuckte die Achseln.»Sie hat nur dir zuliebe zugestimmt. Und weil sie fest damit rechnet, daß ich nicht zum Erfolg kommen werde, womit sie wahrscheinlich recht hat. Schon die bloße Andeutung der Möglichkeit eines solchen Erfolges schreckt sie auf und macht sie wütend… es wäre nicht das erste Mal, daß eine Frau den Ganoven, der sie ruiniert hat, weiterhin liebt.«
Jenny stand auf, starrte mich mit blinden Augen an und verließ das Zimmer. Toby machte Anstalten, ihr nachzugehen, und auch Charles erhob sich. Mit einigem Nachdruck sagte ich:»Gehen Sie doch bitte zu ihr, Mr. Quayle, und machen Sie ihr klar, welche Konsequenzen eine Verurteilung für sie hat. Sagen Sie’s ihr mit brutaler Deutlichkeit, verpassen Sie ihr einen Schock, damit sie es endlich begreift.«
Er war schon selbst zu diesem Schluß gekommen und auf dem Weg zu ihr, bevor ich den Satz zu Ende gesprochen hatte.
«Das war nicht besonders nett«, sagte Charles.»Wir haben uns bemüht, sie zu schonen.«
«Sie können doch von Halley nicht erwarten, daß er Mitleid mit ihr hat«, sagte Toby gehässig.
Ich sah ihn mir an. Nicht der hellste Kopf unter der Sonne, aber Jenny hatte ihn sich als anspruchslosen Begleiter erwählt — die ruhige See nach dem Sturm. Vor ein paar Monaten war sie schon soweit gewesen, ihn zu heiraten, aber ob sie das auch noch post Ashe tun würde, erschien mir fraglich. Er schenkte mir den ihm eigenen hochnäsigen, verständnislosen Blick und kam zu dem Schluß, daß Jenny seiner unverzüglich bedürfe.