Am frühen Abend telefonierte ich mit Ken Armadale. Er wollte wissen, wie die Sitzung beim Jockey Club gelaufen war, und klang im übrigen sehr zufrieden mit sich, wozu er ja auch durchaus einigen Grund hatte.
«Dieser Rotlaufstamm ist gegen praktisch alle gängigen Antibiotika immun gemacht worden«, sagte er.»Sehr gründlich. Aber ich denke, es gibt da doch noch ein kleines Grüppchen, mit dem er sich wahrscheinlich gar nicht abgegeben hat, weil niemand auf die Idee kommen würde, sie in ein Pferd reinzupumpen. Sie sind nämlich selten und sehr teuer. Aber alles spricht dafür, daß sie die erwünschte Wirkung haben könnten. Jedenfalls hab ich mal etwas davon besorgt.«
«Großartig«, sagte ich.»Und wo?«
«In London. In einem der Lehrkrankenhäuser. Ich habe mit dem Pharmakologen dort gesprochen, und er hat mir zugesagt, ein bißchen davon in einen Karton zu packen und am Empfang Ihres Hotels zu hinterlegen, wo Sie’s dann abholen können. Steht >Halley< drauf.«
«Also, Ken, Sie sind einfach phantastisch.«
«Um’s zu bekommen, mußte ich meine Seele verpfänden.«
Am nächsten Morgen holte ich das Päckchen von der Rezeption ab und fuhr zum Portman Square, wo Chico bereits auf den Treppenstufen stand und einmal mehr auf mich wartete. Lucas Wainwright kam herunter und meinte, wir sollten, wenn’s recht wäre, mit seinem Auto fahren. Ich dachte an die viele Fahrerei der letzten vierzehn Tage und nahm sein Angebot dankend an. Wir ließen den Scimitar auf dem Parkplatz stehen, der am Vortag besetzt gewesen war — eine behelfsmäßige Angelegenheit auf einem noch leeren Baugrundstück —, und machten uns in einem großen Mercedes mit Klimaanlage auf den Weg nach Newmarket.
«Ist viel zu heiß«, sagte Lucas und stellte die Kühlung an.
«Falsche Jahreszeit.«
Er war im korrekten Anzug gekommen, worauf Chico und ich zugunsten von Jeans und Freizeithemd verzichtet hatten.
«Nettes kleines Auto, das Sie da fahren«, sagte Chico bewundernd.
«Sie hatten auch mal einen Mercedes, nicht wahr, Sid?«erkundigte sich Lucas.
Ich bejahte seine Frage, und wir unterhielten uns den halben Weg nach Suffolk hinauf über Autos. Lucas Wainwright fuhr gut, aber so ungeduldig, wie er alles andere auch tat. Ein Pfeffer-und-Salz-Typ, dachte ich. Braunes Haar mit grauen Strähnen, bräunliche Augen mit kleinen Flecken in der Iris. Braun-grau gemustertes Hemd und eine nichtssagende Krawatte. Pfeffer und Salz sein Benehmen, seine Sprechweise, sein ganzes Verhalten.
Schließlich stellte er die Frage, die er irgendwann ja mal stellen mußte:»Und wie kommen Sie mit den Syndikaten voran?«
Chico, der auf dem Rücksitz saß, gab ein Geräusch von sich, das halb Lachen, halb Prusten war.
«Äh…«, sagte ich.»Bedauerlich, daß Sie danach fragen, muß ich gestehen.«
«Das klingt nicht gut«, sagte Lucas mit gerunzelter Stirn.
«Nun ja«, sagte ich,»es ist da ganz zweifellos was im Gange, aber bisher haben wir noch nicht sehr viel mehr als Gerüchte und Geschichten vom Hörensagen erfahren können. «Ich hielt kurz inne, sagte dann:»Besteht irgendeine Aussicht, daß wir vielleicht doch ein Honorar bekommen?«
Er war grimmig amüsiert.»Ich kann’s vielleicht unter der Rubrik > Allgemeine Hilfeleistungen für den Jockey Club< verbuchen.
Kann mir nicht vorstellen, daß die Chefs Einwände erheben, ich meine, nach gestern.«
Chico hob hinter Lucas Wainwrights Rücken eine Hand mit nach oben zeigendem Daumen, und ich dachte mir, daß ich das Thema angesichts des günstigen Klimas vielleicht noch ein bißchen vertiefen sollte, um wenigstens das wieder reinzuholen, was ich an Jacksy gezahlt hatte.
«Wollen Sie, daß wir es weiter versuchen?«fragte ich.
«Aber ja. «Er nickte mit Entschiedenheit.»Unbedingt.«
Wir erreichten nach guter Fahrzeit Newmarket, und der Wagen kam auf der sehr gepflegten Zufahrt zu George Caspars Haus langsam ausrollend zum Stehen.
