Выбрать главу

«Wenn du nicht blind bist.«

Chico lehnte mit resigniertem Gesichtsausdruck an dem Gebäude am Portman Square, als warte er schon seit Stunden auf mich. Als ich zu Fuß auf ihn zukam, stieß er sich mit einem Schulterschwung von der Wand ab und sagte:»Hast dir ja ganz schön Zeit gelassen, was?«

«Der Parkplatz war voll.«

An seinem Handgelenk hing der schwarze Kassettenrecorder, den wir gelegentlich benutzten, ansonsten trug er Jeans, ein Freizeithemd und kein Jackett. Das warme Wetter war nicht vorübergegangen, sondern hatte sich mit einem nahezu ortsfesten Hochdrucksystem festgesetzt, weshalb auch ich in Hemdsärmeln war. Immerhin hatte ich aber einen Schlips um und ein Jackett über dem Arm. Im dritten Stock standen alle Fenster weit offen, so daß der Straßenlärm heraufdröhnte, und Sir Thomas Ullaston, der hinter seinem Schreibtisch saß, bewältigte die Obliegenheiten des Tages in einem blaßblauen Hemd mit weißen Streifen.

«Kommen Sie herein, Sid«, rief er mir zu, als er mich unter seiner Tür erscheinen sah.»Ich habe schon auf Sie gewartet.«

«Es tut mir leid, daß ich mich verspätet habe«, sagte ich und gab ihm die Hand.»Das ist Chico Barnes, wir arbeiten zusammen.«

Er gab Chico die Hand.»Schön«, sagte er dann.»Jetzt, wo Sie da sind, wollen wir gleich mal Lucas Wainwright und die anderen dazuholen. «Er drückte auf den Knopf seiner Sprechanlage und gab seiner Sekretärin entsprechend Bescheid.»Und bringen Sie noch ein paar Stühle, seien Sie so gut.«

Das Büro füllte sich langsam mit sehr viel mehr Menschen, als ich erwartet hatte, aber ich kannte alle gut genug, um mit ihnen reden zu können. Die Spitze der Administration in voller Besetzung, etwa sechs Leute, durchweg ehrbare, welterfahrene Männer, die im eigentlichen Sinne den Rennsport lenkten. Chico, leicht nervös, besah sie sich wie Vertreter einer fremden Rasse und war sehr erleichtert, als man ihm einen Tisch beschaffte, auf dem er seinen Recorder abstellen konnte. Er zog sich hinter dieses Möbelstück zurück wie hinter einen Schutzwall. Ich angelte in meinem Jackett nach der Kassette und reichte sie ihm.

Lucas Wainwright kam herein, dicht gefolgt von Eddy Keith, der mich nur kalt ansah — der große, gutmütig-derbe Eddy, dessen freundschaftliche Gefühle für mich langsam dahinschwanden.

«Nun, Sid«, sagte Sir Thomas,»da wären wir also alle beisammen. Sie haben mir gestern am Telefon erklärt, daß Sie herausgefunden hätten, wie >Tri-Nitro< für die 2000

Guineas müde gemacht worden ist, und wie Sie sehen, sind wir… alle sehr interessiert. «Er lächelte.»Schießen Sie also los.«

Ich paßte mein Verhalten dem ihren an, war ruhig und leidenschaftslos, als ob ich mir der Drohungen Trevor Deansgates überhaupt nicht mehr bewußt wäre — obwohl sie mir doch dauernd quälend im Kopf herumgingen.

«Ich habe… äh… alles auf Band aufgenommen«, sagte ich.

«Sie werden da gleich zwei Stimmen hören, nämlich meine und die von Ken Armadale vom Equine Research Establishment, den ich gebeten habe, die veterinärmedizinischen Details zu erläutern, da das nicht mein Fach ist.«

Die wohlfrisierten Köpfe nickten. Nur Eddy Keith blickte starr vor sich hin. Ich warf Chico einen Blick zu, der daraufhin die Starttaste drückte — und meine körperlose Stimme tönte laut in die gebannte Stille hinein.

«Hier spricht Sid Halley, ich befinde mich im Equine Research Establishment, es ist Montag, der 14. Mai…«

Ich hörte mir die einfachen Sätze an, mit denen der Sachverhalt dargelegt wurde. Identische Symptome bei vier Pferden, die verlorenen Rennen, die Herzgeräusche. Meine Bitte, über Lucas Wainwright weitergeleitet, mich zu verständigen, wenn eines der drei noch lebenden Pferde eingehen sollte. Die Obduktion von >Gleaner<, wobei Ken Armadale meinen schlichten Bericht sehr viel ausführlicher wiederholte. Seine Stimme, die — wiederum nach mir — im einzelnen erklärte, wie Pferde mit einer Schweinekrankheit hatten infiziert werden können. Seine Stimme, die sagte:»Ich habe lebende, aktive Erreger in den Läsionen an >Gleaners< Herzklappen und auch in dem Blut, das >Zingaloo< abgenommen wurde, gefunden.«- und meine Stimme, die fortfuhr:»Ein mutierter Stamm des

Krankheitserregers wurde im Labor der Firma Tierson in Cambridge auf folgende Art und Weise produziert…«

Die Sache war nicht gerade leicht verständlich, weshalb ich die Gesichter der Zuhörer beobachtete. Ich konnte aber feststellen, daß sie begriffen hatten, worum es ging, vor allem, nachdem Ken Armadale alles noch einmal erläutert und meine Ausführungen bestätigt hatte.

