Ich seufzte.»Und wie macht man ihn resistent?«
«Man verabreicht winzige Dosen von Antibiotika, bis er immun ist.«
«Das ist, technisch gesehen, recht schwierig, oder nicht?«
«Doch, ziemlich.«
«Haben Sie schon mal etwas von Barry Shummuck gehört?«
Er zog die Stirn in Falten.»Nein, ich glaube nicht.«
Die angstgepeinigte innere Stimme riet mir dringend, den Mund zu halten, abzuhauen, mich in Sicherheit zu bringen und wegzufliegen… nach Australien… in eine ferne Wüste.
«Gibt’s hier einen Kassettenrecorder?«fragte ich ihn.
«Ja. Ich benutze ihn, um meine Berichte auf Band zu sprechen, während ich am Operieren bin. «Er ging hinaus, holte ihn, stellte ihn auf seinen Schreibtisch und legte eine neue Kassette ein.
«Sprechen Sie einfach«, sagte er.»Er hat ein eingebautes Mikrophon.«
«Bleiben Sie bitte und hören Sie zu«, sagte ich.»Ich möchte… einen Zeugen haben.«
Er sah mich nachdenklich an.»Sie sehen recht mitgenommen aus… Kein leichtes Spiel, was Sie da treiben, wie?«
«Nicht immer.«
Ich stellte den Recorder an und gab zunächst — als Einleitung — meinen Namen, den Ort der Aufnahme und das Datum an. Dann schaltete ich ihn wieder ab und sah auf die Finger hinab, die ich brauchte, um die entsprechenden Tasten zu drücken.
«Was ist los, Sid?«fragte Ken.
Ich sah ihn an und senkte den Blick wieder.»Nichts.«
Ich mußte es tun, dachte ich. Ich mußte es unbedingt tun. Ich würde niemals wieder ins Lot kommen, wenn ich es nicht tat.
Wenn ich zu wählen hätte — und es schien mir, daß ich nun zu wählen hatte —, würde ich mich für seelische Intaktheit entscheiden und mit dem Preis abfinden müssen. Vielleicht konnte ich mit körperlich empfundener Angst fertig werden. Vielleicht konnte ich mit allem fertig werden, was meinem Körper widerfuhr, selbst mit völliger Hilflosigkeit. Niemals aber — und das sah ich endlich mit absoluter Klarheit — konnte ich damit fertig werden, daß ich mich selbst verachtete.
Ich drückte gleichzeitig auf» Start «und» Aufnahme«-und brach unwiderruflich das Versprechen, das ich Trevor Deansgate gegeben hatte.
Kapitel 16
Gegen Mittag rief ich Chico an und erzählte ihm, was ich über Rosemarys Pferde in Erfahrung gebracht hatte.
«Es läuft alles darauf hinaus«, sagte ich,»daß diese vier Pferde einen Herzschaden hatten, weil ihnen eine Schweinekrankheit injiziert worden ist. Es gibt da eine ganze Menge sehr komplizierter Informationen zu der Frage, wie das bewerkstelligt worden ist, aber damit können sich die Stewards jetzt befassen.«
«Eine Schweinekrankheit?«fragte Chico ungläubig.
«Ja, genau. Der große Buchmacher Trevor Deansgate hat einen Bruder, und der arbeitet bei einer Firma, die Impfstoffe herstellt, mit denen Leute gegen Pocken und Diphtherie und so weiter geimpft werden. Und die beiden haben den Plan ausgeheckt, den heißen Favoriten Schweinerotlaufbazillen zu spritzen.«
«Worauf die dann natürlich verloren«, sagte Chico.»Und der Buchmacher sackte die Kohlen ein.«
«Du sagst es.«
Es war schon eigenartig, Trevor Deansgates Plan in erzählenden Worten wiederzugeben und über ihn selbst zu sprechen, als wäre er bloß eines unserer gewohnten Rätsel.
«Wie hast du das alles denn rausgefunden?«wollte Chico wissen.
«Im Stall von Henry Thrace ist >Gleaner< eingegangen,
und bei der Obduktion hat sich dann ergeben, daß es Rotlauf war. Als ich zu der pharmazeutischen Firma kam, be-gegnete mir ein Mann namens Shummuck, der mit ungewöhnlichen Erregerstämmen befaßt ist, und da fiel mir ein, daß Shummuck der eigentliche Name von Trevor Deansgate ist. Und Trevor Deansgate genießt die Freundschaft von George Caspar… und alle betroffenen Pferde, von denen wir wissen, kommen aus dem Stall von George Caspar.«
«Bißchen wacklig, wie?«sagte Chico.
«Ein bißchen, ja. Aber damit kann sich jetzt der Sicherheitsdienst befassen.«
«Eddy Keith?«bemerkte er skeptisch.