Es waren keine weiteren Autos zu sehen — mit Sicherheit jedenfalls nicht der Jaguar von Trevor Deansgate. Normalerweise müßte er an diesem Tag eigentlich in York sein, um sich seinen Geschäften als Buchmacher zu widmen. Allerdings war ich nicht überzeugt, daß das wirklich der Fall war.
George, der nur Lucas Wainwright erwartet hatte, war über meinen Anblick keineswegs erfreut, und als Rose-mary die Treppe herunterkam und mich unten im Flur stehen sah, ging sie sofort mit schrillen Mißfallensbekundungen auf mich los.
«Raus hier!«schrie sie.»Wie können Sie es wagen, dieses Haus zu betreten!«
Zwei rote Flecke brannten auf ihren Wangen, und sie sah fast so aus, als wolle sie mich eigenhändig vor die Tür setzen.
«Aber nicht doch«, sagte Lucas Wainwright und wand sich wie üblich mit der Verlegenheit des Marineoffiziers, der sich unziemlichem weiblichem Verhalten konfrontiert sieht.»George, würden Sie so gut sein und Ihre Frau veranlassen, sich erst einmal anzuhören, was wir beide Ihnen zu sagen haben?«
Rosemary wurde nach einigem Widerstreben dazu gebracht, sich in ihrem eleganten Wohnzimmer auf einem Stuhl niederzulassen, während Chico und ich müßig in bequemen Sesseln saßen und es Lucas Wainwright überließen, über Schweinekrankheiten und Herzgeräusche zu berichten.
Die Caspars hörten mit zunehmender Verwirrung und Bestürzung zu, und als Lucas den Namen Trevor Deansgate erwähnte, stand George auf und fing an, sehr erregt im Zimmer auf und ab zu gehen.
«Das ist doch unmöglich«, sagte er schließlich.»Trevor, nein. Wir sind befreundet.«
«Haben Sie ihn nach dem abschließenden Trainingslauf in die Nähe von >Tri-Nitro< kommen lassen?«fragte ich.
Das Gesicht von George gab die Antwort.
«Am Sonntagmorgen«, sagte Rosemary mit harter, kalter Stimme.»Er ist an dem Sonntag rausgekommen. Das tut er häufig. George und er machten einen Rundgang durch die Ställe. «Sie machte eine kleine Pause.»Trevor gibt Pferden gern einen Klaps. Klopft ihnen aufs Hinterteil. Es gibt so Leute. Manche tätscheln den Hals, andere ziehen an den Ohren. Trevor klopft auf Hinterteile.«
Lucas sagte:»Sie werden zu gegebener Zeit als Zeuge vor Gericht aussagen müssen, George.«
«Ich werde ganz schön blöde dastehen, was?«sagte dieser sauer.»Da stopf ich den Stall mit Wachen voll und nehm dann selbst Deansgate mit rein.«
Rosemary sah mich mit versteinertem, unversöhnlichem Blick an.
«Ich habe Ihnen ja gesagt, daß man sie müde gemacht hat. Ich hab’s Ihnen gesagt, aber Sie haben mir nicht geglaubt.«
Lucas sah sie überrascht an.»Aber ich dachte, Sie hätten das richtig verstanden, Mrs. Caspar. Sid hat Ihnen doch geglaubt. Es war Sid, der das alles ermittelt hat, nicht der Jockey Club.«
Ihr Mund öffnete sich und blieb offen stehen — sie war sprachlos.
«Schauen Sie«, sagte ich verlegen,»ich habe Ihnen hier ein Geschenk mitgebracht. Ken Armadale vom Equine Research Establishment hat einen Haufen Arbeit für Sie geleistet und meint nun, >Tri-Nitro< könnte vielleicht geheilt werden, und zwar mit Hilfe von Antibiotika, die nur sehr schwer zu bekommen sind. Und die habe ich Ihnen aus London mitgebracht.«
Ich stand auf, ging mit der Pappschachtel zu Rosemary hinüber, drückte sie ihr in die Hand und küßte sie auf die Wange.
«Es tut mir aufrichtig leid, Rosemary, daß es nicht rechtzeitig vor den 2000 Guineas zu schaffen war. Vielleicht reicht’s ja zum Derby… auf jeden Fall aber zum Irish Derby und zum Diamond Stakes und zum Arc de Tri-omphe… doch, >Tri-Nitro< wird bis dahin wieder fit sein.«
Und Rosemary Caspar, diese harte, so schwer zu beeindruckende Frau, brach in Tränen aus.
Wir waren erst gegen fünf Uhr wieder in London, da Lucas Wainwright darauf bestanden hatte, auch noch Ken Armadale und Henry Thrace einen persönlichen Besuch abzustatten. Der Chef des Sicherheitsdienstes des Jockey Club war bemüht, die ganze Geschichte zu einer hochoffiziellen Angelegenheit zu machen. Er war sichtlich erleichtert, als Ken seine Leute, die nach den verunglückten Rennen die Blutuntersuchungen durchgeführt hatten, von jeder Schuld freisprach.