«Was Motiv und Gelegenheit angeht«, sagte meine Stimme,»so kommen wir jetzt zu einem Mann namens Trevor Deansgate.«

Sir Thomas’ lauschend vorgebeugter Kopf fuhr hoch, und er starrte mich verständnislos an. Erinnerte sich ohne Zweifel daran, daß Trevor Deansgate in Chester in der Loge des Jockey Club sein Gast gewesen war. Erinnerte sich vielleicht auch daran, daß er mich und Trevor Deansgate dort zusammengebracht hatte.

Bei den anderen Zuhörern hatte der Name eine ähnliche Reaktion ausgelöst. Sie alle kannten ihn entweder persönlich oder wußten doch von ihm — von dieser aufstrebenden, einflußreichen Kraft unter den Buchmachern, von dem mächtigen Mann, der sich bis in die höchsten gesellschaftlichen Höhen hinaufgearbeitet hatte. Trevor Deansgate war ihnen ein Begriff, und ihre Gesichter verrieten, wie schockiert sie waren.

«Trevor Deansgates richtiger Name ist Trevor Shummuck«, sagte meine Stimme.»Und bei der Firma Tierson gibt es einen wissenschaftlichen Mitarbeiter namens Barry Shummuck, der sein Bruder ist. Beide Brüder, die sich sehr gut verstehen, sind mehrfach zusammen in den Labors von Tierson gesehen worden.«

O Gott, dachte ich. Meine Stimme sprach weiter, und ich hörte bruchstückhaft an mein Ohr dringen, was sie sagte. Ich hab’s getan, dachte ich, jetzt gibt es kein Zurück mehr.

«… Es handelt sich dabei um das Labor, in dem der mutierte Erregerstamm entstand… es ist unwahrscheinlich, daß es nach so langer Zeit noch irgendwo anders Teilmengen davon gibt… Trevor Deansgate besitzt ein Pferd, das von George Caspar trainiert wird. Trevor Deansgate hat ein gutes Verhältnis zu Caspar… sieht sich häufig die Morgenarbeit an und frühstückt bei ihm. Trevor Deansgate konnte ein Vermögen machen, wenn er im voraus wußte, daß die Favoriten des Guineas und des Derby nicht gewinnen würden. Trevor Deansgate hatte die Mittel in der Hand, um dafür zu sorgen: die Krankheitserreger; sein Motiv: Geld; und die Gelegenheit: Zugang zu Caspars streng bewachtem Stall. Es erscheint deshalb geboten, seine Aktivitäten genauer unter die Lupe zu nehmen.«

Meine Stimme verstummte, und nach ein oder zwei Minuten schaltete Chico den Recorder ab. Auch er sah ein bißchen benommen aus, als er die Kassette herausnahm und sie behutsam auf den Tisch legte.

«Das ist ja unglaublich«, sagte Sir Thomas schließlich, aber nicht so, als glaube er es tatsächlich nicht.»Was meinen Sie, Lucas?«

Lucas Wainwright räusperte sich.»Ich meine, wir sollten Sid zu seiner außerordentlich guten Arbeit gratulieren.«

Mit Ausnahme von Eddy Keith waren alle seiner Meinung und taten es, was mich sehr verlegen machte. Ich fand es sehr großzügig von Lucas, daß er das überhaupt gesagt hatte, denn schließlich hatte ja der Sicherheitsdienst selbst negative Dopingtests durchgeführt und es dabei bewenden lassen. Aber andererseits, ging mir dann durch den Kopf, hatte der Sicherheitsdienst auch keine Rosemary Caspar gehabt, die mit Perücke und voller Hysterie bei ihm erschienen war. Und sie hatten nicht den Vorteil gehabt, daß sich ihnen Trevor Deansgate selbst als

Schurke zu erkennen gab, ehe sie ihn überhaupt verdächtigten, und üble Dinge androhte, falls sie ihn nicht in Ruhe ließen.

Wie Chico ganz richtig bemerkt hatte, schreckten unsere Erfolge den Feind dermaßen auf, daß er uns schon fertigzumachen versuchte, bevor wir noch wußten, warum.