«Diese Geschichte kann er einfach nicht vertuschen, keine Bange.«
«Hast du’s Rosemary schon berichtet?«
«Noch nicht.«
«Schon ein bißchen zum Lachen«, sagte Chico.
«Hm.«
«Tja, Sid, mein Freund«, sagte er,»heute ist unser Erfolgstag. Wir haben nämlich auch Nicky Ashe am Haken.«
Nicky Ashe, ein Messer in der Socke. Ein Kinderspiel, verglichen mit. verglichen mit.
«He«, kam Chicos Stimme bekümmert aus dem Hörer,»freust du dich denn nicht?«
«Doch, natürlich. Was heißt übrigens am Haken?«
«Er hat ein paar von diesen schwachsinnigen Briefen losgelassen. Ich war heute morgen in deiner Wohnung, nur so, um mal nachzusehen, und da hab ich zwei Umschläge mit unseren Aufklebern drauf gefunden.«
«Großartig«, sagte ich.
«Ich hab sie aufgemacht. Beide kamen von Leuten, deren Name mit P anfängt. Lohn für all die Rumlatscherei.«
«Wir haben also den Spendenaufruf?«
«Aber ja doch. Ist haargenau derselbe Bettelbrief, den deine Frau hatte, natürlich mit ’ner anderen Adresse, an die das Geld geschickt werden soll. Hast du einen Stift?«
«Ja.«
Er las mir die Adresse vor — es handelte sich um Clifton, einen Ortsteil von Bristol. Ich besah sie mir nachdenklich. Ich konnte sie entweder direkt an die Polizei weitergeben oder sie erst einmal überprüfen. Letzteres hatte in einer ganz bestimmten Hinsicht sehr viel für sich.
«Du, Chico«, sagte ich,»ruf doch bitte mal bei Jenny in Oxford an und frag nach Louise McInnes. Bitte sie, mich im >Rutland Hotel< hier in Newmarket anzurufen.«
«Angst vor deiner Ollen, was?«
«Machst du’s?«
«Na klar. «Er lachte und legte auf. Als wenig später das Telefon klingelte, war allerdings nicht Louise am anderen Ende, sondern wieder Chico.
«Sie ist aus der Wohnung ausgezogen«, sagte er.»Deine Frau hat mir ihre neue Nummer gegeben. «Er diktierte sie mir.»Sonst noch was?«
«Kannst du mit deinem Kassettenrecorder morgen nachmittag zum Jockey Club am Portman Square kommen? Sagen wir, vier Uhr?«
«Wie beim letzten Mal?«
«Nein«, sagte ich.»Diesmal Haupteingang, wir beide.«
Zu meiner großen Erleichterung war Louise zu Hause. Als ich ihr gesagt hatte, was ich ihr sagen wollte, mochte sie es gar nicht glauben.
«Sie haben ihn wirklich und wahrhaftig gefunden?«
«Na ja«, entgegnete ich,»wahrscheinlich. Würden Sie mitfahren, um ihn zu identifizieren?«
«Ja. «Keinerlei Zögern.»Wann und wohin?«
«Ist irgendwo in Bristol. «Ich machte eine kleine Pause und sagte dann zögernd:»Ich bin im Augenblick in Newmarket. Ich könnte Sie heute nachmittag in Oxford abholen, und dann könnten wir gleich weiterfahren. Vielleicht erwischen wir ihn noch heute abend… oder sonst halt morgen früh.«
Sie schwieg eine Weile. Dann sagte sie:»Ich bin aus Jennys Wohnung ausgezogen.«
«Ja.«
Wieder Schweigen, dann ihre Stimme, ruhig und entschlossen:»Alles klar.«
In Oxford wartete sie schon vor dem Haus auf mich und hatte auch eine Reisetasche dabei.
«Hallo«, sagte ich und stieg aus dem Auto.
«Hallo.«
Wir sahen uns an. Ich küßte sie auf die Wange. Sie lächelte auf eine Art und Weise, die ich für freudige Zustimmung halten mußte, und verstaute dann ihre Tasche neben der meinen im Kofferraum.
«Du kannst dich aber jederzeit wieder zurückziehen«, sagte ich.
«Du auch.«
Wir stiegen jedoch beide ins Auto, und ich fuhr nach Bristol und fühlte mich zufrieden und sorgenfrei. Trevor Deansgate würde noch nicht angefangen haben, nach mir zu suchen. Peter Rammileese und seine Jungs hatten sich eine Woche nicht blicken lassen, und niemand außer Chico wußte, wohin ich unterwegs war. Die schattenreiche Zukunft, dachte ich, sollte mir nicht die schöne Gegenwart verderben. Ich beschloß, an erstere überhaupt nicht mehr zu denken, und im großen und ganzen gelang mir das auch.